German Angst

in #deutsch6 years ago

Deutschland geht es gut!“. Den Slogan habe ich von Uckermerkel zwar schon lange nicht mehr gehört, aber ich denke, sie steht noch immer dazu. Und Deutschland steht hinter Merkel. Das sagt zumindest die Sonntagsfrage. Es geht uns gut! Verdammt noch mal!

Woher kommt dann der Begriff „German Angst“? Anscheinend sind die Deutschen weltweit als Angsthasen verschrien. Die Antwort liegt auf der Hand: Die Deutschen fürchten sich vor dem Abstieg. Sie fürchten sich davor, dass es ihnen bald nicht mehr so gut gehen könnte. Ein Psychologe würde hier vermutlich einen Schuldkomplex diagnostizieren. Wir denken, wir hätten es nicht verdient, dass es uns so gut geht. Vielleicht fürchten wir uns vor unserem eigenen Karma.

Wie komme ich gerade jetzt auf dieses Thema? Nach meinem Post zum Thema „Macht schlägt Intelligenz“ habe ich überraschende Rückmeldungen bekommen. Freunde haben mich gewarnt. Meine Posts könnten mit den Bilderbergern in Verbindung gebracht werden. Oder ich könnte Ärger mit dem Verfassungsschutz kriegen. Manche sahen sich sogar als Leser in dieser Gefahr.

Da ich aber weder die Bilderberger noch den Verfassungsschutz angegriffen habe, finde ich das jetzt doch etwas weit hergeholt. Ich habe auch schon gehört, dass die Bilderberger Einfluss auf die Besetzung von wichtigen Posten in Politik und Wirtschaft nehmen, aber dass Management-Bashing gleich den Verfassungsschutz auf den Plan ruft, wäre mir neu. Trotz allem: Ich nehme Warnungen immer ernst und werde mich mal in den entsprechenden Kreisen umhören. Durch meine Tätigkeit als Cypher-Punk werde ich gelegentlich auf Geheim-Konferenzen eingeladen, wo ich auch Mitarbeiter der „Dienste“ kennenlernen durfte. Bislang habe ich die Erfahrung gemacht, dass es in allen Organisationen gleich menschelt. Die meisten Menschen sind von Haus aus gutmütig und wollen niemandem etwas Böses. Sie durchschauen auch die Verhältnisse, in die sie geraten, recht schnell. Dann kommt aber mein heutiges Thema ins Spiel: Wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt, bekommen sie Angst. German Angst. Und mit der ist nicht zu spaßen!

Wenn wir davon sprechen, dass es uns gut geht, dann geht es ums Geld. In Sachen Stress, Scheidungen, Rückenschmerzen und Herzinfarkt sind wir genauso Weltmeister wie im Export unserer Waren. Wir kriegen im Gegenzug ein Update unseres Konto- oder Grundbuchauszugs. Das weiche Polster wird zwar durch ständige Steuer- und Abgabenerhöhungen etwas härter, aber das gleichen wir durch unser hohes Einkommen locker wieder aus - wenn wir einen guten Job im Konzern haben. Diejenigen, die selbständig sind oder für kleinere Unternehmen arbeiten, tun sich da schon seit Jahren etwas schwerer. Damit das nicht groß auffällt, genehmigen uns die Banken Darlehen fast zum Nulltarif. Darüber vergessen manche, dass man nicht nur die Zinsen irgendwann mal zurückzahlen muss. Im Konzern oder als Staatsdiener gibt es Krankengeld, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und garantierte tarifliche Gehaltserhöhungen - für alle anderen nehmen Stress und Überstunden zu. Die Politik beklagt einen Fachkräftemangel, während Fachkräfte, die sich mal ganz vorsichtig nach einem neuen Chef umsehen, feststellen müssen, dass sie entweder gar keine Fachkräfte sind oder der Fachkräftemangel ausgerechnet in ihrer Branche doch nicht so gravierend ausfällt. Am Ende sind wieder alle gleich und merken, dass sie sich an ein Gehalt gewöhnt haben, dass für ihre Leistung offensichtlich ein wenig zu hoch ist. Und jetzt kommt die Angst: Vor Gesichtsverlust. Vor Armut. Vor sozialer Ausgrenzung.

Und bei diesem Spiel mit der Angst machen alle mit. Auf den Führungskräfte-Seminaren lernen angehende Chefs, dass es wichtig ist, die Mitarbeiter im Griff zu haben. Offiziell werden Motivation und Teamgeist großgeschrieben. In Wahrheit werden die Mitarbeiter in den vorauseilenden Gehorsam manipuliert. Da macht man mal einen winzigen Fehler, dann heißt es gleich: „Das lässt sich jetzt nicht so einfach aus der Welt schaffen!“. Und wenn jemand keine Angst zeigt, dann kriegt er sie spätestens, wenn er die gutgemeinten Ratschläge der Kollegen ernst nimmt: „Du hast bestimmt schon einen Eintrag in deiner Personalakte“ oder „Wenn der Chef rauskriegt, wie du in der Mitarbeiterbefragung abgestimmt hast, dann kannst du deinen Wechsel in die andere Abteilung vergessen“.

Deswegen kuschen alle und kultivieren Wertschätzung für Chef und Kollegen. Probleme werden kleingeredet oder totgeschwiegen während alle die neuen höhenverstellbaren Schreibtische loben und gar nicht merken, dass ihre Rückenschmerzen nicht vom langen Sitzen, sondern vom fehlenden Rückgrat kommen. Lustig oder? Wir haben Angst vor Jobverlust und finanziellem Ruin und riskieren jeden Tag unsere Gesundheit, indem wir den Ärger über Chef oder Politik unkommentiert in uns reinfressen. Dabei müssen wir unsere ganze Schauspielkunst aufbringen, um das Drama als „Sucess Story“ zu maskieren. Am Ende sind wir krank, unsere Arbeitgeber durch das Management finanziell ruiniert und die soziale Marktwirtschaft auf eine asoziale Planwirtschaft mit Gesinnungs-Blockwarten und Totalüberwachung degeneriert. Und was tun wir? Wir haben Angst. German Angst.

Angst, dass die Frisur nicht sitzt. Angst, dass wir dick werden. Angst, dass der Nachbar sich einen teureren Wagen leisten kann als wir. Angst, dass herauskommt, dass wir Angst vor dem Versagen haben. Angst, dass der Chef merkt, dass wir ihn nicht leiden können. Angst, dass wir eine andere Meinung als die Mehrheit haben. Angst, dass unsere Freunde nicht unserer Meinung sind.

Wir haben es mit unserer Angst weit kommen lassen. Und jetzt kriegen wir die Quittung. Wir trauen uns nicht den kleinsten Pups. Die Angst macht noch nicht mal vor der Wahlkabine halt. Viele finden die AFD gut, trauen sich aber nicht, sie zu wählen. Vielleicht halten die sich nicht an ihre Wahlversprechen, wenn sie erst in der Regierung sind? Das tun Schwarz-Rot-Gelb-Grün ja auch nie.

Vielleicht begreift ihr jetzt, warum wir nicht mehr in der Lage sind, zu unserer Meinung zu stehen. Vielleicht sollten wir uns wenigstens das eingestehen. Ich bin da keine Ausnahme. Ich bin auch gewarnt worden, dass sich meine Artikel stark nach „beleidigter Leberwurst“ anhören. Dabei bin ich gar nicht beleidigt. Eines wurde mir durch die Kommentare jedoch schlagartig klar. Wir brauchen eine einigermaßen anonyme Plattform. Meritocracy funktioniert nicht. Jede einzelne Idee muss für sich selbst stehen und unabhängig von der Person, die sie zum ersten Mal äußert ihren Weg machen. Und Technologien sind auch erst mal nur Ideen. Ist die Idee gut, dann wird sie auch ohne einen prominenten Fürsprecher bestehen.

Traut euch!

Jeanne

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