Gedanken zu Kultur, Identität, Loyalität.

in #deutsch3 years ago (edited)

Quelle: pixabay.


Immer wieder lese ich von (sich unterscheidenden) Kulturen, "Wertegemeinschaften" und ähnlichem und möchte heute meine diesbezügliche Sicht erläutern.

Um mit der Kernaussage zu beginnen: Ich kann dem gedanklichen Konzept homogener 'Kulturen' mit weitgehend einheitlichen Werten, Verhaltensweisen, Bräuchen, Traditionen und vor allem Denkweisen der Menschen innerhalb von Ländern oder Regionen (bzw. Glaubensgemeinschaften etc.) nichts abgewinnen.


Ein Individuum = eine 'Mikrokultur'


Stattdessen steht in meinen Augen jeder einzelne Mensch für eine ganz eigene, individuelle 'Mikrokultur', die mit den 'Mikrokulturen' aller anderen Menschen, egal wo sie leben, mal mehr, mal weniger Überlappungsbereiche aufweist (ich stelle mir das ähnlich wie sich in der Mengenlehre teilweise, aber nicht vollständig überschneidende Mengen vor).
Meine politische Einstellung beispielsweise ist nur ein kleiner Teil der 'jaki01-Kultur‘ und stellt, wie auch jede andere meiner Eigenschaften, lediglich einen kleinen Mosaikstein meiner Gesamtidentität dar.

So bin ich bei Weitem nicht nur "grüner Gutmensch“, sondern z. B. auch Schachspieler, Sportwetter, Befürworter eines schlanken Staats, Feiertage Nichtfeierer, Nichtbier-, aber Teetrinker, Kryptowährungsbefürworter, Blogger, Agnostiker, Nichtautofahrer, Vielflieger, Naturwissenschaftler, Mann, Vater, Nachteule, Sommerfreund und Winterfeind, der gerne im Liegen arbeitet ... um einfach zufällig und ohne jegliche Bewertung einige meiner 'kulturellen Eigenheiten' herauszugreifen (wobei ich ganz bewusst auch solche Charakteristika nannte, die normalerweise nicht unter 'Kultur' geführt werden, da ich keine scharfe Trennlinie zwischen 'kulturellen' und 'nichtkulturellen' Merkmalen ziehe).

Die Eigenschaft, gerne Schach zu spielen, stellt gemäß meiner Vorstellung von 'Kultur‘ z. B. eine kleine Schnittmenge mit den 'Mikrokulturen‘ aller anderen, ebenfalls dem 'königlichen Spiel‘ zugeneigten Menschen dieser Welt dar, während die Eigenschaft, mich für Kryptowährungen zu interessieren, eine Schnittmenge mit den 'Kulturen‘ aller anderen HIVE-User ist, völlig unabhängig von ihren politischen Ansichten, ihrer Religion oder ihrem Wohnort.

Jetzt könnte man das Spektrum meiner Eigenschaften mit demjenigen eines zufällig herausgegriffenen Deutschen/Europäers, Afrikaners, Asiaten, Muslims, Christen, Juden oder Atheisten vergleichen, um zu eruieren, wie ähnlich sich unsere 'Kulturen' seien. Würden mir alle Deutschen ähnlicher sein, d. h. mehr Gemeinsamkeiten mit mir aufweisen, als z. B. alle Inder oder alle Chinesen? Mit Sicherheit nicht! Bestimmt merkt auch der ein oder andere (deutschsprachige) Leser gerade, wie wenige Schnittpunkte es zwischen uns gibt, wie kulturell verschieden wir beide sind ("Kein Biertrinker? Das kann doch wohl nicht wahr sein!"), oder?


Homogene 'Wertegemeinschaften' sind inexistent.


Seien wir ehrlich: Viele Deutsche haben doch trotz ihrer angeblich ähnlichen (als "christlich-jüdisch", "abendländisch" oder wie auch immer bezeichneten) Prägung kaum etwas miteinander gemeinsam.

Die breite Palette der zu unerbittlich (und oft unsachlich) geführten Diskussionen führenden Themen erstreckt sich von Streitereien über die angemessene Reaktion auf die COVID-19-Pandemie oder den Klimawandel, die Sinnhaftig- oder -losigkeit des 'Gendering‘ oder von Frauenquoten, den Umgang mit Minderheiten (z. B. Flüchtlinge, Ausländer, Muslime, AfD-Wähler, ...) :-) bis hin zu Fragen bezüglich Ernährung und Landwirtschaft (ökologische Landwirtschaft contra Massentierhaltung) sowie Energiegewinnung und Verkehr (Atom, Kohle oder Solar, Elektroautos oder Diesel).

Aus diesem Grund glaube ich nicht an Ländern, Nationen oder Menschen bestimmter Religion zuordenbare kulturelle Eigenheiten oder Werte - dafür sind die miteinander bestimmte Regionen teilenden Individuen vieeel zu verschiedenartig, wofür der Mikrokosmos jedes kleinen Forums, jedes sozialen Netzwerks, jedes HIVE-Discord-Kanals, kurz: fast jeder politischen Diskussion mit seinen darin streitenden und sich kaum je auf einen minimalen gemeinsamen Nenner einigen könnenden Deutschen der beste Beweis ist. Wir sind also so dermaßen verschieden, mit völlig unterschiedlichen Ansichten und Wertvorstellungen, wie es überhaupt nur möglich scheint - just face it!
Und wenn du mir hier an dieser Stelle widersprichst, ist das wieder nur ein weiteres Beispiel dafür, wie verschieden die Sicht- und Denkweisen der doch angeblich so ähnlich tickenden Deutschen sind! :-)

Um es klarzustellen: Dass zwischen meiner und den 'Kulturen‘ der meisten anderen Menschen (seien sie nun deutsch oder nicht) nur geringe Schnittmengen bestehen (mit dem einen kann ich möglicherweise Schach spielen, mit dem anderen vielleicht über Fußball fachsimpeln, ...), sehe ich zunächst einmal weder als etwas Positives noch Negatives, sondern schlicht als wertneutrale Feststellung.

Allerdings bedeutet für mich diese offensichtliche Heterogenität der Denk- und Verhaltensweisen in derselben Region lebender Individuen, Begriffe wie "Wertegemeinschaft" oder "Leitkultur" etc. als unzutreffend bzw. nicht sinnvoll abzulehnen.
Stattdessen ist es einzig und allein das Grundgesetz, welches ein einigermaßen gut funktionierendes Zusammenleben völlig verschiedener Individuen ermöglicht.

Ich halte zwar dieses, das gesellschaftliche Leben regelnde Grundgesetz für sinnvoll und wichtig, aber darüber hinaus von Individuen irgendwelche Verhaltensweisen nur aufgrund angeblicher "abendländischer"/"christlich-jüdischer" Werte etc. zu erwarten für unsinnig. Warum sollte z. B. ich als Agnostiker mich an 'christlichen‘ Wertvorstellungen orientieren? Oder weshalb sollte ich von der Annahme ausgehen, die meisten anderen der über 80 Millionen Deutschen, von denen ich einen Großteil überhaupt nicht kenne, hießen meine politischen Ansichten gut, pflegten einen ähnlichen Lebensstil, oder hätten die gleichen Moralvorstellungen wie ich?

Was ich jedoch keineswegs bestreite, ist, dass bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen an bestimmten Orten statistisch gesehen häufiger auftreten als an anderen ... das ja, aber mehr als eine gewisse statistische Ungleichverteilung ist das nicht. Zu sagen, hier würden alle Menschen bestimmte Werte (andere als in anderen Ländern) teilen oder Lebensweisen pflegen, ist genauso falsch wie zu behaupten alle Deutsche wären größer als alle Thailänder.


Kurzer Ausflug in die Genetik


Ähnlich der obigen Begründung meiner Ablehnung des Vorhandenseins auf kultureller Prägung basierender, homogener 'Wertegruppen‘ begründen übrigens moderne Taxonomen das Nichtvorhandensein verschiedener Menschenrassen:

Aus biologischer Sicht ist es nicht sinnvoll, von verschiedenen "Menschenrassen" zu sprechen, denn bezüglich der Gesamtheit ihrer Allele können z. B. zwei Europäer durchaus verschiedener voneinander sein als beide von einem Afrikaner* (woran die relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei zufällig herausgegriffene Europäer genetisch ähnlicher sind als beide einem ebenfalls zufällig ausgewählten Afrikaner, überhaupt nichts ändert), oder anders ausgedrückt:
Ist die genetische Variabilität (also die genetischen Unterschiede bezogen auf das gesamte Genom) innerhalb der einzelnen Populationen einer Art größer als zwischen den verschiedenen Populationen, unterteilt man die Art nicht in Unterarten bzw. Subspezies (der Begriff "Rasse" wird in der Biologie ohnehin meist nur noch im Bereich der Züchtung verwendet); analog zu dieser Auffassung sehe ich im kulturellen Bereich keine homogenen, in sich abgeschlossenen 'Wertegemeinschaften‘ ...

Interessantes zum Thema '(Menschen)rassen' findet sich hier. Aufschlussreich ist beispielsweise ein im dort verlinkten Artikel von R. C. Lewontin zu findender Satz: "The consequence of this realization was the abandonment of "race" as a biological category during the last quarter of the twentieth century ..."

*Anmmerkung: Die beiden Beispieleuropäer mögen sich z. B. bezüglich des Merkmals "Hautfarbe" ähnlicher sein als beide dem Afrikaner, aber dabei handelt es sich nur eine (wenn auch gut sichtbare) Eigenschaft unter vielen tausenden. Der Afrikaner und der eine Europäer könnten sich beispielsweise bezüglich der Merkmale "PTH-Schmeckfähigkeit" oder "Blutgruppe", ähnlicher sein als beide dem zweiten Europäer ... Um die genetische Ähnlichkeit zweier Lebewesen zu bewerten, ist die Gesamtheit aller Merkmale (und damit aller Allele) zu betrachten.


Identität


Nun zum zweiten Punkt des Posttitels:

Wer bin ich eigentlich, was macht mich aus? Mich wundert es immer wieder, wie sehr sich viele Mitmenschen an bestimmten Eckdaten orientieren, wenn es darum geht, sich gegenseitig kennenzulernen. Erwartet werden in erster Linie - mit je nach Situation und individueller Präferenz wechselnder Gewichtung - Informationen über Name, Herkunftsland/Wohnort, Alter, Geschlecht, Nationalität, Religion etc.

Die Fragen "Was bist du?" oder "Was machst du?" zielen in der Regel auf Antworten wie z. B. "Ich bin Biologe." ab. Aber hey, ich lasse mich nur äußerst ungern auf einen Beruf reduzieren, nur weil mir irgendein offizielles Dokument bestätigt, dass ich irgendwann mal irgendwelche Prüfungen bestanden habe! :)
Ich sehe mich nicht vor allem als jemanden, der einen bestimmten Beruf ausübt oder aufgrund seines Geburtsorts Staatsbürger irgendeines Landes ist. Ich bin ein Mensch mit vielfältigen Interessen und Kenntnissen (ob nun von offizieller Seite bestätigt oder nicht), der sich über seine eigenen Gedanken und Ideen definiert und gerne die Chance erhielte, zusammen mit dem Diskussionspartner herauszufinden, welche davon sich als Schnittmengen zweier 'Mikrokulturen‘ herausstellen, wobei ich Alter, Geschlecht, Beruf, Nationalität oder Religion meist als eher langweilig-unergiebige Themen empfinde.

Ich erlebte es online bereits des Öfteren, dass Gesprächspartner unbedingt zunächst Dinge wie meinen Realnamen etc. wissen wollten. Man müsse sich doch kennen, wenn man ernsthaft miteinander reden wolle. Ich schrieb dann meist, um mich wirklich zu kennen, sei es wichtiger, zu wissen was ich denke als wie ich heiße.

Und genau das ist der Punkt: Weder Nationalität oder Religion, noch Geschlecht oder Alter bilden das Wesen eines Menschen, sondern seine Gedanken, Ideen, Ideale, Pläne, Wünsche, Träume und Taten sind es, die ihn ausmachen.


Loyalität


Wem gegenüber ist eigentlich jemand loyal, der nicht an größere homogene 'Wertegemeinschaften‘ glaubt?

Schlägt mein Herz denn wenigstens patriotisch für Staat oder Nation? Nein, alles bleibt kalt, ich glaube, ich fühle da gerade überhaupt gar nichts. :)

Ich habe nie verstanden, weshalb Menschen wertlose Dinge wie Flaggen oder Wappen verehren, von Ruhm, Ehre und Blutvergießen handelnde Hymnen singen oder Politiker pompös von marschierenden Soldaten empfangen werden. All dies ist mir völlig fremd.
Obwohl ich selbst auch niemals auf die Idee käme, z. B. während einer Fußball-WM Fahnen zu schwenken oder aus dem Fenster zu hängen, habe ich überhaupt nichts gegen friedlichen Patriotismus - ich teile ihn nur nicht. Da geht es mir so ähnlich wie mit Religionen: Solange mich niemand bekehren will, zu wem auch immer zu beten, oder dazu zwingen, selbst Patriot zu werden, lasse ich den Religiösen gerne religiös sein und den Patrioten Patriot.

Loyalität empfinde ich nicht gegenüber abstrakten Gedankenkonstrukten wie Staaten, Nationen oder Religionen, sondern ausschließlich gegenüber Menschen, die ich mag und liebe, Menschen, deren Leidenschaften, Ideen und individuelle Wert- und Moralvorstellungen ich teile, deren Taten ich bewundere, von denen ich - auch aufgrund ihrer von den meinen abweichenden Ansichten - etwas lernen kann, völlig egal, ob sie in meiner unmittelbaren Nähe wohnen oder 15000 km von mir entfernt, ob sie Atheisten sind, Muslime oder das Fliegende Spaghettimonster anbeten (wenn überhaupt glaube ich selbst ja an den Bittcoin, den ich jeden Tag darum bitte, doch endlich auf 100000 Euro zu steigen). :-)

Sort:  

Ach das mit den Rassen ändert sich doch eh immer mal wieder.
Wer erinnert sich schon noch daran, dass Italiener und Iren in den USA nicht als Weiße zählten.
Auch das mit der Kultur und den Interessen ändert sich immer wieder.
Wer weiß schon, dass Juden in den USA einmal den Basketballsport dominiert haben.

NBA. [...]
"Every Jewish boy was playing basketball," said the late Harry Litwack, who starred for the SPHAs in the 1930s before going on to coach Temple for 21 years. "Every phone pole had a peach basket on it. And every one of those Jewish kids dreamed of playing for the SPHAs."
"It was absolutely a way out of the ghetto," added Dave Dabrow, also deceased, a guard with the original SPHAs. "It was where the young Jewish boy would never have been able to go to college if it wasn't for the amount of basketball playing and for the scholarship."

Quelle

Dabei waren es meist die Minderheiten, die von der vorherrschenden Kultur abwichen, die den gesellschaftlichen Fortschritt brachten.
Ich empfehle als Lektüre:

Es sind immer die Gammas, welche die Gesellschaft weiter bringen - nie die Alphas..

Ach das mit den Rassen ändert sich doch eh immer mal wieder.

Ach, aber da halte ich mich doch gerne an den, auch für mich als Biologen logisch erscheinenden State of the Art.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht in Stein gemeißelt, aber dennoch das, was der Wahrheit oft am nächsten kommt ... Was die Zukunft bringt, werden wir sehen.

Auch das mit der Kultur und den Interessen ändert sich immer wieder ...

... und jetzt kommt auch noch dieser @jaki01 und revolutioniert das gesamte Forschungsfeld mit dem neuartigen Begriff der 'Mikrokultur' jedes Individuums. :-)))

Ach, aber da halte ich mich doch gerne an den, auch für mich als Biologen logisch erscheinenden State of the Art.

Natürlich. Ich finde es ja auch interessant, was wir alles wissen bzw. nicht wissen.
Dachte man nicht immer, Afrikaner haben keine Neandertaler-Gene.
Wurde ja jetzt auch widerlegt.

Irgendwann werde ich mal so einen 23andme Test machen...

Der Mensch ist eigentlich ein schönes Beispiel für Mengenlehre - lauter Schnittmengen der unterschiedlichsten Wesenszüge, Interessen und Fähigkeiten. Die überschneiden sich mit diesem mehr, mit jener weniger - und vor allem auf ganz unterschiedlichen Gebieten. Das finde ich durchaus spannend. Es gibt z. B. genug Menschen, mit denen ich mich bewusst nur über unser gemeinsames Hobby unterhalte, weil wir sonst in Gebiete kommen würden, wo wir verschiedener nicht sein könnten.

Und beim Thema "Name" stimme ich dir zu. Ich bin seit mehr als 20 Jahren im Netz unterwegs und nach einem unangenehmen Erlebnis (heute würde man es Stalking nennen) mit Nicknames. Es gibt Menschen, mit denen ich mehrfach übers Wochenende zelten war oder seit Jahren regelmäßig online Pen&Paper-Rollenspiel mache. Meinen Vornamen kennt vielleicht ein Dutzend und den Nachnamen... wozu? Nach einer halben Stunde Gespräch weiß man viel mehr vom anderen, als ein Name es je bewerkstelligen könnte.

Ah, da greift jemand den Mengenlehrenvergleich auf, freut mich. :)

Nach einer halben Stunde Gespräch weiß man viel mehr vom anderen, als ein Name es je bewerkstelligen könnte.

Ja, und den Namen kann man ja später immer noch nennen, so man denn will ... Was mich wundert, ist die Fixiertheit auf diese 'Eckdaten', welche mir oft wie auf eine Art virtuelle, abzuarbeitende Checkliste geschrieben vorkommen.

Mit dir kann man auskommen. Deine Einstellung ist angenehm. Das weiß ich ja... ;-)
Das freie Individuum ist mir heilig. Ich merke aber, daß ich doch sehr heimatgebunden bin an Orte, an denen ich gerne länger verweile, bzw. verweilt habe.

Ich merke aber, daß ich doch sehr heimatgebunden bin an Orte, an denen ich gerne länger verweile, bzw. verweilt habe.

Nun, was sollte auch dagegen sprechen? :)

Nichts natürlich :-)

Ich stelle nur immer wieder fest, daß ich ziemlich ortsgebunden und reisefaul bin ... :-) :-)

Da war viel Richtiges drin und auch eine Menge Falsches, obwohl diese beiden Begriffe eigentlich zu absolut für das Thema sind, denn was gerade "richtig" und was "falsch" ist, ist jeweils relativ zu anderen Faktoren, z.B. der Zeit. Gut argumentiert, auch wenn ich deine Standpunkte und vor allem die Schlussfolgerungen daraus nicht sehr weitgehend teile.

Ich finde die Idee der "Mikrokultur" interessant, aber daraus zu folgern, dass "Normen" oder eine "Leitkultur" keine Rolle spielen, halte ich für höchst abenteuerlich. Es ist doch so: Alle Menschen sind verschieden. Um ein vernünftiges Zusammenleben zu ermöglichen, muss es genug Gleichheit geben, damit man miteinander auskommt und genug Verschiedenheit, damit es nicht langweilig wird. Das ergibt sich so in der kleinsten Einheit (Ehe o. Familie) bis hin zu größeren Gebilden (Staaten). Das ist aber keine statistische Clusterung, die sich aus einer zufälligen Mischung einfach so ergibt, sondern es ist vielmehr so, dass sich "jedes Töpfchen sein Deckelchen" gezielt sucht.

Eine Ehe, die nur daraus besteht, dass die Partner sich ständig tolerieren müssen, damit sie sich nicht wegen ausgefranster Nerven den Schädel einschlagen, wird nicht lange halten und im Chaos enden. Es muss genug Schnittmengen für das Zusammenleben geben, sonst kann sich eine zusammenschweißende Gemeinsamkeit nie entwickeln. Dabei ist es wichtig, dass die Partner "schöne" gemeinsame Erlebnisse teilen und nicht nur durch "Zweck" zusammengehalten (gezwungen) werden.

So ist das auch in größeren Einheiten bis hin zum Staat. Der Respekt für eine künstliche Verfassung als Minimalkonsens reicht hier noch lange nicht aus!

Aus diesem Grund glaube ich nicht an Ländern, Nationen oder Menschen bestimmter Religion zuordenbare kulturelle Eigenheiten oder Werte

Ob Du es glaubst oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist. Länder z.B. sind trotz vieler gegenteiliger Bestrebungen zum Glück immer noch als solche zu erkennen. Man merkt es sofort, wenn man eine Grenze überschreitet, innerhalb weniger Kilometer. Die Globalisierung hat hier viel kaputtgemacht, aber noch sind die Unterschiede deutlich und das ist gut so!

Wie Du vermutlich weisst, habe ich lange in den USA gelebt. Was für ein kulturell langweiliges Land! Überall so ziemlich der gleiche von Staat und Kommerz vorgegebene Melting-Pot-Einheitsbrei. Und selbst dort halten sich hartnäckig zig-tausende "Töpfchen-Deckelchen"-Inseln, wo Menschen gleicher kultureller Prägung sich wie von selbst zusammenschließen (z.B. Little Italy, Chinatown, Little Haiti u.s.w.). Unfrieden entsteht überwiegend in zwei Fällen: Wenn von außen versucht wird, diese selbstgewählte Homogenität aufzubrechen, und wenn eine Gruppe sich gegenüber anderen Gruppen im Rahmen der aufgestülpten Regeln benachteiligt fühlt.

Multi-Kulti ist eben nur ein frommer Wunsch. Hört sich gut an, ist aber in der Praxis des menschlichen Zusammenlebens untauglich. Werde ich Dich je davon überzeugen können? Vermutlich nicht, also lasse ich es an dieser Stelle gut sein und wünsche dir einen schönen Sonntag.

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der vielleicht bisher beste Post auf Hive ;) super geschrieben; darf ich fragen wie du zu diesen Erkenntnissen gekommen bist?

Oh, danke, mit einem solchen Lob hatte ich nicht gerechnet!
Ich weiß gar nicht, ob "Erkenntnisse" (das klingt so nach absoluter Wahrheit), der richtige Begriff ist ... Ich habe einfach nur meine Gedankengänge niedergeschireben, und es freut mich, dass du ihnen etwas abgewinnen kannst.

Das Grundgesetz gibt dem Bürger nicht nur Ansprüche und Abwehrrechte gegen Staat, sondern es gibt eben auch eine Werteordnung vor, die in Deutschland gelten soll. Und ich finde, wir haben da ein ziemlich gutes und starkes Werk geschaffen. Im Endeffekt, darf jeder tun, was er will, solange er dabei nicht in die Rechte anderer eingreift. Was will man mehr?

Diese alten gedanklichen Strukturen von Staat, Nation etc dienen der Abgrenzung und der Zusammengehörigkeit. Menschen sind soziale Wesen und als solche suchen sie immer nach Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen. Dabei ist es einfach, wenn man sich ab einer bestimmten Gruppengröße von anderen Gruppen abgrenzt. Früher waren das Familien, dann Stämme, Völker und schließlich Nationen. Aber diese krasse Abgrenzung wird meiner Ansicht nach immer mehr abgebaut. Während vor dem Deutschen Bund Deutschland noch in hunderte Einzelstaaten zersplittert war, sind wir nach und nach zusammengewachsen. Das geht soweit, dass wir heute maximal nach noch den 16 Bundesländern, oder sogar nur zwischen Ost und West unterscheiden. Unsere Generation ist sogar schon soweit sich als Europäer oder gar Weltbürger zu sehen. Ich zweifele, dass vor 100 Jahren jemand gesagt hätte, dass er sich vor allem als Europäer sieht. Grenzen, Nationen, Geschlechter verlieren in einer globalisierten Welt an Bedeutung und das finde ich grundsätzlich gut. Problematisch ist es nur, wenn diese Strukturen durch neue ersetzt werden. Wenn in Zukunft nach anderen Kriterien als nach der Herkunft unterschieden wird. Wenn zum Beispiel nur noch der erbarmungslose Leistungsgedanke zählt und Menschen so wieder aussortiert werden.

Das sind gut nachvollziehbare Überlegungen.

Ein sehr guter Text, der absolut zum Nachdenken anregt. Das werde ich auch erst mal machen und dann antworten.

Liebe Grüße Michael

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Mir gefällt dein Kommentar, denn letztlich ging es mir weniger ums 'Recht' oder 'Unrecht' haben, sondern darum, in meinen Augen interessante eigene Gedanken, die zum Nachdenken anregen sollen, in die Blockchain zu meißeln! :)

Abgesehen davon beschreibe ich teilweise einfach mein subjektives Empfinden: Dass ich selbst z. B. nicht patriotisch bin, heißt ja nicht, es sei deshalb 'falsch', Patriot zu sein. Es ist ja auch nicht 'richtig' oder 'falsch', lieber Vanille- als Schokoladeneis zu essen, sondern schlicht Geschmackssache ...

I think your micro culture and identity are closely linked and formed by a lot of things while growing up. (Family, country of birth, religion etc.) Nice post.

Auch Du gehörst zu einer "Wertegemeinschaft", ob Du es eingestehst oder nicht. Deine grundlegenden Werte entstehen durch die Gemeinschaft, in der du aufwächst, daran kannst du garnichts ändern. Das nennt man Sozialisierung. Oder irgendwas ist schief gegangen, dann bist ein Soziopath, das wollen wir mal nicht hoffen.
Natürlich heißt das nicht, das alle Menschen in einer Wertegemeinschaft gleich sind, die selben Interessen, Ansichten usw. haben müssen. Solange es um "verhandelbare" Themen geht - gewisse Ansichten wirst aber auch Du mit 99,99% Deiner Mitbürger teilen.
Um das zu verdeutlichen, müßtest Du mal in einer völlig fremden Gesellschaft leben. Heutzutage ist das schon ziehmlich schwierig, durch die weltweite Vernetzung. Aber stell Dir mal vor, Du müßtest im antiken Rom leben, oder bei den australischen Ureinwohnern vor der "Zivilisierung" durch die Briten. Oder selbst im Hochmittelalter in Deutschland. Da würdest Du staunen, wie abstoßend diese Lebensweisen und deren Ansichten wirken. Oder einfach nur fremdartig oder unvernünftig.
Letztendlich kann niemand über seinen eigenen Schatten springen. Aber das zu erkennen ist schon mal ein wichtiger Schritt.

Deine grundlegenden Werte entstehen durch die Gemeinschaft

Wenn man aus "grundlegend" eine "Grundlage" macht, trifft es eher zu. Wir werden, während wir aufwachsen, von unserer Umgebung geprägt. Das beginnt bei den Menschen mit denen wir täglichen Umgang haben: Familie, Nachbarschaft, Schule, und immer weiter ziehen sich die Kreise. Auch Medien spielen eine Rolle - ob Fernsehen oder Bücher oder heute Computerspiele.

Aber wir nehmen das nur solange unreflektiert an, bis wir anfangen mit "Warum?". Damit meine ich nicht das kindliche "Warum ist der Himmel blau?" sondern ein Warum zu Ansichten, Verhaltensmustern. Wieso wird Samstags die Gosse gekehrt? Kann man doch auch an jedem anderen Wochentag machen (oder es lassen, die Autoreifen stört das bisschen Staub und Blätter nicht und wir haben eine Straßenreinigung, für die wir bezahlen). Warum findet es die Mutter meiner Freundin "nicht so schlimm", als mir als 16jährige ihr Vater auf den Hinter gehauen hat? Warum soll ich jenes, aber dieses nicht.

Sobald man in der Phase des Heranwachsens anfängt, die Umgebung zu hinterfragen, sich selber ein Bild zu machen und eine Meinung zu fassen, sind die Grundlagen nur noch das: Grundlagen, auf denen man aufbaut oder (wie bei Lego) Teile auseinander nimmt und neu errichtet.

Obwohl man viele Sachen, oft Kleinigkeiten, ungefragt übernimmt. In meiner Besteckschublade liegen Messer, Gabeln und Löffel in der gleichen Reihenfolge wie bei meiner Mutter. Und bei meinen drei Schwestern auch. War anscheinen für keinen von uns wichtig genug, Überlegungen anzustellen ob man es anders machen könnte ;)

Wenn man aus "grundlegend" eine "Grundlage" macht, trifft es eher zu.

Zu diesen Grundlagen zählt auch die genetische 'Ausstattung' (welche nicht nur im Phänotyp sichtbare Merkmale, sondern auch Charaktereigenschaften - zusammen mit Umweltfaktoren - mitdeterminiert), und hierbei ist interessant, dass die genetische Variabilität, wie weiter oben erwähnt, innerhalb von Populationen größer ist als die Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen - also auch hier bleiben genügend Freiheitsgrade, sich hinreichend selbst von den Menschen in allernächster Nähe zu unterscheiden. ;-)

Ich wollte jetzt nicht noch mit "Nature versus Nurture" anfangen - wobei dieser Post eine meiner "ich verdränge dieses bescheuerte Kürbisfest"-Verdrängungssachen ist.

Ja, das alte Streitthema zwischen Biologen und Psychologen ... Aber obwohl es natürlich schwierig ist, genaue prozentuale Angaben zu machen, welcher Anteil menschlichen Verhaltens genetisch bedingt ist und welcher erlernt, ist es wohl zumindest prinzipiell so, dass in vielen Bereichen die Gene einen Rahmen abstecken, in welchem sich der Wert einer Eigenschaft (z. B. der IQ eines Menschen) bewegen kann, und die Umweltfaktoren dann entscheiden, wo genau innerhalb dieses Rahmens er sich tatsächlich einpendelt.

Deine grundlegenden Werte entstehen durch die Gemeinschaft, in der du aufwächst, daran kannst du garnichts ändern.

Das ist zwar eine nett klingende Behauptung, mehr aber auch nicht. :)
Du weißt weder, was meine grundlegenden Werte sind, noch ob ich sie statistisch gesehen mit mehr Deutschen als beispielsweise Indern teile.

Oder irgendwas ist schief gegangen, dann bist ein Soziopath, das wollen wir mal nicht hoffen.

Verschiedenartigkeit von Menschen hat zunächst einmal gar nichts mit Soziopathentum zu tun.

... gewisse Ansichten wirst aber auch Du mit 99,99% Deiner Mitbürger teilen.

Ich bin mir sicher, weit mehr Ansichten mit meiner (ausländischen) Frau oder Freunden, die überall auf der Welt leben, zu teilen als mit einem Großteil aller Deutschen, von denen ich 99,99 % (um bei deiner Zahl zu bleiben) überhaupt nicht kenne.

Richtig ist: Es dürfte weltweit nur sehr wenige Menschen geben, mit denen ich überhaupt keine Ansichten teile. :)

Du müßtest im antiken Rom leben, oder bei den australischen Ureinwohnern vor der "Zivilisierung" durch die Briten.

Vielleicht würde ich ja enge Freundschaften mit einigen alten Römern und Briten schließen ... Da lebten sicher so einige, die mir 'seelenverwandter' waren als so mancher 'moderne' Deutsche.

Worin ich zustimme, aber das weißt du sicher ja, sofern du meinen Text aufmerksam gelesen hast, ist, dass nicht alle Eigenschaften statistisch gesehen planetenweit gleichmäßig verteilt sind.

Allerdings ist es doch schön, dass schon kleine Schnittmengen zweier 'Mikrokulturen' ausreichen können (z. B. eine gemeinsame Leidenschaft für das Schachspiel), um zwei sonst sehr verschiedene Individuen zu Freunden zu machen.

Es ist nicht meine Absicht - oder Aufgabe - Dich hier von irgendwas zu überzeugen.
Du solltest aber vieleicht in Erwägung ziehen, das nicht alles was Deine (und natürlich auch meine und die Aller) Sozialisation betrifft, Dir bewußt ist und das Du die freie Entscheidung hast ob Du Dich daran hältst oder nicht.
Nehmen wir mal Dein Beispiel mit dem Schachspiel. Ich vermute mal, Deine Freundschaft mit dem römischen Schachkumpel wäre recht schnell beendet, wenn er Dir erzählt das er seine Sklavinen fickt und neulich mal wieder ein Baby ins Klo geschmissen hat, weil eine davon schwanger wurde. Das ist doch was, worüber man beim Schach und einem Gläschen Wein herzhaft lachen kann, oder? Zumindest wenn man Römer aus der passenden Kaste ist.
Denn für die war das ganz normal damals.
Aber Du würdest den Typ dann wahrscheinlich nicht mehr so nett finden, schätze ich.

Was willst du bloß immer mit deinen Römern? Ich bin kein Geschichtsexperte, aber ich vermute, die meisten Römer schliefen immer noch am liebsten mit ihren eigenen Frauen, und viele konnten sich vermutlich gar keine Sklavinnen leisten. :)
Aber warum nicht gleich bis zum Homo erectus zurückgehen oder mich fragen, ob ich auch mit den ersten Einzellern gerne Schach gespielt hätte?

Bleiben wir doch lieber in der Jetztzeit, z. B. bei den Indern. Warum sollte ich nicht mit einem beträchtlichen Prozentsatz aller Inder mehr gemein haben oder genauso gerne Schach spielen wie mit x Prozent aller Deutschen?

Vielleicht würde ich ja enge Freundschaften mit einigen alten Römern und Briten schließen ... Da lebten sicher so einige, die mir 'seelenverwandter' waren als so mancher 'moderne' Deutsche.

Deshalb vieleicht? Auch wenn ich von Briten in dem Sinn nicht gesprochen habe, aber egal. Von mir aus kannst Du auch gerne einen Wikinger zum Schach einladen, oder einen Japaner aus dem 15. Jahrhundert.
Bei heutigen Indern wirds schon schwieriger, die sind zum großen Teil ziehmlich verwestlicht (auch die Briten schuld), aber sicher findet man auch noch welche, bei deren Ansichten auch Dir die Pappe aus dem Gesicht fällt.
Aber genug davon, wie gesagt, ich bin hier nicht zum missionieren.

Von mir aus kannst Du auch gerne einen Wikinger zum Schach einladen, oder einen Japaner aus dem 15. Jahrhundert.

Bau mir die Zeitmaschine - jetzt!

... aber sicher findet man auch noch welche, bei deren Ansichten auch Dir die Pappe aus dem Gesicht fällt.

Das glaub' ich gern, geht mir bei vielen Deutschen ja genauso ...

Ich möchte noch anmerken, nirgends geschrieben zu haben, Umweltfaktoren (Eltern, Lehrer, Freunde, Lebenspartner, gesammelte Erfahrungen, ...) hätten - neben der eigenen genetischen Ausstattung - keinen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen.
Ich bin jedoch nicht der Meinung, dies führte zu homogenen 'Wertegemeinschaften', allein schon deshalb nicht, weil verschiedene Menschen verschiedene Bezugspersonen haben, jeweils individuelle Erfahrungen sammeln und unterschiedliche Allelvarianten ihrer jeweiligen Gene aufweisen, auch dann, wenn sie in derselben Region aufwachsen.

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