Spontane Ordnung

in #deutsch2 years ago

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1. Spontane Ordnung im Vogelschwarm

Ein Vogelschwarm ist ein faszinierendes Naturschauspiel. Bei genauer Betrachtung, kann man darin Folgendes beobachten: Die Vögel müssen diesen Tanz nicht erst mühselig erlernen, und kein einziger Vogel in dem Schwarm dirigiert oder leitet das Ganze. Und doch entsteht es irgendwie. Was sind die Kräfte, die dafür sorgen?

Um das zu verstehen, müssen wir uns in die Perspektive eines einzelnen Vogels hineinversetzen. Dann können wir sehen, dass jeder einzelne Vogel einfach nur den Abstand zu seinen Nachbarn möglichst konstant hält. Wenn ein Nachbar näher kommt, dann geht er weiter weg und wenn ein Nachbar weiter weggeht, dann geht er ihm hinterher. So schieben und ziehen die Vögel aneinander und bewegen sich als großes Ganzes.

Jeder Vogel erreicht in dem Schwarm einen besseren Schutz vor Raubvögeln. Denn Hunderte von Augen sehen mehr als nur die eigenen zwei. Wenn wenige Vögel in dem Schwarm einen Falken sehen und ihm direkt ausweichen, dann schieben sie ihre Nachbarn indirekt von sich weg und damit auch von dem Falken. Manche Vögel in dem Schwarm werden so einem Falken ausweichen, den sie noch nicht mal gesehen haben. Jeder Vogel erreicht für sich das gleiche Ziel wie auch seine Nachbarn, ohne Pläne und ohne Leittiere. Das ist das Prinzip der spontanen Ordnung.

2. Sprache und Stromnetz

Die spontane Ordnung können wir auch bei Sprachen beobachten. Wenn es zum Beispiel in der Welt etwas Neues gibt, wie runde Dinger, die leuchten und wie eine bestimmt Frucht aussehen, dann denkt sich jemand dazu vielleicht "Glühbirne". Andere hören dieses neue Wort, und ihnen leuchtet gewissermaßen ein, worum es geht. Sie tragen die Wortschöpfung dann weiter, bis es jeder kennt. So erweitert sich unser Wortschatz, natürlich und dezentral, ohne einen Plan und ohne Komitee.

3. Spontane Ordnung im Stromnetz

Die größten von Menschen gemachten Systeme, sind die kontinentalen Stromnetze. Das Netz in Europa hat Verbindungen von Lissabon bis Istanbul und schafft es irgendwie, dass zu jeder Zeit genau so viel Strom eingespeist, wird wie auch verbraucht wird.

Wenn in einer WM-Finale zur Pause die Wasserpumpen im ganzen Land anspringen, weil jede Klospülung gleichzeitig bedient wurde, während auch noch ein Stück Pizza in jeder Mikrowelle aufgewärmt wird, dann geht die Frequenz im Netz runter. Die bereitstehenden Reservekapazitäten sehen dieses Signal, und ohne unbedingt zu wissen, was die Ursache für diesen Abfall ist, springen sie sofort ein und geben mehr Dampf auf ihre Turbinen.

Mit anderen Worten, wenn die Netzfrequenz vom Nennwert abweicht, dann ist das nicht einfach nur eine Ungenauigkeit, sondern es ist der Spielraum, der nötig ist, um die Belastung im Netz zu übermitteln. Das Netz überträgt also nicht nur Energie, sondern es hat auch gleichzeitig seine eigene Datenleitung. Eine elegante spontane Ordnung, die sich schon seid über hundert Jahren bewährt.

4. Spontane Ordnung im Markt

Unsere wichtigste spontanen Ordnung ist aber der Markt. Um das zu verdeutlichen, bedenke die Entstehung eines einfachen Bleistifts. Auf der ganzen Welt gibt es nicht einen Menschen, der in der Lage wäre, auch nur ein Bleistift herzustellen. Und trotz dieser Tatsache, erachten die meisten Menschen es als Selbstverständlichkeit. Sie sind blind für die Magie, wofür jeder Bleistift ein Zeugnis ist.

Um die Magie zu erkennen, müssen wir den Bleistift auseinandernehmen und uns fragen, woher seine Teile kommen. Da wäre zunächst die Mine. Entgegen dem Namen "Bleistift", ist sie nicht aus Blei, sondern aus einem Gemisch von Grafit und Ton. Das Gemisch presst man in eine Form und bäckt es in einem Ofen. Der Ofen braucht wiederum Kohle, womit wir beim Bergbau sind, mit seinen Baggern und Bohrern und dem Diesel oder Strom um diese zu betreiben. Die Kohle gäbe es auch nicht, ohne die längst weiter gezogenen Kundschafter, dank denen jemand überhaupt wusste, wo die Kohle zu finden ist.

Und das war nur für die Mine des Bleistifts. So könnten wir auch die Entstehung seiner anderen Teile verfolgen: Seien es die zwei Holzscheiben, zwischen denen die Mine gepresst ist, oder der Klebstoff, der die Holzscheiben zusammenhält, oder die gelbe Farbe, womit das Holz lackiert ist, oder der Kautschuk für den Radierer, oder der Ring aus Messing um den Radierer zu befestigen. Hinter all dem liegt ein dicht geflochtenes Netzwerk von ungeheurer Komplexität. Es ist über Jahrhunderte gewachsen und verkörpert den größten Teil allen menschlichen Wissens, verteilt in Milliarden von Köpfen, jeder mit einem kleine Anteil an der Herstellung von diesem scheinbar so einfachen Bleistift.

Wie kommt es, dass all dieses verteilte Wissen, unter immer wechselnden Umständen, harmonisch genutzt wird? Woher wissen wir, welche Güter wie, und wo, und von wem gemacht werden sollen? Die Antwort ist: die spontane Ordnung des Preissystems.

Markt als Auktion/Preisbildung

Jeder Preis ist ein Signal, sowohl für die Verfügbarkeit wie auch für den Bedarf. Er trägt Informationen über die Knappheit von Rohstoffen, die Verfügbarkeit von Kapital und Arbeitskräften, und über die Dringlichkeit des Bedarfs.

Die Preise bilden sich in einer ständigen Auktion auf dem Markt. Wenn ein Verkäufer sieht, dass seine Kunden ihm die Ware aus seinen Händen reißen, wird er seine Preise wahrscheinlich erhöhen. Wenn er umgekehrt auf seine Waren sitzen bleibt, wird er seine Preise reduzieren. Selbst wenn er dabei Verluste macht, ist das besser als noch größere Verluste zu machen, durch verdorbene Waren oder vergeudete Lagerkosten. Er muss nicht wissen, warum die Kunden seine Waren kaufen oder nicht, sondern er kann Profite kassieren oder seine Verluste minimieren und je nachdem seine Produktion erweitern oder zurückfahren.

Auf der Seite des Einkaufs, regulieren die Preise ebenfalls. Wenn Holz für den Bleistiftfabrikant auf ein Mal mehr kostet, dann muss er nicht wissen, ob jemand als Parkplatz für sein Schiff den Suezkanal ausgesucht hat, oder ob die Kanadier gerade die Bewirtschaftung ihrer Wälder nicht gebacken bekommen. Er muss nicht abwägen ob, in betracht aller bisherigen Verwendungen von Holz, ausgerechnet er jetzt den Kürzeren ziehen soll. Er muss auch nicht einen korrupten Apparatschik bestechen, oder schlimmer noch, bei einem kleinlich Apparatschik sich als Bittsteller demütigen um irgendwie doch noch an Holz zu kommen. Sondern, er kann kalkulieren, er kann nach Ersatzmaterialien suchen, er kann versuchen seine Verkaufspreise zu erhöhen oder er stellt seine Produktion auf etwas anderes um. Schlimmstenfalls muss er seinen nunmehr unwirtschaftlichen Betrieb schließen.

Kontra Zenrale Planung

Die Knappheit ist ein Teil unserer Welt. Die Natur schuldet uns nichts und unsere Mitmenschen schulden uns nicht ihre Zeit. Holz muss erst wachsen, abgeholzt und kleingesägt werden, zumindest solange wir Bleistifte haben wollen. Der Preis ist die Botschaft über die Knappheit und jeder Unternehmer ist dafür ein Botschafter. Wenn Verfügbarkeit oder Bedarf sich ändern, dann schlägt ein Signal wie eine Welle durch den Markt und das Verhalten unzähliger Menschen passt sich an. Es hilft nicht weiter den Preis zu verteufeln oder die Botschafter zu erschießen.

Wenn wir von einer Wirtschaft reden wollen, also von einem Prozess wo Ressourcen nicht verschwendet werden, wo Kapital nicht brach liegt und unsere Lebenszeit nicht vergeudet wird, dann ist es besser, wenn Entscheidungen von denen gemacht werden, die ihr Geld riskieren und die ihre Umstände kennen. Solange die Regeln des Privateigentums eingehalten werden, also keiner bestohlen oder betrogen wird, ist es besser, wenn vielen Millionen von Menschen nach ihrem Ermessen entscheiden, als die vermeintliche Alternative dazu, mit Plänen und Vorgaben von wenigen, denen es nichts kostet, wenn sie sich irren. Es ist besser, wenn wir keine Behörden ins Leben rufen, die Magnete für Sadisten sind, die eine immer engere Zwangsjacke schnüren, aus Verboten und Auflagen, aus Steuern und subventionierte Konkurrenz, bis jeder produktive Mensch ein würdeloser Befehlsempfänger ist.

Banausen

So viele Banausen für die spontanen Ordnung um uns zu haben, wäre halb so schlimm, hinge nicht soviel davon ab. Man könnte diese Banausen ja weiter rumpfuschen lassen zum Beispiel an der Sprache, würde sie dadurch nicht zu einem Minenfeld. Man könnte sie ignorieren, wäre nicht das Risiko für Tage im Dunkeln zu sitzen, weil das Stromnetz für sie eine Selbstverständlichkeit ist. Man könnte einfach weiter machen, wäre nicht die Gefahr, mit seinen wertlos gewordenen Ersparnissen vor leeren Regalen zu stehen. Und wer in der spontanen Ordnung die Handschrift des Herren sieht, würde sagen, dass man nicht erwarten kann, in Gottes Werk zu pfuschen, ohne damit die Hölle auf Erden zu beschwören.

Intuition und Mustererkennung

Warum wissen so wenige die spontane Ordnung zu schätzen? Beim Vogelschwarm schlägt unsere Mustererkennung aus. Das Muster können wir mit unseren Augen sehen, aber die Regeln, die das Muster produzieren, können wir nur mit dem Verstand begreifen. Der Schwarm lässt uns die spontane Ordnung erahnen, aber wie schaffen wir es, sie auch dann zu erkennen, wenn es keine schönen Muster gibt? Das bekannteste Beispiel der spontanen Ordnung könnte uns ein Hinweis geben.

Die Evolutionstheorie nach Darwin besagt, dass die Formen der Tiere und Pflanzen das Ergebnis zweier Kräfte sind: die zufällige Mutation und die natürliche Selektion. Bis diese Erklärung akzeptiert wurde, musste der Widerstand vieler Menschen überwunden werden. Es fiel ihnen schwer, sich von der Vorstellung zu lösen, dass die ungeheure Vielfalt der Natur direkt von einem Schöpfer gestaltet wurden.

Wenn wir eine Uhr sehen, vermuten wir einen Uhrenmacher. Für unsere Intuition ist eine Erklärung mit einer direkten Wirkung durch einen Akteur, attraktiver als eine Erklärung mit einer indirekten Wirkung durch ein Phänomen.

Evolutionspsychologie

Für unsere Vorfahren hat es sich bewährt, Gesichter zu sehen, selbst wo keine waren, hinter Ereignissen, Akteure mit Absichten zu vermuten, selbst wo Zufall als Erklärung reichen würde. Es war besser, sich zu irren und eine Gefahr zu vermuten, wo keine war, als eine Gefahr zu übersehen und es zu bereuen. So kommt es, dass viele heute, hinter Ereignissen der Weltgeschichte, geheime Machenschaften vermuten, anstatt in korrupten Institutionen die indirekte Wirkung perverser Anreize zu erkennen. Und wenn jemand die Leiden seiner Mitmenschen sieht, sucht er entweder nach Feinden, um sie für ihre Taten anzuprangern oder nach Verbündeten um sie zu unterstützen.

Unsere Umstände sind heute etwas anders als für unsere Vorfahren, für die es wenig brachte, die spontanen Ordnung zu erkennen. Denkmuster, die sich in für kleine Sippengemeinschaften bewährten, sind ein Problem für Gesellschaften von Millionen. Wir sehen Feinde, wo keine sind, und bürden Aufgaben auf Verbündete, die sie niemals erfüllen können. Schlimmstenfalls suchen wir nach starken Menschen, für die es keine roten Linien gibt, die nicht lange rumreden und einfach mal machen. Wir wollen starke Führer mit einfachen Antworten und großen Plänen. Aber der starke Führer ist bestenfalls ein Diletant und schlimmstenfalls ein Psychopath. Die einfache Antwort ist in Wirklichkeit ein Sündenbock und der große Plan ist zum Scheitern verurteilt. Wo nur Befehle und Verbote als Lösung akzeptiert werden, wo die unsichtbare Hand der spontanen Ordnung verspottet wird, dort folgen Konflikte, Armut und Leid.

Hoffnung

Aber alle Hoffnung ist nicht verloren. Der Mensch ist nicht komplett unfähig zu lernen. Die Evolutionstheorie hat sich weitestgehend durchgesetzt. Dank unserem größten Lehrmeister, dem Schmerz, erinnern sich selbst die Hofintellektuellen noch an die Weimarer Republik. Sie haben Angst vor Preisbindungen und Inflation. Sie erinnern sich auch an die Planwirtschaft und trauen sich selten, eine Verstaatlichung zu fordern. Vorbei ist die Mode des wissenschaftlichen Sozialismus.

Aber der Spuk unserer fehlgeleiteten Intuitionen ist deswegen noch lange nicht vorbei. Wer nicht Sklave seiner Gefühle sein will, muss versuchen, sich aus einer von Angst und Wut geprägten Gefühlswelt zu erheben. Wer seine Triebe zügelt und den Mut findet, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wer die spontane Ordnung erkennen kann, der kann vielleicht auch helfen ihre Zerstörung verhindern.


Text & Ton
Manuel Barkhau
Twitter

Schnitt
Lutz Olaf
Twitter

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