Das Rad der Zeit (Amazon Serie) - Ein Kommentar

in #deutsch2 years ago

Ich gestehe, ein echter Fantasy-Nerd zu sein. Vor allem als junger Erwachsener hatte ich eine Phase in der ich alles verschlungen habe, was an Fantasy-Literatur in die Finger bekommen habe. Insgesamt sicher über 100 000 Seiten. Fantasy hat mir die Bedeutung des Satzes gelehrt:

"Ein Leser lebt tausend Leben, bevor er stirbt. Wer niemals liest, lebt nur eins."
George R.R. Martin

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geklaut von Amazon

Wie recht der Schöpfer von Game of Thrones damit doch hat. Mein Weg dabei begann mit den Klassikern von Jules Verne, dem Hobbit und dem Herrn der Ringe. Relativ spät im Jahr 2003 entdeckte ich im Urlaub in einer Bibliothek auf Fehmarn die ersten 3 Bände vom Rad der Zeit. Ich habe die Bücher inhaliert und erst nach dem Urlaub (Internet gab es ja noch kaum) mit Schrecken festgestellt, dass es bereits 10 deutsch übersetzte Bände gab. In kürzester Zeit hatte ich auch diese gelesen und seitdem konnte ich es immer kaum erwarten den neuesten Band in die Hände zu bekommen. Zuerst auf englisch, dann auf deutsch.

Die Meldung von Robert Jordans Tod im Jahr 2007 war ein echter Schock, nicht nur, dass einer der großen zeitgenössischen Fantasyautoren tot war, sondern auch, weil die Geschichte die mich seit Jahren fesselte noch nicht abgeschlossen war. Zum Glück gab es genügend Notizen und Anweisungen wie die Geschichte zu Ende gebracht werden soll und Brandon Sanderson komplettierte die Reihe in einer Zeit in der ich aus gesundheitlichen Gründen wieder viel Zeit zum Lesen hatte. Ich las also erneut und in einem Rutsch die komplette Reihe auf englisch und hörte später das Hörbuch beim Autofahren von Kunde zu Kunde bei meiner Arbeit. Erst auf deutsch, dann auf englisch. Nicht mal mit dem Herrn der Ringe habe ich mich so stark beschäftigt. Vielleicht das Lied von Feuer und Eis habe ich ähnlich häufig gelesen.

Grundsätzliches

Bei Verfilmungen von Fantasy war ich immer skeptisch. Die Comic-Verfilmung vom Herrn der Ringe gefiel mir gar nicht. Die Verfilmung vom "Schwert der Wahrheit" war ein Desaster (Das Original ist eines der wenigen "libertären" Fantasy-Werke die es gibt, da der Autor als eine seiner Haupteinflüsse Ayn Rand angibt). Die Verfilmung von Eragon war OK und mit der Herr der Ringe schrieb in der Verfilmung Geschichte. Man hatte gelernt vom kitschigen wegzukommen, was immer die größte Versuchung und Gefahr bei Fantasy-Verfilmungen ist. Dann kam GoT. Die Umsetzung war grandios, wenngleich der Schluss, bzw. vor allem die letzte Staffel (was ja im Original noch nicht geschrieben ist) etwas flapsig und hektisch daher kommt.

Meine Erwartungen zum "Rad der Zeit" waren also entsprechend hoch.

Inzwischen sind die ersten 7 Folgen der ersten Staffel verfügbar. Anfangs war ich irritiert, ein wenig überrascht, wobei ich mir nicht sicher war ob positiv oder negativ. Zwischendurch war ich verärgert und mittlerweile bin ich versöhnt mit Abstrichen.

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geklaut bei headtopics.com

Wer sich das Rad der Zeit ansieht bekommt solide Unterhaltung. Die große Gefahr des Kitschigen wird gekonnt vermieden. Die Wahl der Schauspieler ist gewagt aber größtenteils passend. Rosamund Pike spielt Moiraine, die Aes Sedai. Eine tolle Wahl, die von Pike auch gut ausgefüllt wird. Perrin wird von Marcus Rutherford verkörpert. Selbst wenn man manchmal den Eindruck hat, dass er nicht bis drei zählen kann ist, das eine fast perfekte Schauspielerwahl. Nynaeve, gespielt von Zoe Robins wirkt zu jung und zu hübsch im Vergleich zu Egwene, die eigentlich die Dorfschönheit ist und die mit der australischen Aborigine Madelaine Madden eine eher herb ungewohnte Wahl ist, die aber gut passt, sobald man sich daran gewöhnt hat. Mat und Rand sind auch gut getroffen mit dem Niederländer Josha Stradovski als Rand al Thor und Barney Harris als Matrim Cauthon. Anfangs schwer befremdlich war die Besetzung des "Nordländer" Lan Mandragoran mit Daniel Henney, der eigentlich für sein koreanisches Aussehen bekannt ist. Zu klein, zu schlank, zu weich, zu jugendlich und vor alle zu freundlich. Immerhin wird dies logisch weitergeführt mit der Wahl der Schauspieler für die Grenzlande. Am weitesten weg vom Original ist wahrscheinlich Thom Merrilin, hat er im Original noch eine zentrale Wichtigkeit für die Entwicklung ALLER Charaktere, so verkommt er in dieser Adaption zu einer beiläufigen Nebenrolle ohne wirkliches Profil. Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass beim Cast fast zwanghaft auf eine möglichst diverse Crew geachtet wurde, obwohl die Bücher gerade durch das Wandern durch die verschiedenen Kulturzonen echtes Leben erhalten. Dass die Amyrlin und Padan Fain dann Schwarze sind und Moiraine mit der Amyrlin eine lesbische Beziehung hat ist komplett unnötig und meiner Meinung nach fehl am Platz. Gerade durch die Verklemmtheit der ländlichen Idylle in der die Hauptpersonen aufwachsen entstehen die lustigsten Situationen im Buch.

Der Inhalt

Der Inhalt... oh weh. Wenngleich mir bewusst ist, wie schwer es sein muss sinnvolle Handlungsstränge von unnötigen zu trennen um ein Werk aus 4,4 Millionen Wörtern (laut Wikipedia eines der umfangreichsten Werke der Literaturgeschichte) noch nachvollziehbar auf die Leinwand zu bringen, so wird hier auf so vieles "verzichtet" was die Bücher ausgemacht hat, dass mir anfangs ganz schlecht wurde.

In den Büchern wachsen die Charaktere an ihren Aufgaben, Problemen und (Fehl-)Entscheidungen. Ebenso geschieht im Original vieles über Gedanken, Minenspiel, Verdächtigungen, Vermutungen und Richtigstellungen. Das wäre eine echte Chance für die Darsteller gewesen. Die Träume fehlen bisher leider gänzlich, Der Weg in die Nordlande führt über eine andere Hauptstadt und damit sind 5 der wichtigsten Charaktere der ganzen Reihe noch gar nicht eingeführt, da die andorianische Königsfamilie komplett fehlt. Das ist in etwa so, als hätte man bei der Verfilmung von "Der Herr der Ringe" auf den kompletten Handlungsstrang um Merryn und Pippin verzichtet.

Dass alle Darsteller schon deutlich älter als in den Büchern sind, stört kaum, das kann eventuell sogar zu etwas führen und die Handlung grundsätzlich beschleunigen. Warum Perrin aber schon verheiratet sein muss und versehentlich seine Frau tötet ist bisher unnötig und in den Büchern natürlich nicht vorhanden. Die Buchreihe hat sicherlich Längen und ist an manchen Stellen unnötig aufgebläht, so werden die mächtigsten Frauen der Welt im Licht von Waschweibern gezeigt, kümmern sich mehr darum, dass ihre Kleidung richtig sitzt als sich um das Lenken der Welt zu kümmern. Aber in der Serie einen inneren Kampf und Selbstzweifel der sich über 3 Bücher zieht in einen 20 Sekunden langen Rückblick und eine Träne auf der Wange des Hauptdarstellers zu reduzieren ist schon sehr knapp und gewagt.

Die Landschaften sind überwältigend, kommen aber viel zu kurz. Bisher sind es fast 7 Stunden Spielzeit aber ich hatte nicht einmal den WOW-Effekt vom Herrn der Ringe oder GoT. Wenn wir schon am Vergleichen sind... GoT hatte regelmäßig echte Schocker parat, selbst wenn man die Bücher kannte. Die graphische Umsetzung war einfach zu gut gemacht. Bisher hatte ich dieses Gefühl erst ein einziges Mal in der letzten Folge, wie die Mutter von Rand ihren Sohn in der Mitte einer Schlacht auf die Welt bringt. Das war in den Büchern nur ein Nebensatz und ist in der Serie einfach Klasse angebracht.
Extrem enttäuscht hat mich die Rolle des Mat, der in den Büchern ein liebenswerter Lausbub ist, der sich und seine Freunde gern in harmlose Schwierigkeiten bringt, in den Büchern aber von Anfang an ein beinahe unerträglicher Griesgram ist.

Robert Jordan wurde einmal interviewt und da erklärte er, dass sein Hauptaugenmerk auf die Entwicklung der Charaktere lag. In etwa sagte er folgendes: "Es ist kein Wunder, dass Jesus 3 Jahre lang verschwunden ist, nachdem ihm offenbart wurde, dass er der Erlöser der Welt sein soll. Genau diese drei Jahre möchte ich mit den Büchern aus jedem Blickwinkel einfangen"

Insgesamt bin ich vielleicht mit einer falschen Erwartungshaltung in die Serie gestartet und werde auf jeden Fall weiter gucken, gespannt wie das Rad sich weiter dreht.

TLDR

Bisher ist "Das Rad der Zeit" eine nette Abendunterhaltung im Vergleich zu "Game of Thrones" jedoch bisher eher dünn umgesetzt. Es fehlen echte Gänsehautmomente, die das Buch hergäbe. (Beispiele aus GoT wären der erste Anblick der Eiswand, die "Krönung", das Pferdeherz, die Geburt der Drachen, die rote Hochzeit... Fans werden wissen was ich meine). Die Serie "Das Rad der Zeit" fühlt sich an als hätte man den Herrn der Ringe nicht in einem fast 10 Stündigen Epos verfilmt, sondern in einer 90 min Adaption. Gleichzeitig nervt die gezwungene Diversität des Cast und der Rollenumsetzung.

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Ich bin Fernsehverweigerer. Aber das Zitat oben ist klasse.
Und du hast eine informative Rezension verfasst.
Anerkennung.

Das ist ja lustig, ich bin auch ein grosser Fantasy Fan.
Schöne Review.
Ich hab die ersten 2 Teile angeschaut und habe dann erstmal auf Cowboy Bebop umgestellt ;-)
Rehived.

Hajo, das ist wirklich lustig. Mir ist es manchmal fast peinlich, aber mit meinen fast 50 steh ich immer noch total auf das Fantasy-Zeug.

Sind wir nicht alle ein bisschen $bluna ;-)

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