Im Wildnisgebiet Dürrenstein

in #deutsch4 years ago (edited)

Liebe Hiver und Freunde des Waldes,

das UNESCO Weltnaturerbe "Wildnisgebiet Dürrenstein" liegt im Südwesten Niederösterreichs im Bereich des 1878m hohen Dürrensteins. Ich bin im Zuge meiner Recherchen zu meinem Waldpost darauf gestossen und musste es mir einmal aus der Nähe ansehen!

Man darf ohne Guide so gut wie gar nicht hinein, nur an ganz bestimmte Stellen am Rand (1% des Gebiets), in die inneren Bereiche nur nach Anmeldung (die Warteliste ist voll, für einen regulären Führungstermin in der Kernzone muss man Jahre warten!). Das Wildnisgebiet beherbigt unter anderem ein 400 Hektar kleines Gebiet, Rothwald genannt, das unter strengstmöglichem Naturschutz steht, sogar strikter als in Nationalparks (die Kernzone ist Kategorie Ia der IUCN, das restliche Gebiet Kat. 1b, Nationalparks sind Kat.2). Ein Nationalpark ist ja ein Kompromiss zwischen Naturerhaltung und Erholung/Erziehung des Menschen, hier dagegen ist der Schutz des Gebiets einzige Priorität!

Der Rothwald gehörte ursprünglich zur Kartause Gaming, einem ehem. Kartäuser-Kloster, war dann lange im Besitz der Rothschilds (daher der Name), dann der Nazis, danach der Republik Österreich und wurde im Jahr 2019 an Thomas Prinzhorn, einen Papierindustriellen (ausgerechnet!) verkauft. Er gilt als einer der letzten Primärwälder Mitteleuropas, ist in einer weiten Mulde gelegen (auf 900 bis 1300m Höhe) und wurde nie forstlich bewirtschaftet, da aufgrund der Flachheit es früher zu mühsam gewesen wäre, die Stämme abzutransportieren und weil 1875 Albert Rothschild in einer für die damalige Zeit sehr visionären Weise diesen Wald für die Nachwelt erhalten hat (trotz aller Widerstände), sodass er sich seit der Würm-Kaltzeit (der letzten Eiszeit) völlig ungestört entwickeln konnte.

Eine Karte des Gebiets mit den wenigen freigegebenen Wanderwegen:
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https://www.wildnisgebiet.at/freigegebene-wanderwege/

Der Rothwald ist auf der Karte südöstlich des Gipfels vom Dürrenstein, wir waren am Freitag im Rahmen der Führung "Wildnisgebiet kompakt" in einem Gebiet zwischen dem Dürrenstein und dem Noten, einem früher bewirtschafteten, aber seit ca. 25 Jahren ebenfalls geschützten und sich selbst überlassenen Wald, der vor allem aus Buchen, Tannen und Fichten besteht, mit wenigen Erlen, Eschen und Bergahorn. Für Eichen ist es in dieser Höhe (ab 800m) zu kalt.

Die einzigen Eingriffe des Menschen sind die wenigen Führungen, die Forschungsaktivität und eine gewisse "jagdliche Regulierung", da ein Überhandnehmen der Rotwildbestände zu starken Schäden an den Jungbäumen führen würde. Der letzte Punkt ist heikel und es gibt nicht wirklich einen Konsensus über die beste Vorgangsweise.

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Hier scheinen zwei Bäume zusammengewachsen zu sein.
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Aus einem bemoosten Baumstumpf wächst eine junge Fichte heran.
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Eine uralte (>800 Jahre?) Eibe, unten völlig hohl, die schon Etliches überlebt hat (unter anderem, dass eine umgestürzte Buche einen Teil ihrer Krone zerstört hat), aber unverwüstlich zu sein scheint. Eiben sind extrem verwitterungsresistent und können bis zu 1000 Jahre alt werden - neben Eichen eine der ältesten Pflanzen in Mitteleuropa. Sie wurden früher von den Bauern in den Wäldern nahezu ausgerottet, da sie giftig sind und daher gefährlich für die Pferde (die früher in der Waldwirtschaft sehr wichtig waren).
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Das besondere an einem naturbelassenen Wald ist die Unmenge an Totholz, die zu sehen ist, da es viele Jahre dauert, bis ein Baumstamm komplett zersetzt ist. Einen Großteil der Arbeit übernehmen dabei Pilze, wie zum Beispiel der Zunderschwamm, der vor allem Buchen befällt. Er brennt wie Zunder (daher der Name) und wurde schon in der Steinzeit verwendet, um Feuer zu transportieren!
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"Stehendes" Totholz ist ebenfalls ein wichtiger Lebensraum für unzählige Insektenarten und auch Brutplatz für Vögel. Irgenwann wird ihn dann ein Windstoß niederstrecken.
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Fruchtkörper eines Zunderschwamms, der zuerst an einem noch stehenden Baum gewachsen war und der sich dann, nachdem er umgefallen war, "drehte", um seine Unterseite (mit den Sporen) vor Regen zu schützen.
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Eine riesige Buche.
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In dieser Ansicht sieht man die relativ starke Hanglage. Diese Buche muss Glück gehabt und eine tiefe Felsspalte gefunden haben, in der sie sich gut verankern konnte, der Boden selbst wäre nie tief genug dafür. Andernfalls wäre es unmöglich gewesen, solch breit ausladenden Seitenäste zu entwickeln, auf denen im Winter eine immense Schneelast liegen muss.
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Das Gebiet der nördlichen Kalkalpen hat seinen Namen von der kilometerdicken Kalkschicht, die vor ca. 250-150 Mio. Jahren aus den Skeletten von Meeresbewohnern entstanden ist. Damals war hier ein Meer, das sog. Thethysmeer. Die Megalodonten oder auch "Kuhtrittmuscheln" genannt, sind recht häufig anzutreffende Fossilien in den Kalkfelsen.
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Hier hat eine massive Schneelawine gewütet und Bäume mit "Stumpf und Stil" mit sich gerissen.
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Wie eine ausgeleerte Packung Streichhölzer sind sie schliesslich im Bach gelandet. Die räumt hier niemand weg und es wird Jahrzehnte dauern, bis der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt sein wird. Tatsächlich sind solch "zugemüllten" Bäche der Normalzustand und an den immer wie leergefegt wirkenden Wasserläufen in der "zivilisierten" Welt erkennt man den menschlichen Eingriff.
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Die Wildnis hat von der ehemaligen Forststrasse nicht mehr viel übrig gelassen.
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Neben all des großen Dingen gab es aber auch viel Kleines zu entdecken (wie immer, wenn man achtsam ist). Zum Beispiel diese Spinne, die sorgsam den Kokon mit ihrem Nachwuchs mit sich herumträgt. Leider hatte sie sich beharrlich geweigert, in die Kamera zu sehen.
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Ein Echter Seidelbast (Daphne mezereum) mit seinen charakteristischen roten Beeren. Diese Art ist sehr stark giftig (3 bis 5 Beeren können ein Schwein töten) und wurde früher als Abführ- und Brechmittel und zur Wunddesinfektion genutzt. Er ist ein typischer Buchenbegleiter und lebt in Symbiose mit Mykorrhizapilzen.
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Auch der Gelbe Eisenhut, oder Wolfs-Eisenhut (Gattung Aconitum) ist hier häufig anzutreffen. Auch er ist äußerst giftig, da er neurotoxisch wirkende Alkaloide produziert. Sein Name kommt daher, dass er im Mittelalter in Giftködern für Wölfe eingesetzt wurde.
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Die Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis) ist eine unscheinbare Pflanze, die zur Familie der Orchideen gehört. Sie hat kein Chlorophyll, da sie auf einem Pilz parasitiert und sich von ihm ernährt. Da dieser Pilz selbst wieder ein Mykorrhizapilz ist und Nährstoffe von den Bäumen bezieht, spricht man hier von Epiparasitismus.
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Noch eine prächtige Buche.
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Vor 2 Jahren hat man im Gebiet rund um den Dürrenstein noch einen Luchs gesehen. Derzeit weiß niemand, ob es noch Luchse gibt.
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Auch sollen hier gelegentlich Steinadler ihre Kreise ziehen. Doch bei dieser Kurzführung hatten wir kein Glück.
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Alle Fotos by @stayoutoftherz

!pinmapple 47.784447 lat 15.018920 long Wildnisgebiet Dürrenstein d3scr

Posts zum Thema:
Wald und Mensch Teil I - Geschichte des Waldes und des Menschen

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Wunderbare Natur. 1 A festgehalten und sehr gut geschrieben.
Rehived.

Nein ein Steinadler ist auf deinem Bild nicht zu sehen. Aber ein Schwalbenschwanz (Papilio machaon) fliegt dafür durch die Luft. Dein Beitrag ist wirklich klasse!

Danke! Und danke für die Ergänzung!

Jederzeit gerne!

Das sind sehr schöne Aufnahmen. Danke fürs teilen!

Wirklich beeindruckend!

Sehr sehr schöner Post 👌

Ist Dir gut gelungen der Blog.
Ein wirklich schönes Gebiet :)

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Ich bin stark beeindruckt. Ein wirklich außergewöhnlich guter Artikel. Ich bin froh dass es solche Gebiete noch gibt und dass sie auch so geschützt werden.

LG Michael

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