Strandurlaub und Inselferien. In Sibirien.

in #deutsch4 years ago

Nein, wir sind nicht in den Süden gefahren und ja, wir sind immer noch in Sibirien. Und wir haben wirklich Strandurlaub und Inselferien gemacht. Wie echte Vanlifer, die es im Winter ja auch immer an den Strand zieht. Wunderschön!

Doch zunächst mussten wir uns von Tatiana und Sergej auf dem Hof trennen. Und von den beiden Katzen. Und von den Ziegen. Und von Tatianas Essen, unserer Datscha und überhaupt… Von den Ziegen gab’s zum Abschied noch einen Liter frische Milch, von den Hühnern zwei Eier und von Tatiana eine feste Umarmung. „Kommt im Sommer wieder!“.

Wir brauchen aber gar keinen Sommer, um Strandurlaub zu machen. Der Vorteil von „Beachlife“ im Winter ist nämlich: der Strand ist menschenleer und man kann die Natur in voller Ruhe genießen. 12km holprige Piste führten uns in eine einsame Bucht, in der die Wellen des Baikalsees auf den Kiesstrand schlugen und die Steine mit lustigen „Eispanzern“ zu „Eisschildkröten“ machten. Oder sie so glasklar mit Eis überzogen, als seien sie alle auf Hochglanz poliert. Traumhaft schön!

Morgens saßen wir lange vor dem Fenster und hofften, in der Abgeschiedenheit vielleicht auch andere Tiere als Raubvögel beobachten zu können. Einen Hirsch vielleicht? Oder Luchs? Kein winteraktives Tier hatte Lust, sich uns zu zeigen. Kein Wunder, es war unter -20°C und die Tiere hatten keine Standheizung wie wir.

Bei so einer knackigen Kälte passieren lustige Sachen: Jan war am Wasser, um mit einer Flasche Wasser zu schöpfen. Bis er die Flasche aus dem Wasser hatte und den Deckel aufschrauben wollte, waren die Wassertropfen rund um das Gewinde schon gefroren und der Deckel ging nicht mehr drauf. Wirklich erstaunlich, dass der See in unserer Bucht keine Eisschollen hatte!

Wir rumpelten mit Kittymobil durch die einsame Landschaft und gingen zu Sonnenuntergang an Bord der Fähre auf die Insel Olchon. In der „Meeresenge“ (natürlich ist es ein See) zwischen Seeufer und Insel schwammen viele dicke Eisschollen. Aber die Fähre fuhr. Für uns Europäer etwas ungewohnt: die Fähre arbeitete sich durch die Eisschollen und das Geräusch, das dabei einsteht, ist nicht gerade vertrauenswürdig. Aber: geht! Geht gut!

Wir kamen in der Dämmerung auf der Insel an und suchten einen Stellplatz am Wasser. Bloß dass es kein Wasser gab, denn wir standen an einer so engen Bucht, dass diese schon komplett zugefroren war. Nach dem Frühstück hörten wir: von wegen „still und starr ruht der See“! Der See spricht! Er singt, er gurgelt, er zwitschert, er pfeift, er rumort und grunzt. Wenn man sich auf das Eis setzt, hört man es ziemlich laut. Sehr geheimnisvoll und leider weder mit den iPhones noch mit der guten Videokamera zu dokumentieren.

Manchmal knallt der See richtig laut, sodass man sich erschreckt, wenn man auf dem Eis sitzt und den eigentlich lieblichen Geräuschen lauscht. Wir hatten solch einen „singenden See“ schon während unserer EISREISE erlebt, als wir mit den Motorrädern in Finnland auf dem Weg zum Nordkap in einer Hütte an einem See übernachtet haben und zwischen den Saunagängen nackt draußen im Schnee standen, um dem See zuzuhören… „Richtig Winter“ ist so schön….

Jeder, der Olchon besucht, läuft auch zum „Schamanenfelsen“: ein Felsen auf einer Art Mini-Halbinsel, der als einer der neun heiligsten Orte Asiens gilt. Im Vorfeld hatten wir schon gelesen, wie es dort im Sommer zugehen muss: selbsternannte „Schamamen“ bringen Touristen um Geld, merkwürdig spirituelle Urlauber trommeln und Buddhisten bringen Gebetstücher an Pfählen an. Touristen kaufen bunte Stofffetzen im Ort, um diese in den „Wunschbaum“ zu binden. Nicht so ganz unser Fall…

Doch im Winter waren wir allein. Kein Schamane, weder echt noch falsch, keine Trommler, keine spirituellen Reisenden, keine Touristen. Nur wir und der Wind. Und das raschelnde Eis des Schnees, der auf das Wasser gefallen war. Und wenn man ganz allein auf der Klippe steht und den Felsen anschaut, dann kann man doch ein kleines bisschen nachvollziehen, warum es heißt, dass dieser Ort „magisch“ sei und „energetische Kraft“ habe. Es ist schon wirklich ganz besonders schön…

Wir liefen zum ellenlangen Sandstrand und Jan freundete sich auch gleich mit einer jungen Strandschönheit an: einer sehr lieben Hündin, die beschloss, mit uns den Tag zu verbringen und uns zu begleiten. Wir ließen uns vom Eiswind rote Wangen pusten, spielten „Stöckchen“ und verbrachten einen tollen Tag am Strand. Bei nur noch -12°C übrigens. Und ganz viel Sonne. Traumhaftes Strandwetter und wieder: der ganze Strand für uns!

Egal, wo wir mit Kittymobil oder zu Fuß auf der Insel waren: wir waren allein. Aber an jeder Ecke Schilder für Fremdenzimmer, Strandhütten, Pension, Hotel, Café, Restaurant und Touren. Aber überall nur Vorhängeschlösser und geschlossene Fensterläden. Die Insel hielt Winterschlaf. Und nach all der touristischen Infrastrukur, die wir (geschlossen) gesehen haben, muss das für die 1500 Bewohner der Insel sicher auch mal sein.

Wir fanden wieder eine schöne Bucht und weil es früh dunkel wird, saßen wir im Bus und lasen. Ich hörte Geräusche vor der Haustür, doch ohne Mond kein Licht und wir sahen niemanden. Ich hörte wieder Geräusche. Und als Jan dann mit der Taschenlampe vom Handy in die schwarze Nacht hinaus leuchtete, sahen wir sie: wir waren umzingelt von einer Herde Pferde! Und eigentlich sahen wir nur ihre Augen im Schein der Taschenlampe leuchten und hörten sie leise schnauben und das braune Gras mümmeln, das unter dem dünnen Schnee noch für sanfte Pferdemäuler zu finden war. Romantisch schön!

Als es am nächsten Morgen hell wurde, hatten die Pferde mit einer Herde Kühen getauscht. Weniger romantisch. Wir rumpelten zurück über die Pisten der Insel zum Fähranleger und fuhren zurück aufs Festland. Da wir zwar viel am Strand waren und auch viel am See und trotzdem nicht gebadet hatten, war es Zeit für Banja. In Sibirien gibt es in jeder Kleinstadt eine öffentliche Banja. Und vor so einer Einrichtung parkten wir.

Jan hatte Glück und hatte die Männerbude voll lustiger Banjanutzer, ich hatte Pech: als ich die Banja betrat, zogen sich gerade 3 Frauen an und ich stand alleine da. Und war etwas verdutzt: eine Dusche gab es nur mit Eiswasser, frau wusch sich mit Wasserkübeln! Mein erster Versuch schlug fehl: ich ließ den Kübel voll Wasser laufen, bis er zu schwer war, um ihn über den Kopf heben zu können. Ab dann hatte ich es raus und ich muss sagen: viel besser als duschen! Herrlich! Später, zurück im Kittymobil, war ich dann doch ziemlich neidisch darüber, was Jan in der Männerbanja alles erlebt hatte. Aber ich bin ihm ja immer noch eine öffentliche Banja-Erfahrung in Moskau voraus…

Wir verbrachten eine Nacht an einem kleinen See, was aber ziemlich witzlos war, denn der See war natürlich nur eine weiße Fläche und kaum von der weißen Fläche zu unterscheiden, auf der wir standen. Naja. Vielleicht ist „Camping am See“ dann doch eher was für Sommer. Aber da sind dann die Mücken wieder ein Problem. Also doch besser Winter!

Wir fuhren zurück nach Irkutsk, weil wir Kittymobil etwas Gutes tun wollten. Beziehungsweise mussten. Als Mitteleuropäer glaubt man ja verschiedene Dinge zum Thema „KFZ im sibirischen Winter“, die in die Kategorie „Wintermärchen“ fallen. Der Europäer glaubt zum Beispiel, in Sibirien muss man einen Dieselmotor durchlaufen lassen und bloß nicht ausschalten, weil der Diesel sonst „versulzt“.

Nun, in Deutschland wird „Winterdiesel“ verkauft, der bis maximal -20°C funktioniert. Damit wären wir hier tatsächlich schon lange stehen geblieben. In der jetzigen „Überganszeit“ wird „Polardiesel“ verkauft, der bis -32°C nutzbar ist und wenn es dann wirklich Winter ist, gibt’s „Arcticdiesel“ bis -44°C. Und selbst, wenn „nur“ Polardiesel im Tank schwappt, kommt man dank Additive auf -42°C Tauglichkeit des Diesels. Der Diesel ist also kein Problem!

Was tatsächlich ein Problem ist, woran in Europa aber keiner denkt und was wir daher auch unterschätzt haben: das Motoröl ist nicht bis in so tiefe Temperaturen pumpfähig! Eigentlich hätten wir es wissen müssen, denn unser Putoline 5W40 Öl in den Motorrädern auf dem Weg zum Nordkap war nur bis -32°C pumpfähig. Unser jetziges Öl, auch ein 5W40, wird nur bis -30°C als pumpfähig angegeben. Selbst ein 0W40 Öl ist nur bis -35°C pumpfähig, was bei richtigen Wintertemperaturen auch wenig nützt. Und das Problem haben alle Fahrzeuge hier. Egal ob Diesel oder Benzin im Tank. Das Kühlwasser kann übrigens auch nur bis -42°C. Bei richtiger Dosierung und nicht europäischer Bestückung.

Da wir morgens schon -27°C hatten, wurde es langsam brenzlig und wir brauchten eine Lösung. Was macht der Russe im Winter? Nein, er hört nicht auf europäische Wintermärchen. Er lässt nicht den Motor laufen. Er fährt zum Laden und kauft eine russische Binar 5S Wasserstandheizung, die das Kühlwasser des Motors aufheizt. Und wenn er keine Heizung kauft, die mit dem Sprit aus dem Fahrzeugtank heizt, dann kauft er eine elektrische Variante. So sieht man morgens in Wohngebieten ziemlich viele Kabel aus Motorhauben hängen, die dann in Türen und Fenstern der Anwohner verschwinden.

Unsere Binar 5S wird auch in Deutschland verkauft und mit Diesel betrieben. Wir haben inklusive Einbau 430€ gezahlt und sind damit ab jetzt mit Kühlwasser und Motoröl auf der sicheren Seite. Zum Einbau fuhren wir zu Alexander, der vor etwa zwei Wochen schon unseren Anlasser von deutscher Salzsiffe entwässert und enteist hatte. Er baute uns die neue Heizung so ein, dass der Auspuff der Heizung einen Kringel um den Dieselfilter dreht und so auch diese „Schwachstelle“ behebt. Leider wurde er nicht wie ursprünglich geplant abends fertig, sodass wir wieder eine Nacht in der Werkstatt auf der Hebebühne verbrachten. Alexander fand auch noch einen etwas siffenden O-Ring am Ölfilter und fand es auch nötig, die Dellen, die Kittymobil bei den Offroad-Abenteuern seiner mittlerweile 11 Jahre mit mir im Unterfahrschutz erleiden musste, wieder auszubeulen. Kittymobil ist nun also faltenfrei. Allerdings nur von unten. Einen Postbus kauft man schließlich mit Charakter und postalischer Kaltverformung. 😊

Und weil ja mittlerweile Advent ist, musste natürlich auch unser Haus auf Rädern weihnachtlich geschmückt werden. Letztes Jahr verbrachten wir die Weihnachtszeit im Iran, wo Weihnachten nicht existiert und erlebten einen sehr merkwürdigen und verkorksten Heilig Abend. Dieses Jahr hat uns das Pech im Sommer mit dem Motorschaden vom Motorrad das Glück im Winter mit Kittymobil beschert, in der Weihnachtszeit zu Hause zu ein. Zuhause im Bus. Und da gehört natürlich auch Weihnachtsschmuck dazu!

Doch woher? In Russland ist Weihnachten 2 Wochen später und Weihnachtsmärkte, wie sie in Deutschland stattfinden, gibt es auch nicht. Wir wurden in der „China Town“ von Irkutsk fündig. Grell blinkender und dudelnder Weihnachtskitsch in schrillen Farben mit ganz viel Glitzer aus China. „Fernost“ klingt falsch, wir sind ja ziemlich fern im Osten. Und wir wurden fündig: Kittymobils Blumengirlande unter der Windschutzscheibe wurde mit einer Tannengirlande ersetzt, die Lichterkette über dem Sofa mit Tannengirlande und Schneeflocken umdekoriert, die Heckscheibe mit Fensterbildern verziert und ein Rest Tannengirlande fungiert nun als „Adventskranz“ mit Teelicht. Lebkuchen gibt es in Russland ganzjährig und so verbrachten wir einen wirklich schönen, gemütlichen 1. Advent auf einem tief verschneiten Stellplatz. Bilderbuchadvent!

Wir machen uns nun so langsam, aber sicher auf den Rückweg in die Mongolei, verabschieden uns von russischem Weihnachtszauber mit geschmückten Tannenbäumen, Lichterketten, weihnachtlich beleuchteten Straßen und festlich geschmückten Fußgängerzonen ohne Hektik und sind gespannt, wo wir tatsächlich Heilig Abend verbringen werden. Den Weihnachtsbaum dafür haben wir auch schon gekauft, aber erstmal in den Keller gebracht. Der wird erst am 24. aufgestellt und geschmückt!

In diesem Sinne wünschen wir Euch eine schöne Adventszeit. Macht es Euch gemütlich, zündet ein Kerzchen an, lest unseren Blog, schmökert in unserem Buch oder schaut unsere Videos und entflieht der Hektik um Euch herum. Wir schicken euch ganz viel Winterzauber und Feenstaub: trockener Schnee, der vom Wind von den Bäumen gepustet wird und im Sonnenlicht glitzert und funkelt wie Sternenstaub und Diamanten. Feenstaub, der über den Asphalt weht, über die Windschutzscheibe glitzert und alles mit einem Hauch Zauber bedeckt…

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was für ein klasse post.....hammer lg euch und tolle reise

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Danke für euren Einblick in eure Reise und sind ja auch schöne Fotos dabei. Ich kann die Ruhe im Winter am Strand gut nachvollzuziehen, diese Zeit hat ja auch was besonderes.
Euch ebenso eine schöne Adventszeit
Lieben Gruß,
Jens

Hallo Jens,
Genau: so ein einsamer Strand ist genau richtig für Advent und Kerzchen :-) Finden wir :-)

Ach, wie gerne würde ich das Schmuddelwetter hier gegen klare, wenn auch kühle Luft tauschen..
Viel Spaß euch und macht es euch kuschelig :)

Danke! Die Luft ist tatsächlich glasklar und man sieht die Kälte fast :-) Wir sitzen gerade bei Kerzchen auf dem Sofa und lassen die Kälte vor der Schiebetür :-)

Hallo Ihr,
Klasse!
wie habt Ihr das mit den Visa für so einen langen Zeitraum hinbekommen und wie habt ihr das mit den Registrierungen gemacht?