Persönlichkeitsbildung? Wo? In der Schule? Und unsere Kinder? Als Kollektiv? Die Schulpflicht und mehr!!!

in #deutsch3 years ago

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Wie angekündigt heute „die Schulpflicht“ und mehr.

Nun könnte nach all dem, was in den vorigen Artikeln zur Sprache kam, die Frage aufkommen: Warum unterwerfen sich potentiell freie Individuen oder deren Vormünder dem Schulbetrieb?

Antwort: Sie unterwerfen sich nicht; sie werden unterworfen, und zwar von eigens dafür bestallten Bildungsexekutiven, deren Aktivitäten staatsrechtlich abgesichert sind. Der Besuch von Schulen ist in vielen Ländern für die Heranwachsenden eine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht. Die in Deutschland sogenannte „Schulpflicht“ gilt für Kinder bis in das 15./16. Lebensjahr hinein.

Nachdem die Monarchen der deutschen Länder des 18. Jahrhunderts mit der Allgemeinen Schulpflicht den Anfang gemacht hatten, zogen die Regenten der anderen Nationen nach. Das deutsche Modell des obrigkeitlich organisierten Lernens auf der Basis von Schulgesetzen wurde zum Exportschlager.

„Schulen gleichen sich in den Grundzügen in allen Ländern, seien sie faschistisch, demokratisch oder sozialistisch, groß oder klein, reich oder arm.“ (Ivan Illich, 2003.)

Selbst die ehemaligen englischen Kolonien (einschließlich der USA) schlossen sich nicht der Bildungstradition ihres Mutterlandes an, sondern der deutschen Zwangsbildungsvision.

Die Engländer selbst hielten sich diesbezüglich einigermaßen zurück (Everett Reimer, 1972).

1919 wurde in Deutschland im Zuge der Entstehung der Republik ein einheitliches Schulgesetz („Reichsschulgesetz“) geschaffen, das die früheren Landesgesetze ablöste. Damit wurde die Schulpflicht auch für alle bisher noch privat Beschulten verbindlich. Das Reichsschulgesetz wurde 1938 novelliert und bezüglich seiner Sanktionsbestimmungen verschärft.

Die für die Schulbildung nach 1945 zuständigen deutschen Bundesländer übernahmen das nach dem Zusammenbruch 1945 noch bestehende Gesetz von 1938 in ihre Landesgesetzgebungen (ein durchaus fragwürdiges Unterfangen, aber das ist ein getrennt zu behandelndes juristisches Thema).
Nicht nur das, sie übernahmen es im Wesentlichen in der Form, die ihm die Nazis gegeben hatten. Seitdem drohen denen, die dem Gesetz zuwider handeln, Zwangszuführung, Zwangsgeld und Beugehaft. Die

„wohlwollende Maske der allgemeinen Schulpflicht“ (Hubertus von Schoenebeck, 1980)

müsste eigentlich Schulzwang heißen. Denn sie kann mit Polizeigewalt durchgepaukt werden.

Heute kann nicht nur das schulische Lernen bei den Erziehungsberechtigten eingeklagt, sondern sogar die Anwesenheit der Kinder in der Schule erzwungen werden. Das führt mittlerweile zu den seltsamsten Erscheinungen und Vorkommnissen. Der von Jan Edel (2007) geschilderte, völlig absurde Hergang um die Beschulung des Behinderten Timo ist kein Einzelfall. Edel sieht ganz richtig, dass es sich bei der staatlichen Bildungshoheit in ihrer heutigen Form um eine

„massive Rechtsbeugung“

handelt.

Häufig wird das Schulpflichtgesetz damit gerechtfertigt, dass damit der „Gleichheit der Bildungschancen“ der Weg zu ebnen sei. Kinder aus nichtbegüterten Familien sollen die gleiche Bildung genießen dürfen wie die der begüterten. So vernünftig diese Auffassung erscheinen mag, ihr mit Schulpflicht gerecht werden zu wollen, ist abwegig. Das ergibt sich schon daraus, dass nur Wenige das Geld haben, das erforderlich ist, um die durch die Schule entstandenen Entwicklungsschäden bei ihren Kindern wieder beseitigen zu lassen. Insofern schafft die Existenz des Gesetzes mehr Ungleichheit bei den Bildungschancen als dessen Nichtexistenz.

Eine der Folgen dieses Gesetzes ist übrigens, dass die Schulabgänger immer älter werden.

„In jedem Jahrzehnt ist die Zahl der Pflichtschuljahre erhöht worden, worauf ein nachdenklicher Zeitgenosse sich fragen muss, ob denn der Gesellschaft nichts anderes einfällt, wie sie aus Jugendlichen Erwachsene machen kann.“ (James Colemann nach John Holt, 1978).

Die Schulpflichtgesetze unterdrücken die Institutionalisierung freier außerschulischer Lernaktivitäten. Sie lähmen auch die Weiterentwicklung auf dem pädagogischen Sektor. Die angewandte Pädagogik bleibt für wirklich freies Lernen blind, obwohl sie ein solches ständig im Munde führt.
Mit welcher Frechheit die Bildungsfunktionäre auftreten dürfen und die Fakten verdrehen, davon zeugt der Satz der ehemaligen Schulministerin Ute Schäfer, den sie am 17.1.2005 im Westdeutschen Rundfunk von sich gab:

„Die Schulpflicht ist ein Recht der Kinder auf Bildung“ (zitiert nach Jan Edel).

Aber nicht nur aus den Schulpflichtgesetzen erwachsen Bildungszwänge. Auch die Verantwortlichen der Ausbildungsstätten innerhalb der Wirtschaft zwingen den Heranwachsenden den Schulbesuch auf, wenn auch nur indirekt. Das geschieht, indem die Schulabschlüsse und die Benotungsrituale der schulischen Prüfer zur Voraussetzung für den Einstieg in die Berufe gemacht werden. Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dem bleiben bestimmte Ausbildungsgänge verschlossen. Selbst wenn es also die Schulpflichtgesetze nicht gäbe, die Heranwachsenden wären aufgrund des Vorgehens in der Berufs- und Wirtschaftswelt trotzdem gezwungen, sich den Bildungszwängen der Schule zu unterwerfen, und das nicht nur bis zu ihrem 16. Lebensjahr.

Es ist also nicht nur „der Staat“, der das schulische Lernen zum Zwang macht. Es ist die Gesellschaft als ganze. Als durch und durch verschulte würde sie es als unnatürlich empfinden, dass irgendwelche Heranwachsenden der Schule fernbleiben oder dort keine Examina ablegen. Selbst in Britannien, das sich eine so beschämende Vergewaltigung des Lernens wie das Schulpflichtgesetz nicht hat aufzwingen lassen, schicken die weitaus meisten Eltern ihre Kinder auf die öffentlichen Schulen. Das tun die freiwillig! Und wir Eltern würden es ohne Schulzwang genauso tun, denn der Satz

„Gelernt wird in der Schule“ hat den Rang eines Naturgesetzes.

Nun zum sogenannten „heimliche Lehrplan“

Das Lernen an Schulen erfolgt nicht nach individuellen Lernplänen, sondern nach überindividuellen offiziellen Lehrplänen (s. Vorherige Artikel). Von einigen Schulkritikern, namentlich von Ivan Illich (2003), ist darauf hingewiesen worden, dass es neben den offiziellen Lehrplänen noch einen ganz anderen Plan an der Schule gibt, den von ihm sogenannten „heimlichen Lehrplan“. Der „heimliche Lehrplan“ formt die Seelenstruktur der Heranwachsenden nachhaltiger als der offizielle.

Ein eher vordergründiges Ergebnis des heimlichen Lehrplans ist die verfestigte Auffassung,

„dass Bildung nur dann wertvoll ist, wenn sie in der Schule durch einen stufenweisen Konsumptionsprozess erworben wird… Dem Publikum trichtert man den Glauben ein, dass Fertigkeiten wertvoll und zuverlässig nur dann seien, wenn sie auf einer richtigen Schule erlernt wurden, dass das Lernen über die Welt wertvoller ist als das Lernen durch die Welt.“ Die Unterrichtspraxis der Schule „vermittelt die unaustilgbare Botschaft…, dass das, was in der Schule nicht gelehrt wird, völlig wertlos sei und dass das, was außerhalb der Schulen zu lernen ist, nicht wissenswert sei“. Lernen sei nur dann gedeihlich, wenn es an Schulen erfolgt (Ivan Illich, 2003).

Dabei hat es stets eine Unzahl genialer Geister gegeben, die nie eine Schule von innen gesehen haben (Jan Edel liefert eine lange Liste solcher Schulbildungs-Querschläger; 2007). Mit unserer Schulgläubigkeit geht es uns offenbar so, wie unseren Vorfahren vor mehreren hundert Jahren:

„Früher glaubte man eben, die Erde sei eine unbewegliche Scheibe“, schreibt zu diesem Thema der Pädagoge Ekkehard von Braunmühl (1975).

Waren die Menschen lange genug dem heimlichen Lehrplan der Schulen unterworfen, glauben sie, professionelles Lernen müsse gemäß vorgefertigten Lehrplänen, in Jahrgangsgruppen und auf der Basis extrinsischer Motivation erfolgen. Deshalb findet es ein gut beschulter Mensch nicht absurd, seinen Nachwuchs gleichfalls beschulen zu lassen, ihn zur Vorbereitung aufs Leben ebenfalls den Schulen anzuvertrauen. Er hat kein Problem damit, dass dem Nachwuchs, zumindest beim Lernen an Sekundarschulen, eine Art Nürnberger Trichter aufs Haupt gesetzt wird und ihm in Form eines Abfüllvorgangs Wissen in sein Hirn hineingegossen wird, auserkoren zu nichts Besserem, als eines Tages „abgefragt“ zu werden.

So hat sich im Laufe vieler Jahrzehnte eine Vorstellung von „normalem“ und „ordentlichem“ Lernen herausgebildet, dass dem schulischen Lernen vor allen anderen Bildungsformen einen Vorrang einräumt. Deshalb haben viele Schülereltern auch keine Skrupel, ihren Nachwuchs an Schulen zu wissen. Sie haben ja auch gelernt, den Bildungsgang über Schulen als den natürlichen und einzig wertvollen Weg ins Leben anzusehen, obwohl sie mit den an Schulen erlernten Kenntnissen im „richtigen Leben“ nie recht glücklich geworden sind.

„Bildung ohne Schule scheint für die meisten Menschen in Deutschland wohl kaum noch vorstellbar. Sie halten Lernen ohne die schulüblichen Rahmenbedingungen wie Lehrpläne, Stundenpläne, Unterricht und Benotung für undenkbar. Somit tragen sie dazu bei, die Schule – oder genauer genommen: den Schulzwang - zum Dogma zu erheben“ (Bertrand Stern, 2006; s. auch Hubertus von Schoenebeck, 1980).

Die schulische Hirnverschmutzung hat ganze Arbeit geleistet.
Die Menschen werden

„durch das bloße Vorhandensein von Schule entmutigt und daran gehindert, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Überall in der Welt hat die Schule eine bildungsfeindliche Wirkung auf die Gesellschaft. Sie ist als Institution anerkannt, die sich auf Bildung spezialisiert. Die Fehlschläge der Schule werden von den meisten Menschen als Beweis dafür angesehen, dass Bildung eine sehr kostspielige, sehr schwierige, immer geheimnisvolle und häufig nahezu unlösbare Aufgabe sei.“

Es gibt keine Schule, die sich von diesem heimlichen Lehrplan frei wähnen könnte.

„Der heimliche Lehrplan ist immer der gleiche, wo und in welcher Schule auch immer“ (Ivan Illich; a. a. O.).

Eine Gesellschaft ohne Schule erscheint Vielen als vorsintflutlich. Nur Wenige waren und sind anderer Meinung, offenbar die Großmutter der berühmten Völkerkundlerin Margaret Mead:

„Meine Großmutter war auf meine Bildung versessen, daher ließ sie mich nicht zur Schule gehen.“ (zitiert nach Everett Reimer, 1972)

– „Lasst Schule sich nicht in eure Bildung einmischen“, ruft gleichen Sinnes Mark Twain

den Lernenden zu.

Soweit das vordergründige Lernergebnis des „heimlichen Lehrplans“. Es gibt aber ein weiteres Lernergebnis dieses „Plans“, das wesentlich subtiler und nachhaltiger als das soeben erörterte unser Bewusstsein bestimmt: Das an Schulen Gelernte gelangt in keinen Sinnbezug zum Ich des Lernenden. Der Sinnzusammenhang schulischer Lerninhalte stammt aus der Zentrierung dieser Inhalte um das Ich der Lehrenden, also der Lernveranstalter, seien dies Schulpolitiker, Lehrplangestalter oder die sich mit deren Sinnvorstellungen identifizierenden Lehrer. Ergebnis: Das lernende Ich wird in einen ich fremden Sinnzusammenhang hineingesteuert.

Auf dem Erlebnisgrund fehlender Eigensinnbezogenheit spielt sich so etwas wie Normalität ein. Irgendwann wird es zur Gewohnheit, dass man die Anstöße zur Eigenspontaneität von außen erhält, zunächst von den Schullehrern und Erziehern, später von den Anstoßgebern der Medien, der Wirtschaft und der Obrigkeit. Dort überall kommt Eigensinn immer nur über den Umweg der Erfüllung eines Fremdsinnes zum Zuge.

Das dokumentiert sich beispielsweise bei der Vorbereitung auf Prüfungen. Hier triumphieren jene, die am konsequentesten die Sinnfrage unterdrücken können bzw. die begreifen, dass sich die Sinnfrage beim schulischen Lernen ganz anders stellt als bei natürlichen Lernprozessen. Sie pauken daher skrupellos das in sich hinein, was man von ihnen in den Prüfungen verlangt. Sie zwingen Lerninhalte in ihr Gedächtnis, ohne nach deren Ich-Bezug zu fragen. Sie verzichten konsequent darauf, den Sinn des Gelernten bei sich selbst festzumachen. Wo aber der Sinnbezug der Lerninhalte zum eigenen Ich fehlt, hängen die Vorstellungsinhalte in der Luft, so reichhaltig und vielgestaltig sie auch sein mögen.

Schulisches Lernen führt auf sicherem Wege zum Sinnverlust. Sinnverlust bedeutet im vorliegenden Zusammenhang: die gelernten Vorstellungsinhalte wurzeln nicht im Ich, als dem Spontanzentrum des Menschen. - Aber aus diesem Zentrum heraus generieren sich alle menschlichen Aktivitäten. Ihr Ursprung ist der Wille.
Die Folgen der Nichtbeachtung dieses Sachverhalts hatte bereits 1842 der Gesellschafts- und Bildungskritiker Max Stirner in wünschenswerter Klarheit erkannt:

„Ein Wissen, welches sich nicht so läutert und konzentriert, dass es zum Wollen fortreißt, oder mit anderen Worten, ein Wissen, welches mich nur als ein Haben und ein Besitz beschwert, statt ganz und gar mit mir zusammengegangen zu sein, so dass das frei bewegliche Ich, von keiner nachschleppenden Habe geniert, frischen Sinnes die Welt durchzieht, ein Wissen also, das nicht persönlich geworden, gibt eine ärmliche Vorbereitung auf’s Leben ab.“

Das Ergebnis der Schulbildung kann kein eigenständiges und vom Personkern eines Menschen durchwachsenes und von daher auch krisengewappnetes Lebensprogramm sein. Es kann nur ein aufgepfropftes Fremdmuster sein, das sich nur dann aktiviert, wenn die Sinngebung von außen erfolgt. Das auf das eigene Spontanzentrum bezogene Lernen bleibt unentwickelt.

„Vermutlich weil heutzutage beinahe alle Kinder zur Schule gehen, sind sie so hoffnungslos unfähig, eigene Ideen zu entwickeln“, bemerkte Agatha Christie (zit. nach Jan Edel, 2007).

Die Kinder erscheinen, um mit Ivan Illich zu sprechen, „durch Verschulung verblödet“ (2003) Selbst die hochschulentlassenen „Erwachsenen“ stehen vielen Lebens- und oft auch ihren Berufsproblemen in abenteuerlicher Weise desorientiert gegenüber.

Die Psychostruktur der Beschulten ist der Gefahr ausgesetzt, beim leisesten Sturm (den Grenzfällen des Lebens) in sich zusammenzufallen.

„Indem die Schule die Menschen dahin bringt, auf ihre Verantwortung für ihr eigenes Wachstum zu verzichten, treibt sie Viele zu einer Art von geistig-seelischem Selbstmord“ (Ivan Illich, 1995).

Die Psychotherapeutin und Kindheitsforscherin Alice Miller spricht in diesem Zusammenhang vom

„Seelenmord in der Kindheit“ (1980).

Nun kann man einen Menschen nicht „seelisch morden“. Zerstört oder vernachlässigt man hingegen die Sinnbezüge seiner Bildung, das heißt die natürlichen Bezüge zum allein sinngebenden Ich, dann geht damit auch das Selbstwertgefühl des Ich verloren. Nur das eigensinnbezogene Wissen führt zu einem echten Handlungswissen. Die Schulbildung ist weit weg davon. Nicht die Persönlichkeit bildet sich, sondern ein verkrüppeltes Seelenleben, der bestgedüngte Nährboden für das Wachsen und Gedeihen der „Führer“ (s. nächster Abschnitt).

Nur eigensinnbezogenes Wissen geht eine natürliche Bindung mit dem Handlungswillen ein (Morris van Cleve, 1966).

Im idealsten Fall bildet die Schule eine beeindruckend füllige Baumkrone aus. Aber die ruht auf einem spärlichen Stamm. Ein solcher Baum kann beim leichtesten Sturm umknicken. Deshalb muss er durch Stützpfeiler immer gut gesichert sein.

Echtes Wissen ist immer Handlungswissen. Misslingt im späteren Leben die Praxis, dann erlebt sich der Beschulte häufig ohne solches Wissen. Er stellt fest, dass auf seinem Bildungsweg meistens nur

„Smog“ in sein Hirn gelangt ist (Claudio Hoffmann, 1983).

Es hat sich ein Wissen abgelagert, das vielleicht zum Lösen von Kreuzworträtseln und zum Bestehen der öffentlichen TV-Rateshows taugt, nicht aber zum Lösen von Lebensproblemen. Irgendwann verfestigt sich in ihm das Gefühl, ein kenntnisloser Versager zu sein, also in Bezug auf das Handlungswissen minderwertig. Infolge dessen schwindet das Gefühl für den Eigenwert. Aufgrund permanenten Praxisversagens stellt sich innere Unsicherheit ein.

„Schule erzieht die Masse der Schüler systematisch zur Hilflosigkeit, verfestigt ein Gefühl der Minderwertigkeit und unterhöhlt den Willen, die eigene Lebenswelt zu begreifen und zu erschaffen. Es tut sich eine gewaltige Kluft auf zwischen dem Anspruch der Schule und den tatsächlichen von ihr für die praktische Lebensbewältigung vermittelten Fertigkeiten“ (Hermann Rosemann, 1978).

Hinsichtlich der Lebensbewältigung ist das Schulsystem absolut ineffektiv, wie jeder schon bei sich selbst beobachten konnte.

„Aber es ist effektiv in der Erzeugung von ‚Schulversagern’, die kaum eine andere Chance haben, als destruktiv zu werden“ (Johannes Beck, 1994).

Auf eine „allgemeine Frustration und Sinnleere“ führt denn auch der leitende Oberstaatsanwalt der Untersuchung eines Schüleramoklaufs das auf diese aggressive Weise sich entladende Aufbegehren zurück (SPIEGEL, 14/2009).

Die Lernenden können sich dem von Schulen betriebenen sinnentleerenden Bildungsprozess nicht entziehen. Sie sind voll in ihm befangen und ihm ausgeliefert.

„Schulen durchdringen Leben und Persönlichkeit der Schüler unwiderstehlich und heimtückisch…“ (Everett Reimer, 1972)

Der Konflikt, in den das Schulkind während seiner Entwicklung gerät,

„steht eng in Verbindung mit schwer heilbaren Krankheiten…die schwersten und am wenigsten heilbaren“, ergänzt die Ärztin und Psychotherapeutin Maria Montessori (Nachdruck 1988).

Wo ein Bildungswesen den Eigen-Sinn der Lernenden zertritt, betreibt es großflächig Sinnberaubung. Die Schulbildung bewirkt die schlimmste Beraubung, die einem Menschen widerfahren kann: Die Beraubung des Selbstbezugs, die Zerstörung des Verhältnisses des Ich zu sich selbst. Das Ich verlernt,

„bei sich zu Hause zu sein“ (Max Stirner, 1842).

Das Ich lernt, sich auf Andere auszurichten und verliert dabei sich. Die Lernenden werden aufgrund der durchplanten und oktroyierten Schulbildung von ihrem Ich und dessen natürlichen Lernbedarf regelrecht weggezogen.

„Am Ende der Schulzeit stehen Wesen…, die sich selbst verloren haben“ (Hermann Rosemann (1978).

Bei den Schülern findet eine Zerstörung des Verhältnisses des Ich zu sich selbst statt. Solche Zerstörung ist das wohl folgenreichste Übel, das Menschen sich und anderen zufügen können. Es führt zu Stagnation, Fehlleitung und sogar Rückentwicklung der Persönlichkeitsstruktur. Ich möchte diese Erscheinung Regredation nennen, einem Kunstwort aus „Regression“ (Siegmund Freud: Zurückgebliebenheit bzw. Rückläufigkeit einer Entwicklung) und „Degradation“ (Herabwürdigung des Selbst).

Der Selbstverlust des Ich ist der Kern der Regredation. Die Regredation geht oft so weit, dass die Beschulten Offenkundiges in ihrer allernächsten Umgebung allein nicht mehr zu erkennen vermögen und solange nicht an die Wahrheit ihres eigenen Erlebens glauben, bis ihre Eindrücke durch einen „Experten“ bestätigt sind. Jedenfalls sind es recht deformierte Psychostrukturen, mit denen die Schule viele ihrer Opfer ins Leben entlässt.
Nun ist Regredation sicher nicht allein der Schule anzulasten. Die Organisation der Gesellschaft in Form einer Gebotsdiktatur (s. Abschnitte), in Verbindung mit einem weitreichenden obrigkeitlichen Interventionismus, trägt wesentlich dazu bei. Dass der Bürger durch die Bemutterung „von oben“ auf der einen Seite und durch die oktroyierten Gebotszwänge auf der anderen sichtlich regrediert, ist von diversen Sozialkritikern plastisch vor Augen geführt worden.

Jeder Mensch sollte zu allererst ein Recht auf ein zwangloses Verhältnis zum eigenen Ich, zum Geist in sich selbst haben und entwickeln dürfen. Mit anderen Worten: Er sollte ein

Recht auf „Geistesfreiheit“ haben (Friedrich Schiller).

Nur wenn sich der Geist in einem subjektiv gewachsenen Sinngefüge bewegen kann, ist er frei. Das Sinnen und Trachten der europäischen Aufklärung, zu deren Hauptexponenten Schiller gehörte, war es, diesen Gedanken zur Basis mündigen Erwachsenseins zu machen.

„Es ist aber gerade die Aufklärung, der heute in unseren Schulen der Todesstoß versetzt wird“ (Ivan Illich, a. a. O.).

Sowohl der offizielle, als auch - und vor allem - der heimliche Lehrplan führen zu einer seelischen Entwurzelung der Beschulten. „Entwurzelung ist die gefährlichste Krankheit der Gesellschaft“, sagt Simone Weil. Stellte man Absicht in Rechnung, wäre die Schulbildungsideologie der Superschwindel der Menschheitsgeschichte. Bei den derzeit an Schulen praktizierten Bildungsbemühungen offenbart sich, nach strengen Maßstäben geurteilt, gröbste Menschenverachtung. Denn diesen „Bemühungen“ fallen täglich Tausende durch Verelendung, Nervenkrisen, Süchte usw. zum Opfer (s. Einleitende Artikel zu diesem Sachthema). Angesichts des Ausmaßes der Folgen kann ich mir nicht vorstellen, dass ein solches Unrecht vorsätzlich, also als Verbrechen, begangen wird (so wie es Murray Rothbard sieht; 2012). Vom Freiheitsstandpunkt her wäre es das größte Verbrechen, das Menschen je an Menschen verübt hätten und weiter verüben. Denn es treibt in die Hilflosigkeits- und Abhängigkeitsfalle.

Der vorgezeichnete Weg in die Knechtschaft

Weitsichtige Denker des 19. Jahrhunderts haben den engen Zusammenhang gesehen zwischen Persönlichkeitsbildung und Gesellschaft. Ist die Persönlichkeitsbildung frei, dann kann davon ausgegangen werden, dass es die Gesellschaft als ganze auch ist. Das gleiche dürfte für Unfreiheit und Knechtschaft gelten.

Die Kernfrage hinsichtlich einer menschengerechten Persönlichkeitsbildung wurde bereits von dem Freiheitsphilosophen Max Stirner formuliert:

„Bildet man unsere Anlage, Schöpfer zu werden, gewissenhaft aus oder behandelt man uns nur als Geschöpfe, deren Natur bloß eine Dressur zulässt? Die Frage ist so wichtig als eine unserer sozialen nur sein kann, ja sie ist die wichtigste, weil jene auf dieser letzten Basis ruhen“ (1842).

Zu Lebzeiten Stirners, des vehementen Kritikers nicht nur der denaturierten Form der abendländischen Bildung, sondern auch der sie tragenden Gesellschaft, gelangte die sogenannte „soziale Frage“ in das Blickfeld der Intellektuellen. Stirner war es, der herausfand, dass mit der Bildung der Heranwachsenden der wichtigste Aspekt der „sozialen Frage“ berührt ist. Damit hatte er sich in eine Gegenposition zu seinen Zeitgenossen und Freunden begeben, die die „soziale Frage“ auf das materielle Wohlergehen aller gesellschaftlichen Klassen reduzierten. Stirner misst der Persönlichkeitsbildung eine größere Bedeutung für die Lösung dieser Frage zu als dem klassenkämpferischen Faustgebrauch.

Man beachte: Kaum war die „soziale Frage“ ausdrücklich gestellt, wurde die Persönlichkeitsbildung als das wichtigste Ingrediens dieser Frage erkannt. Es wurde gesehen, dass die Persönlichkeitsbildung nicht nur ein Thema ist, das Kindheit und Jugend betrifft, sondern die menschliche Gesellschaft insgesamt. Sobald also Persönlichkeitsbildung in einer Gesellschaft in der Kritik steht, steht zugleich die Gesellschaft mit in der Kritik. Dass die Form der Persönlichkeitsbildung Auswirkungen auf das Leben in der Gesellschaft als solche hat, ist unbestritten. Entstehen dort Probleme, entstehen sie auch hier. Geschehen dort Umbrüche, geschehen sie auch hier.

In den vorigen Abschnitten wurde das schulische Lernen charakterisiert und analysiert. Die Erkenntnis daraus: schulisches Lernen ist in jeder Hinsicht unfrei. Das Folgenschwerste des schulischen Entwicklungsgangs ist:
der Erwachsenenalltag wird am Ende wie ein schicksalhaft hinzunehmendes Joch erlebt, wie ein Übel, das ertragen werden muss, damit ein vermeintlich ordentliches Leben innerhalb der Gesellschaft stattfinden kann. Der fremdbewirkte Gebotszwang wird als zur Alltagsnorm des Lebens gehörig angesehen. Dass es ein Leben in wirklich freier Gesellschaftlichkeit geben könnte, wird oft nicht einmal geahnt.
Die Herangewachsenen finden sich damit ab, ihr Leben in einer (oft zwar unerwünschten, aber zu akzeptierenden) Hörigkeit verbringen zu müssen.

„Haben die Menschen diese Lektion einmal gelernt, so verlieren sie jede Motivation…; sie finden eigenverantwortliche Interaktion nicht länger reizvoll und verschließen sich den Überraschungen, die das Leben bietet“ (Ivan Illich, 2003).

Infolge ihrer „Bildung“ scheint für viele Herangewachsenen die Hörigkeit eine offenbar ganz erträgliche Lebensform zu sein. Dass sie eigenständige Individuen und als solche frei sind haben sie auf ihrem Lernweg früh vergessen.

„Das Dogma der individuellen Freiheit ist kein Pfifferling mehr wert, sobald wir Nationalsozialisten die Macht im Staat übernehmen“, soll sich Adolf Hitler

schon vor seiner Machtübernahme in aller Öffentlichkeit geäußert haben. Der Satz war an die Deutschen gerichtet. Die Deutschen galten zu der Zeit als das am besten und umfänglichsten geschulte Volk der Welt. - Und als ihren Führer haben sie sich Adolf Hitler auserwählt. Er gelangte, dies sollte man nicht vergessen, legal gewählt an die Macht (soweit die offizielle Geschichtsschreibung, juristisch liegt der Fall natürlich ganz anders. Aber gehuldigt haben ihm Viele auch wenn Legalität nichts mit Huldigung zu tun hat).

Diese Wahl war genau so viel oder wenig manipuliert, wie auch heutzutage politische Wahlen manipuliert sind (z. B. durch die üblichen „Wahlkampf“-Mätzchen).

Viele Historiker haben das Phänomen der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bei einem schulisch so hochgebildeten Volk wie die Deutschen zu erklären versucht: Der verlorene Krieg, der Knebelvertrag von Versailles, die hohe Arbeitslosigkeit, die kommunistische Gefahr, die von Natur aus bösartigen Germans

(nach Winston Churchill, die „Hunnen“),

die Inflation und deren katastrophale Folgen und manches Andere.

Es wird Zeit, solche Erklärungen zu hinterfragen. Nicht den historischen, sondern den gesellschaftskonstitutionellen Hintergrund für Führersehnsüchte gilt es auszuleuchten. Und der hat sehr viel mit der Art des Auf- bzw. Heranwachsens von Individuen zu tun (Olaf Link, 2011).

Dieses Heranwachsen findet seit jeher an Schulen statt. Unsere in vielen Lebensbereichen offensichtliche Knechtsgesinnung und Obrigkeitshörigkeit entsteht aus der eigentümlichen und grotesken Form der Bildung in der Schulstube.
Noch kaum zu vernehmen ist er, aber er wird wieder lauter, der vorerst nur im Verborgenen zu hörende sehnsüchtige Ruf nach dem „starken Mann“, nach einer politischen Führungsfigur, die das verunsicherte Volk aus Sinnleere und Erstarrung erlöst. Von solchen Sehnsüchten wird sich eine Gesellschaft erst heilen können, wenn sie sich von ihrer Verschulung befreit.

Die Schulbildung ist - was sich leicht erweisen lässt (s. Vorherige Artikel) - ein sicherer

„Weg in die Knechtschaft“ (Friedrich August von Hayek, 1991).

Der gut Beschulte lebt fürderhin in einer Knechtschaft - oft unbemerkt, weil keine Ketten rasseln. Bitter klingt daher die Bemerkung des deutsch-schottischen Dichters John Mackay:

„Ich mag nicht an die Liebe der Eltern glauben, die heute noch ihre Kinder aus Feigheit und Bequemlichkeit den… Schulen ausliefern“ (zitiert nach Ulrich Klemm, 1984)

Dazu muss man wissen, dass es zu Zeiten Mackays die Zwangsbeschulung in der heutigen Form noch gar nicht gab.

Der Weg in die Knechtschaft findet nicht, wie Friedrich August von Hayek offenbar glaubte, auf dem Wege heimtückischer Indoktrination politischer Ideologien und politischer Propaganda statt. Solche Indoktrinationen bleiben wirkungslos dort, wo nicht von vorneherein schon eine knechtische Gesinnung vorhanden ist. Knechtische Gesinnung hat sich vor der obrigkeitlichen Einflussnahme auf die Gemüter in Schulen bereits entwickelt. Sie ist vor aller späteren politischen Indoktrination schon da. Politische Propaganda braucht sich ihrer nur noch zu bemächtigen.

Heinrich Himmler, der im Nazireich mit für die Judenvernichtung zuständig war, hatte eine vorbildliche „humanistische Bildung“ genossen. Er stammte aus einem Elternhaus, dessen Bildungsstand in der damaligen Zeit kaum übertroffen werden konnte. Sein Vater war Gymnasialprofessor und Direktor einer der berühmtesten altsprachlichen Bildungsstätten Deutschlands. Als der junge Himmler aus seinem Elternhaus ausgebrochen war, erlag er sofort der Ideologie der Nationalsozialisten. - Der Wiener Schriftsteller Franz Grillparzer bewies guten Instinkt, als er schon vor ca. 170 Jahren schrieb:

„Der Weg der neueren Bildung geht - von der Humanität - durch die Nationalität - zur Bestialität.“

Das Schulwesen wird sicher ein Argument für sich geltend machen können, das unangreifbar ist: Es bereitet für das gesellschaftliche Leben im Hier und Heute vor,

„auf die entfremdende Institutionalisierung des (heutigen) Lebens“ (Ivan Illich, 2003).

Dieses ist durch die (zwar öffentlich uneingestandene) Hörigkeit und Knechtsgesinnung der Beschulten gekennzeichnet. Wer die Schule erfolgreich verlassen hat, womöglich mit Bestnoten, ist eine verknechtete (wenn nicht gar verlogene) Seele.

Die Beschulung erzeugt schon irgendwie Gebildete. Der offizielle und der „heimliche“ Lehrplan der Schulen bewirken in der Tat, dass ein Mensch, der beiden lange genug unterworfen war, in unsere Gesellschaft passt. Aber seht sie Euch an, diese Gesellschaft!

In diesem Sinne einen schönen Samstag.

Bis zur nächsten Ohrfeige

Euer Zeitgedanken

Sort:  

Die in Deutschland sogenannte „Schulpflicht“ gilt für Kinder bis in das 15./16. Lebensjahr hinein.

Nicht ganz. Es folgt noch die Berufsschulpflicht.

Deine Schulpflicht erfüllst Du erst, wenn Du:

  1. 9 Jahre Hauptschule + 3 Jahre Berufsschule hast.
    oder
  2. Realschulabschluss hast und keine Berufsausbildung beginnst.
    oder
  3. Abitur hast.
    oder
  4. 12 sonstige Schuljahre nachgewiesen hast.
    oder
  5. Über 21 Jahre alt bist.

Autsch , aber ja .
Tja .

Hihi, ob dieser Text die SchulpSychoLogen überzeugen kann ??

Ein sehr interessanter Ausblick/Rückblick.

LG Michael

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