EU-Innovation: Die Deckelschere als großer Schnitt für die Menschheit

Zu jeder Flasche mit festem Deckel müssen Hersteller nach der Neufassung der Einwegkunststoffrichtlinie  2019/904N künftig eine sogenannte Deckelschere mitliefern, die das Lösen des Deckels ermöglicht.


Es ist eine dieser EU-Änderungen, die erst nicht beachtet werden, weil der Termin für ihre Umsetzung noch weit in der Zukunft liegt. Dann aber sind sie da und sie sorgen für riesiges Erstaunen, ja, teilweise für Entsetzen. Nicht immer ist es die Größe einer über die unzähligen Richtlinien oder Verordnungen vorgeschriebenen Neuerung, die Menschen zweifeln und verzweifeln lässt. Oft geht es gerade um Kleinigkeiten, winzige Verbesserung des Zusammenlebens und notwendige Eingriffe ins Privatleben, die übergriffig, anmaßend und unnötig empfunden werden.  

Besser erklären, Menschen mitnehmen

Noch besser erklären, heißt es dann. Um Verständnis dafür werben, warum es nicht nur gut gemeint, sondern auch sehr gut gemacht ist. Und kein Wasser auf die Mühlen derjenigen leiten, die den erwartbaren ersten Widerstand mancher Mitmenschen ausnutzen, wollen, um Stimmung gegen Staat, Partei, Regierung und EU-Kommission zu machen. Die Leute, das ist bekannt, wollen nur spalten. Sie wollen ein Deutschland zurück, das es nicht mehr gibt, ein Deutschland, das zurecht untergegangen ist.

Über Jahre hinweg hieß es in solchen Augenblicken standhalten, gerade bleiben, denen nicht nachgaben, die nur bemüht sind, alles infragezustellen und an allem herumzunörgeln. Die EU, die seit 70 oder mehr Jahren für Frieden in Europa sorgt, ist schon lange selbstbewusst genug, sich von denen, die im Tross immer hinten laufen und das Ziel anzweifelt, von der Durchführung von Fortschritt abhalten zu lassen.

Gemeinschaft streckt die Hände aus

Doch wenn nun in wenigen Tagen eine Innovation ins Leben von 460 Millionen Europäern tritt, die schon seit Monaten in einer Eingewöhnungsphase ausprobiert werden konnte, dann streckt die Gemeinschaft ihre Hände aus: Statt die harte Konfrontation mit den Meckerern, Quertreibern und Wutbürgern zu suchen, geht die Gemeinschaft bei der Umsetzung der auch als  Einwegkunststoffrichtlinie bekannt gewordenen EU-Richtlinie 2019/904 "über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt (Text von Bedeutung für den EWR)" einen anderen Weg.

Zugewandt, respektvoll, mit viel Verständnis für Sorgen, Nöte und Bedenken, so sieht sie aus, die Strategie, mit der die nach inständigen Mahnungen des deutschen Bundespräsidenten vor "riesigen Plastikinseln, die inzwischen im Meer schwimmen" (Walter Steinmeier) im Juni vor fünf Jahren verabschiedete Verfügung popularisiert werden soll, nach der EU-Schraubdeckel auch nach Öffnung fest mit der Flasche verbunden bleiben müssen. 

Vorschlag des Bundespräsidenten

Um die Umweltverschmutzung zu reduzieren, wird das ab dem 3. Juli Pflicht in der weltgrößten Staatengemeinschaft. Lose Verschlusskappen, die Flüsse verstopfen und nach Erkenntnissen von Walter Steinmeier drohten, dass "bis 2050 womöglich mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen" schwimmt, sind dann verboten. An Flaschen "aus Kunststoff oder teilweise aus Kunststoff, wie Saftkartons oder Einweg-PET-Flaschen, mit einem Volumen von bis zu drei Litern" müssen nunmehr "Tethered Caps", zu Deutsch "Lippenkratzer", angebracht werden, die sich nicht entfernen lassen. Damit wollen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament all denen den Wind aus den Segeln nehmen, die ihre Flaschendeckel bisher traditionell in Feld, Wald und Flur geworfen haben, als gebe es eine zweite oder sogar dritte Erde und nicht nur diese eine einzige.

Der Aufschrei der traditionalistischen Kreise von Müllsündern und Deckelterroristen war groß. Obwohl  das Fachportal "Wissenschaften.de" die sogenannten "Lass-mich-dran"-Deckel bereits im vergangenen Jahr zu einem der "Meilensteine des Jahres" gekürt hatte - damit ehren die Forscher die jeweils kühnsten Innovationen, die Forschende und Forscher für die Menschheit erreicht haben - hielt der Widerstand an. "Ich finde die neuen Coca-Cola Deckel beim Trinken unkomfortabel, hätte es keine Alternative gegeben?", quengeln Ewiggestrige. Selbst die beruhigenden Hinweise teilstaatlicher Werbeportale, dass es sich nur "um eine Hilfestellung" für Minderbemittelte und Stockdämliche handele, also mithin für alle Menschen, verfing kaum. 

Ernstgenommene Bedenken

Mehr als 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger lehnen die neuen betreuten Verschlüsse ab. Von "Deckelfaschismus" ist die Rede, im Internet zeigen sich Deckelgegner beim gewaltsamen Anreißen der Tethered Caps, andere betonen, dass sie nun erstmals im Leben jeden einzelnen Deckel gezielt in die Landschaft oder ein nahes Gewässer würfen, um gegen die Beschränkung ihrer Freiheit beim Trinken zu protestieren. Zum ersten Mal regt sich da beinharten Widerstand. Selbst der beruhigende Zuspruch von Ämtern, Leitmedien und Herstellern, dass Menschen sich in der Vergangenheit doch auch an noch viel bizarrere Vorschriften gewöhnt hätten, sorgte nur für Hohn, nicht aber für dankbare Gefolgschaft.

Darauf hat nun die EU reagiert - ungewöhnlich schnell für die legendär langwierigen Entscheidungsprozesse, nach dem Desaster der EU-Wahl von Anfang des Monats aber wohl auch einer gewissen Not gehorchend. Mit einer Änderung der EU-Richtlinie 2019/904 (Neufassung) reagiert die Gemeinschaft auf die Bedenken.

Zwar bleibt es danach bei der gefundenen innovativen Lösung für verbundene Verschlüsse. Diese sogenannten "Scharnier-Deckel" hatten Verbraucherinnen und Verbraucher in umfangreichen Tests als beste aller schlechten Ideen gelobt. Doch zu jeder Flasche mit dem neuen Deckel müssen Getränkehersteller jetzt Schere liefern, mit der sich der Tethered Cap umstandslos und ohne körperliche Anstrengung von der Flasche lösen lässt.

Gerechte Lösung der Flaschenfrage

Man nehme damit Rücksicht auf Bedenken Älterer, Jüngerer, körperlich Schwächerer und vulnerabler Gruppen, die es allein mit Muskelkraft oft nicht schafften, den Deckel von der Flasche zu ziehen, heißt es in Brüssel. Auch im politischen Berlin reklamieren die Ampelparteien die Neuregelung für sich: Die Deckelschere sei ein "großer Schnitt für die Menschheit", heißt es aus der SPD-Parteizentrale, die angibt "Dampf gemacht" zu haben für eine gerechte Neulösung der Flaschenfrage. 

Was nun fehlt, ist Akzeptanz und Mitarbeit. "Vielen Menschen ist noch gar nicht klar, was dahinter steckt", wirbt der US-Konzern Coca Cola um eine Bereitschaft zur Umgewöhnung. "Das dauert, aber es wird das neue Normal werden."  Die aktuelle Diskussion erinnere an die zähe Diskussion um die Lieferung schwerer Waffen an die Ostfront, an Einsatzverbote für deutsche Raketen auf russischem Boden und die großen Demonstrationen gegen Remigration. 

Jetzt, wo die Regierung die Erlaubnis zum offensiven Einsatz deutscher Hilfen gegeben hat und die Bundesinnenministerin selbst weitreichende Ausweisungen schon bei geringen Anlässen plant, so heißt es im neuen EU-Flaschendeckelamt (EU-FDA), das künftig Festverschlüsse und Scherenpflicht kontrolliert, "redet kein Mensch mehr darüber."

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Deckelgegner beim gewaltsamen Anreißen der Tethered Caps, andere betonen, dass sie nun erstmals im Leben jeden einzelnen Deckel gezielt in die Landschaft oder ein nahes Gewässer würfen, um gegen die Beschränkung ihrer Freiheit beim Trinken zu protestieren.

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