Uhrenvorstellung - Raketa Klassik (Big Zero) aus Petersburg

in Deutsch D-A-CH3 years ago (edited)

Russland hat eine großartige und unterschätzte Tradition erstklassiger und gleichzeitig erschwinglicher mechanischer Uhren.

Die sowjetische Uhrenindustrie, einst einer der größten Produzenten der Welt, hat die Quarz-Krise und den Zusammenbruch des Ostblocks nicht überlebt. Die zwei größten Uhrenfabriken Russlands, die 1. (Poljot) und 2. (Slava) Uhrenfabrik in Moskau, sind mittlerweile eingegangen. Man bekommt gebraucht noch hervorragende und extrem günstige Uhren, wenn man sich etwas auskennt. Viele der Uhrwerke sind schlichtweg erstklassig und kaum zu verwüsten. Für die besseren Chronographen, die von Uhrmachern aus Restbeständen gefertigt werden, zahlt man schon bis zu 1000 Euro, Tendenz steigend.

Neulich hatten wir eine kurze Vorstellung einer der Hersteller, die den Zusammenbruch der UdSSR und der daran angeschlossenen Märkte überlebt haben - die Tschistopoler Uhrenfabrik Vostok mit ihren mittlerweile durchaus bekannten Taucher- und Armeeuhren. Unglaublich gute Uhrwerke für wenig Geld, aber dennoch eine ganz andere Liga als das hier:

Heute geht es um den damals dritten großen Player der russischen Uhrenindustrie, die Uhrenfabrik Raketa und jetzige Manufaktur gleichen Namens. Von der Massenproduktion ist eine einzige Fertigungslinie mit alten sowjetischen Maschinen übrig geblieben, wo die besten Uhrmacher der ehemaligen Fabrik in Handarbeit Wunder an Präzision, Schönheit und Genauigkeit vollbringen. Zusätzlich unterhält die Firma eine eigene Uhrmacherschule.

Leroy hat sich vor einiger Zeit im Raketa-Store in Moskau (sonst meines Wissens offline nur in Paris und St. Petersburg erhältlich) das "Einstiegsmodell", die KLASSIK bzw. im Westen BIG ZERO gegönnt. Darauf war er schon seit langem mehr als heiß.

Die Petersburger Manufaktur ist eine von fünf Uhrenherstellern auf der ganzen Welt, die ihre Uhren zu 100% inhouse produzieren, d.h. es wird nichts zugekauft. Kein Uhrwerk, keine Schraube, nichts. Noch nicht einmal die Unruh, das komplizierteste aller Teile in einer mechanischen Uhr. Es wird sogar gemunkelt, dass Raketa schweizer Hersteller mit Teilen beliefert.

IMG20210704192240.jpg

Das Design ist modern, aber gleichzeitig klassisch-zeitlos und angelehnt an die sowjetische BigZero aus den 80er Jahren. Markant ist die Ersetzung der 12 durch eine Null.

Sensationell ist das erste und einzige Automatiklaufwerk, das als Weiterentwicklung alter sowjetischer Werke komplett in der Russischen Föderation entwickelt wurde - Raketa 2615. Das Werk läuft zwar "nur" mit 18.000 Halbschwingungen und hat "nur" eine Gangreserve von 42 Stunden, ist aber dafür derart präzise gearbeitet und eingestellt, dass ich zwei Wochen nach Inbetriebnahme noch nicht einmal eine Sekunde Gangabweichung feststellen kann. Das ist totaler Wahnsinn bei mechanischen Uhrwerken und das schaffen selbst die teuersten Laufwerke von renommierten Schweizer Herstellern wenn überhaupt nur selten!

Das Uhrwerk liegt auf 24 Rubinen, die BIG ZERO ist bis 100 m wasserdicht.

Hier der "Sound" des Laufwerks - unverwechselbar.

Die Verarbeitung ist auf allerhöchstem NIveau. Vorderseite Saphirglas, die Rückseite legt das Uhrwerk offen und ist aus Mineralglas. Da es sich um das Einstiegsmodell handelt, hat sich Raketa hier mit Filigranverarbeitungen des Uhrwerks zurückgehalten.

IMG20210704192308.jpg

Beim Kauf der Uhr erhält man ein Foto des Uhrmachers, der die Uhr final zusammengesetzt und überprüft hat - samt Namen und Dauer der Betriebszugehörigkeit. Außerdem erhält man eine Einladung zu einer Privatführung durch die Manufaktur, so man sich in Sankt-Petersburg aufhält - russisch und englisch möglich.

Die Uhren sind alle nur in minimalen Auflagen erhältlich.

Das Einstiegsmodell Raketa KLASSIK schlägt mit lediglich 750 Euro zu Buche. Ein absoluter Witz im Vergleich zu dem, was für deutsche oder schweizer Fabrikate in der Qualitätsklasse aufgerufen wird. Für limitiertere und seltene Modelle werden dann aber schnell bis zu 3000 Euro fällig.

Deutlich exklusiver und seltener als Topmarke xyz! Außerdem tut man noch ein gutes Werk, indem man Unternehmer in Russland unterstützt, die in den Ruinen der Sowjetunion die Hand aus dem Arsch gezogen haben und mit Kapital und Herzblut Kulturgut retten, Arbeitsplätze schaffen und echte Werte liefern.

Diesen Leuten sollte man ein Denkmal setzen!

Hier noch ein relativ aktuelles Interview mit dem Boss von Raketa:

Sort:  

Wow, 750€ Euro für eine Uhr ist schon eine Hausnummer. Meine Uhr trage ich immer im Handy 😅

Du bezahlst 750 Euro nicht für eine Uhr, sondern für ein Meisterwerk an Feinmechanik, Handwerkskunst und funktioneller Schönheit. Sieh es wie ein Kunstwerk, das Nutzen bringt durch die Lieferung korrekter Zeitangabe.

Porno. Allein vom Ziffernblatt einer Polar bekomme ich den Wunsch dass Putin hier einmarschiert.

Hatte als Schüler eine Sammlung günstigerer Modelle bzw. Großauflagen vor allem Propaganda Motive auf Pobeda aber auch moderner Kram wie Kalaschnikow für andere war es Plunder und wurde zum Glück auch nie hip oder ein Geheimtip, obwohl wie du schreibst die Raketa Uhren zu den zuverlässigsten der Welt gehören. Aber ich finde man braucht da auch keine Rechtfertigung, die Fangemeinde wird wachsen. DDR Kamera Fans, Schwalbe Fahrer, Qek Camper usw. gibt's ja auch viele und die interessieren sich nicht für die Nostalgie sondern allein für die Praktikabilität der Produkte.

Mir geht es ab einer bestimmten Preisklasse nur um innere und äußere Schönheit von Dingen, die Geschichte der Produkte und/oder die Leute, die dahinterstehen und sie produzieren. Oder halt meine eigenen bekloppten Projektionen.
Deshalb sind normale sowjetische Vintage-Uhren - abgesehen von unendlich schönen wie z.B. der Polar - eher nicht mein Jagdgebiet, obwohl man da für 100-150 Euro Topuhren mit frischem Service bekommt. Aber wenn einer so ein altes Uhrwerk aus den 50ern, z.B. ein wunderschönes Molnija 3102 ausbaut, restauriert und verziert und dann in Handarbeit eine Skelettuhr daraus macht ... und das dann bei Etsy verkauft. Dann zittern mir die Finger :-).
Oder eben bei einer Manufaktur wie Raketa. Die dort durchgehalten haben und investiert haben (obwohl es den Leuten nie um Geld ging, vermutlich haben sie auch bis heute keines verdient) - sollte man alle zum Helden der Russischen Föderation ernennen. Wenn ich sehe, mit welcher Begeisterung diese zauberhafte alte Dame Ljudmila Jakovlevna mit über 80 Jahren noch an der Werkbank stand - dann weiß ich: DAS sind meine Uhren. Da kann eine an der C+C-Fräse hergestellte Schweizer Nobelmarke nicht mithalten.

Wirklich “reich” ist man erst, wenn man keine Uhr mehr braucht und am besten nicht einmal weiß, welcher Tag ist.
Diesen Zustand kann man in der Regel nur mit sehr großem oder völlig leerem Geldbeutel erreichen.

Geld ist für solch einen Zustand nicht nötig - alles nur eine Frage der eigenen Bedürfnisse.

Je höher die Bedürfnisse umso mehr spielt Zeit eine Rolle - zeitlos lebt ,wer gelernt hat, dass Bedürfnisse jenseits der Primärbedürfnisse nicht wirklich befriedigt werden brauchen.

Das wissen darum entstresst das Leben enorm.

Brauchen tut man sowieso fast nix.
Hast Du ein Auto - ja oder nein? Hast Du eine Frau? Hast Du ein Haus? Du hast sogar einen völlig überteuerten Apple, der sonst nur für Frauen und Schwule gedacht ist.
Der Mensch strebt nach Schönem und Vervollkommnung. Erst, wenn der Sexualtrieb komplett erloschen ist und alles wie Tand und Schand erscheint, fängt man an Linsensuppe ohne Salz zu fressen.
Die Jungs, die in den Fabriken arbeiten, wollen auch zum Wunderheiler!

Auch ich befinde mich irgendwo im Bereich zwischen sehr großem und völlig leerem Geldbeutel und bin gezwungen die Uhrzeit abzulesen (ziemlich sicher mein Leben lang).
Kann man nichts machen...

So eine Sowjet-Uhr ist auf jeden Fall stilvoller als mein iPhone.
Die Frauen und Schwulen fahren sicher auch darauf ab.

Der Wunderheiler trägt übrigens keine Uhr, in der Regel auch keine Schuhe. Dafür fährt er 911 Turbo.
Auch ein Wunderwerk der Präzision.

Die Uhr habe ich vor 10 Jahren abgelegt. Hätte der liebe Gott gewollt, dass so ein Ding am Arm baumelt - er hätte es wachsen lassen.

Der einzige Chronometer der wirklich präzise arbeitet findet sich in unserem Gehirn. Erstaunlich präzise sogar und flexibel dazu.

So hat eben jedes Tierchen sein Pläsierchen. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich vermutlich auch einen 911er fahren. Spitzenleistungen jeder Art machen mich an.

Bist wohl nur mit Handtasche unterwegs, oder?

Furchtbar unpraktisches Auto...

Wobei ich zugeben muss, dass die alten 911 er aus den 70´ern noch ein flair haben, dass die neuen Schüsseln nicht mehr besitzen.

Die Russen werden sowieso immer unterschätzt, bzw. absichtlich medial klein gehalten. Das fliegt uns eines Tages noch so richtig um die Ohren. Anderes Beispiel: Für meinen Camper will ich diesen Herbst eine Standheizung. Da gibt es eine russische, die ist unkaputtbar wie ein Panzer und kostet nur ein Drittel des Preises einer Webasto oder Eberspächer.

Es ist die typisch deutsche Mischung aus Dummheit, Ignoranz und Arroganz.
Einer der vielen Gründe nebst Heldenmut und Heimatliebe, warum sie uns im 2. Weltkrieg fertiggemacht haben, war, dass sie die besseren Ingenieure und Waffen hatten. Daran hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil.

Stolzer Preis für so eine Uhr! Aber es war ja schon immer etwas teuerer einen besonderen Geschmack zu haben... :)

... ist ne Menge Geld, aber in der Liga bestenfalls untere Mittelklasse. Kauft man sich ja auch nicht jeden Tag, sondern im Normalfall nur einmal. Solche Uhren kann man vererben bei guter Pflege und sie steigen oft noch im Wert. Von daher bin ich eigentlich noch ein billiges Flittchen.

Ich meinte gemessen an der Machart. Ist ja schon sehr basic, eine einfache Automatik ohne Datum usw., dafür ist das ne Menge Holz. Die ganze Hintergrundgeschichte ist ja gut und schön, aber trotzdem. Für das Geld bekommt man auch eine ordentliche Schweizer Uhr. Meine Lieblingsuhr zB., eine Golana im Art Deko Stil, hat auch 750 gekostet. Und die ist mit Datum und designmäßig weit vorne, mit einem Valjoux Werk.
Aber kyrillische Buchstaben hat hat sie nicht... :)

Er hat es nicht verstanden.

Mag sein, aber dafür hab ich die bessere Uhr.