"Auswandern, aber wohin?" - Nicht die optimale Fragestellung und Denkweise!

in Deutsch D-A-CH2 years ago (edited)

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Diese Frage habe ich schon oft gelesen und gehört, in den letzten Jahren mit zunehmender Häufigkeit. Seit dem sich immer noch weiter steigernden Irrsinn mit den Coronamaßnahmen dürfte diese Frage in deutschsprachigen Landen (und nicht nur dort) nochmal deutlich häufiger geworden sein.

Anlass für diesen Beitrag ist genau sowas (aber auch ein paar andere Hive-Konversationen zuvor):

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Aus seinem Beitrag Traurig aber wahr

Korrektur: Laut deutschem Auswärtigem Amt reicht für die Einreise nach Brasilien ein Antigentest.

Auswandern ist das eine...

Auswandern wollen heißt ja nur, dass man das Land, in dem man derzeit lebt, verlassen möchte, dort also nicht mehr seinen Hauptwohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt haben will. Dass man unmittelbar in einem anderen Land selbiges wieder hochzieht, heißt es nicht!

Ein zukünftiger Nebenwohnsitz (z. B. der bisherige Hauptwohnsitz) im bisherigen Land könnte für manche eine gute Idee sein, vor allem wenn man dort starke familiäre, freundschaftliche und/oder geschäftliche Bande hat.

Es könnte für wenige bereits ausreichen, die Betrachtung eine Stufe tiefer zu verlegen und nur das Bundesland bzw. den Kanton zu verlassen. Ich könnte mir vorstellen, dass manche meiner bayerischen Landsleute nur dem Regime des (manchmal so genannten) Corona-Hitler (oft so genannten) Södolf entfleuchen wollen.


Falls man dort wo man noch lebt auch ein Gewerbe hat, sollte man das getrennt betrachten, da Wohn- und Gewerbesitz auch in verschiedenen Ländern sein können.

Vielleicht kommt man dann auf die Lösung, zumindest vorerst nur das Gewerbe ins Ausland zu verlegen oder umgekehrt auszuwandern und das Gewerbe erstmal zu belassen.

Auch die Gründung einer Filiale im Ausland könnte eine gute Option sein oder aber bei einer Verlegung ins Ausland der Weiterbetrieb des bisherigen Gewerbes als Auslandsfiliale des neuen Gewerbes.

...in einem anderen Land einwandern - oder auch nicht! - das andere.

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Hier kommt das Thema Digitales Nomadentum ins Spiel. Das bedeutet kurz gesagt auswandern ohne - in den meisten Fällen - irgendwo einzuwandern. Bereits seit etwa 10 Jahren ist dieser bisher ungewöhnliche Lebensstil im deutschsprachigen Raum - hauptsächlich bei jüngeren Leuten - nennenswert bekannt und hat seither enorme Zuwachsraten, nochmal deutlich gesteigert seit der neuen Corona-Normalität.

Denn seit Millionen Leute Home-Office mach(t)en, haben viele gemerkt, dass man diese Arbeit ja von überall auf der Welt aus machen kann, wenn man nur eine ausreichende Internetverbindung und ein passendes Arbeitsumfeld hat. Wenn man öfters bis regelmäßig vor Ort erscheinen muss (ein- bis mehrmals monatlich), steht das einer Auswanderung meist entgegen, sofern man diese Arbeit behalten will.

Im angelsächsischen Raum ist dieses Lebenskonzept schon länger bekannt und wohl nach wie vor verbreiteter als im deutschsprachigen Raum. Von Deutschen, die es von dort haben, habe ich es bereits 2005 oder 2006 kennengelernt. Die Englischsprachigen nennen es außer "digital nomadism" auch "PT", was gleich drei Bedeutungen hat:

  • "Perpetual Traveller" (dauerhaft Reisender)

  • "Permanent Tourist" (dauerhafter Tourist)

  • "Prior Taxpayer" (ehemaliger Steuerzahler)
    .
    Der letzte Punkt (keine persönlichen Steuern und Abgaben per Bescheid mehr zahlen [wollen]) ist besonders interessant und auch heftig diskutiert und umstritten. Da könnte ich jetzt ein Riesenfaß aufmachen, was aber hier den Rahmen sprengen würde.

    Das soll Gegenstand weiterer Beiträge sein, dann aber eher im Lichte der Ethik und Moral und damit zusammenhängend des Voluntarismus, Akratismus (Anarchismus; Anarchie hat nichts zu tun mit Anomie, mit der es fast immer verwechselt wird!) und Libertarismus.

    Nur soviel: Es geht darum, dass man ohne Wohnsitz nirgendwo Einkommensteuer (und ggf. weitere damit verbundene oder artverwandte Steuern und Abgaben) zahlen muss, da es ja keinen Anknüpfungspunkt gibt (außer US-Staatsbürger, da bei denen die Staatsbürgerschaft der Anknüpfungspunkt ist).

Ich bin selbst seit 3 Jahren Digitaler Nomade und werde über meinen Werdegang, meine Beweggründe und meinen Lebensstil und auch Probleme damit in weiteren Beiträgen berichten.


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Einwanderung heißt, dass man - wie man es gewohnt ist und idR nicht anders kennt - seine bisherigen Lebensverhältnisse zumindest in etwa beibehält, dafür im Vorfeld im ausgewählten anderen Land alle Vorkehrungen trifft und wenn alles steht schlussendlich übersiedelt. Man hat dann also wieder einen festen Hauptwohnsitz, der den Lebensmittelpunkt und gewöhnlichen Aufenthalt darstellt.

Dass das ein großes und langwieriges Unterfangen ist - vor allem für Familien mit Kindern und für Gewerbetreibende - liegt auf der Hand. An erster Stelle sind die umfangreichen rechtlichen Verpflichtungen und Beschränkungen zu nennen, z. B.

  • Aufenthaltsrecht
  • Steuer- und Abgabenrecht
  • Sozialversicherungsrecht
  • Arbeits- und/oder Gewerberecht
  • Mietrecht
  • Schulrecht

Ich empfehle jedem Auswanderungswilligen

  1. die eventuelle Einwanderung gedanklich von der Auswanderung zu separieren und
  2. dann zu überlegen, ob diese andere Hälfte für einen selbst und ggf. seinen Partner bzw. seine Familie notwendig oder zumindest wünschenswert ist und
  3. wenn nein zumindest probeweise oder auf Zeit ein Leben in Erwägung zu ziehen, wo man diesen einen klassischen Wohnsitz so nicht mehr hat (vielleicht aber was ganz ähnliches).

Zum letzten Punkt habe ich einen weiteren Beitrag als Handreichung verfasst, der ausführlich darstellt, was da alles möglich ist.

Was ist für's Erste noch wichtig?

Ein sehr bedeutender Faktor ist bei vielen Digitalen Nomaden die Notwendigkeit, irgendwo auf der Welt mindestens ein Unternehmen gründen zu müssen, da sie Kunden haben, die eine steuerabsetzbare Rechnung wollen.

Damit einher gehen natürlich allerhand Folgen nicht nur steuerrechtlicher Art. Doch das ist ein sehr weites und komplexes Feld und würde hier viel zu weit führen, deshalb ein andermal mehr dazu, zumindest in Ansätzen.

Es ist aber überwiegend nicht erforderlich, deswegen auch einen festen Wohnsitz zu nehmen und wenn doch, ist es oft eher proforma, mit geringen Pflichten, Regularien und Kosten und locker zu handhaben.


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Was nicht nur für das Auswandern und auch das Digitale Nomadentum sehr hilfreich sein kann, ist die Zuwendung zum Lebensstil Minimalismus. Das dauert allerdings einige Zeit, vor allem die Umstellung und Umgewöhnung im Oberstübchen. Darüber werde ich auch noch schreiben.

Zu guter Letzt noch eine Auflistung, in welchen Beziehungsstatus Digitale Nomaden und nicht mehr dauerhaft erwerbstätige Dauerreisende sich befinden, absteigend sortiert nach der von mir eingeschätzten Häufigkeit:

Nicht nur auf YouTube findest du sehr viel zum Thema.

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#ploetzlichundunerwartet

@froeschle

Sort:  

Ich bin ja auch ewiger Tourist mit zeitweiligem Aufenthalt in Verwaltungseinheiten, wenn es die Arbeit notwendig macht, wenn man z.B. eine Arbeitsgenehmigung als Tauchlehrer brauche. Aber für alles, was ich online mache, reicht eine Firma irgendwo in Europa oder auch nur ein Abrechnungsservice mit europäischer Steuernummer.
Auswandern ist so ein typisch deutsches Ding. Das impliziert, dass man von einem festen Ort zum nächsten festen Ort wechselt, übersiedelt. Es geht soviel einfacher.

Der Begriff "Verwaltungseinheiten" ist hier reichlich ungewöhnlich, passt aber sehr gut, es ist wohl der beste Oberbegriff, da er alle Genehmigungsbehörden u. dgl. von der Dorf- bis zur EU-Ebene abdeckt.

"Abrechnungsservice" ist ein gutes Stichwort, dazu werde ich auch noch schreiben. Das ist auch bei Digitalen Nomaden (DN) kaum bekannt, kann aber sehr hilfreich sein.

Dein Wortgebrauch von "Auswandern" hat mich ein bisschen stutzig gemacht. Denn auch deine Darstellung und Sichtweise passt, dass man, wenn man zum Digitalen Nomadentum oder sonstigen PT wechselt, nicht nur nicht einwandert, sondern auch nicht auswandert.

Ich habe es ja so dargestellt, dass man dann zwar auswandert, aber nirgendwo einwandert. In der deutschen Wikipedia habe ich unter Auswanderung gerade das gefunden:

Verlassen eines Heimatlandes auf Dauer
[...]
Auf die Auswanderung aus einem Land folgt die Einwanderung (Immigration) in ein anderes.

"Auswandern", das ist für mich der Wechsel eines Tributpflichtigen von einem Herrscher zum nächsten. Man sucht sich einen neuen Herren. Deshalb passt es nicht.

Ich habe selbst lange gesucht, welche Bezeichnungen sinnvoller sind.
Staaten sind mir völlig egal, die Sprache unterscheidet sich, klar. Ist mir mit meinem Englisch aber egal, betrifft mich also nicht.
Wohnsitze, Meldeadressen, dieses System ist in jedem Land anders, manchmal sogar in den einzelnen Provinzen. Ist mir auch egal, ich bin Tourist.
Nicht egal ist mir, ob ich Steuern nachzahlen muss, wenn ich zurück nach Deutschland gehe oder ob ich im jeweiligen Ort legal oder illegal arbeite. Und das regeln eben die örtlichen Büros der jeweiligen Verwaltungseinheiten. Manchmal braucht man eine Arbeitsgenehmigung, manchmal hinterlegte Sicherheiten, manchmal Steuernummern in der EU oder anderswo, welches man mit solchen Abrechnungsdienstleitern oder Visadienstleistern regelt.
So bleibe ich legal oder mindestens in der hellgrauen Zone, zahle weniger als 5 % over all, habe relativ preiswerte Versicherungen und bleibe unabhängig.

Tut mir leid, dass ich erst jetzt auf deine wieder engagierte und gehaltvolle Antwort eingehe! Ich bin da ganz bei dir bis auf den ersten Punkt. Ich kann deine Definition gut nachvollziehen, sehe den Begriff aber allgemeiner und neutraler. So könnte man auch aus einer freien Privatstadt auswandern und in eine andere freie Privatstadt einwandern.

Ich habe auch eine sehr günstige Privathaftpflicht- und Privatkrankenversicherung, natürlich beide mit weltweiter Geltung.

Ist schon ok, wenn man andere Sichtweisen hört, wird der eigene Blickwinkel meist etwas weiter.

Ein hervorragender Artikel eines Fachmanns!

Auch eine mentale Vorbereitung ist wichtig, vor allem für Menschen, die noch ein gesundes Heimatgefühl in sich tragen. Man sollte sich auch im Zielland heimisch fühlen können (Menschen, Kultur, Landschaft, Wetter, Sicherheit, Sprache, ...).
Für jüngere Menschen mag das leichter gehen als für ältere. In frühen Jahren kann man leichter neue Wegbegleiter kennenlernen und sich fremde Sprachen aneignen.
Eine Vorstufe zum physischen Auswandern ist die "innere Emigration", d.h. man kappt möglichst viele Schnittstellen zum Staat und zur Mehrheitsgesellschaft.

Danke für das Lob und für den engagierten, gehaltvollen Kommentar! Da stehen einige Aspekte drin, die ich in weiteren Beiträgen aufgreifen will.

Sehr schön, von dir zu lesen!
Bin auf weitere Tipps und deinen Weg gespannt :)

@tipu curate

Mal eine dumme Frage: Wie funktioniert das mit Tipu? Muss man sich da registrieren?

Yup :)

Es kommt gleich noch der angekündigte Folgebeitrag. Danke für den großzügigen tipu-Vote!

Super interessant! Danke für die hilfreichen Informationen! Ich freue mich auf Ihren nächsten Blog zu diesem Thema!

Vielen Dank für das Lob, und bitte, gern! Meinen Folgebeitrag haben Sie wahrscheinlich schon gesehen.

Noch nicht! Ich werde das gerade tun mit meinem guten morgen Kaffee ☕️💻☺️

Ich wäre auch gerne eine digitale Made^^ Bin schon gespannt auf die anderen Beiträge.

Was hält dich ab? Meistens ist es als äußerer Faktor die Arbeit. Meinen Folgebeitrag hast wahrscheinlich schon gesehen.