Das schwarze Schaf

in Deutsch D-A-CH2 years ago

Das hätte auch anders laufen können.

Ob er letztlich das einzige schwarze Schaf in der Schillerstraße war, bleibt mit Sicherheit umstritten, da zu einem anderen Zeitpunkt nicht bloß mein Interesse an den unmittelbar angesiedelten Nachbarn, sondern gleich an der gesamten Region erlahmte und für mich ein Tapetenwechsel angesagt war. Unumstritten hingegen haftet in meiner Erinnerung, dass sich Lothar Blass, der vom Rest der Welt Ossi genannt wurde, erhebliche Mühe gab, sich vornehmlich in einer Art und Weise zu präsentieren, die wenig Zweifel daran aufkommen ließ, als würde er regelrecht diesen Titel für sich beanspruchen.
Ossi wohnte mit seinen Eltern in der Nr.7 und schloss seine Lehre als Metzger-Geselle in einer Zeit ab, als ich in der Grundschule erstmals und wenig überraschend ergebnislos nach der Formel für den Sinn des Lebens suchte. Wie exakt Ossi zu diesem ungewöhnlichen Rufnamen gekommen ist, weiß meiner Einschätzung nach keiner mit Bestimmtheit. Spielt im Grunde genommen auch keine Rolle, da ohnehin kaum jemand über die bürokratisch abgesegnete Alternative unterrichtet war.

Quelle: https://swisswool.ch/warum-das-schwarze-schaf-in-der-krippe-blieb/

Mir spülte lediglich der Kamerad Zufall die unfruchtbare Information über seinem offiziellen Vornamen vor die Füße, als mir auf einer Fete jemand verriet, dass er Ossi ein wenig näher kenne und dieser Mensch eigentlich Lothar genannt werden müsste. Jene Zufallsbekanntschaft genoss über einen überschaubaren Zeitraum das zweifelhafte Vergnügen, mit Ossi in derselben Berufsschule eingepfercht gewesen zu sein. Den Stempel des Unvergesslichen verlieh dieser Zeit der Umstand, dass mein indirekter Nachbar bereits damals kein Freund der Pluralität im Hinblick auf Meinungsäußerung war. Widerspruch gegen seine Sichtweise auf das Ganze war durchweg sinnlos, da Ossis vorgebrachte, schlagende Argumente durchweg länger sichtbare Schäden hinterließen. Hartnäckigen Widersachern, als welche sich unter anderem einige der Lehrkräfte entpuppten und denen er nicht unvermittelt im Vorübergehen die geballte Faust aufs Auge drücken konnte, stellte er alternativ in Aussicht, bei nächster Gelegenheit das Ausbeinmesser mitzubringen, um sie fachgerecht und im Handumdrehen zu verbraucherfreundlichen Häppchen zu verarbeiten. Mit solchen Zukunftsperspektiven ausgestattet, verwundert es nicht, dass der Wunsch Berufsschullehrer zu werden, in der Bevölkerung ziemlich selten geäußert wird.

Ossis Eltern stammten übrigens nicht aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, sodass man seinen Rufnamen mehr oder weniger hätte ableiten können. Vielleicht liegt die Erklärung aber in Herr Fischers Einschätzung, die der unmittelbare Nachbar von Familie Blass beim samstäglichen Straßenkehren verlauten ließ: »Der junge Blass scheint mir beste Voraussetzungen mitzubringen, eines Tages ein richtiger Assi zu werden.« Aus einem mir unbekannten Grund machte der Spruch seinen Weg durch die Straße, erhielt dabei, dem Hören-Sagen-Effekt geschuldet, den entscheidenden Vokalwechsler und seither nennt jeder den Assi Lothar kurz und knapp Ossi. Herr Fischer und wiederum der Zufall hielten somit die Grabrede für jegliche Alternative.
Möglicherweise entspricht diese Theorie haargenau der Wirklichkeit? Diese waghalsige These nun für das Platzieren einer Wette heranzunehmen, davon muss ich jedoch strickt abraten.
Ein recht befremdlicher Fall von Selbstversorgung war der eigentliche Auslöser für den Moment, als Ossi erstmals meine komplette Aufmerksamkeit auf sich zog.

Es war an einem frühen Samstagmorgen, als zwei Polizeiwagen mit allem Pipapo, also Blaulicht, eingeschalteten Martinshorn und erhöhter Geschwindigkeit, in die Schillerstraße einbogen. Die Polizei in aller Herrgottsfrühe gewissermaßen vor der eigenen Haustür! Das treibt augenblicklich auch die nerven-stärkste Schlafmütze aus dem Bett. So konnte ich vom Fenster meines Zimmers unter dem Dach heraus beobachten, wie die beiden Limousinen der Staatsmacht vor dem Haus von Familie Franz zum Stehen kamen. Der wahrhaftig lästige Lärm des Signalhornes wurde abgeschaltet. Einzig das kleine Spiegelelement in der blauen Lampe drehte sich unentwegt weiter. Mein erster Gedanke ging in die Richtung, Herr Franz aus Nr. 8 habe wieder einmal den feien Fall von der Leiter praktiziert. Dieses akrobatische Kunststück demonstrierte er nämlich regelmäßig in jedem Herbst. Meist beim ehrenwerten Versuch hinter dem Haus, die reifen Früchte von seinen Bäumen zu ernten. Auf der anderen Seite und daher ungewöhnlich für das jetzige Szenario, eilen nach solchen Sturzflügen stets die Autos, mit dem roten Kreuz auf der Motorhaube, selbstverständlich mit ebenso viel Lärm und überhöhter Geschwindigkeit in unsere Straße. Noch immer nicht von meiner ersten Vermutung ablassend, ging ich davon aus, dass möglicherweise Frau Franz die Faxen eines Tages dick hatte und den Steigbügel zum Verhängnis, die ausziehbare Aluminiumleiter, heimlich, still und leise mit dem letzten Sperrmüll entsorgte. Dass diese hinterlistige Vorgehensweise eines Tages zu innerfamiliären Spannungen führen könnte, musste eigentlich der besorgten Ehefrau bekannt gewesen sein. Dass allerdings deswegen die Polizei gleich im Doppelpack anrückt, dermaßen viel gewaltsame Reserven hätte ich dem alten Herrn schlichtweg nicht zugetraut.

Glücklicherweise stellte sich rasch heraus, dass der Haussegen bei dem Ehepaar Franz in keinerlei Hinsicht zur Disposition stand. Kaum entstiegen die Polizisten ihren Karossen, kam nämlich das betagte Ehepaar gemeinsam aus dem Haus gewackelt. Herr Franz versorgte, für mich klar erkennbar, die Uniformierten mit Informationen, die das weitere Vorgehen der Männer in Uniform beeinflussen sollten. Was der ernte-freudige Sturzflieger exakt für die bewaffnete Exekutive auf Lager hatte, blieb nach wie vor meinen Spekulationen überlassen, da sich zwischen mein Zuhause in der Nr. 2 noch das Haus von Frau Theobald und das von Familie Leiser gezwängt haben. Frau Theobald, die Frau mit den Sorgen und dem unermüdlichen Überblick, hätte mir indes Details verraten können, doch sie zog zu meinem Leidwesen vor, ihre Sorgen mit auf die Straße zu nehmen und sich im Morgenmantel in Hörweite der kleinen Menschenansammlung vor Nr. 8 zu platzieren.
Arg viel schien Herr Franz nicht zu berichten haben. Für alle morgendlichen Spanner unübersehbar löste sich nach kurzer Zeit die spontan gebildete Menschenansammlung auf und die Gesetzeshüter überquerten die Straße und nahmen stramm Kurs auf das Anwesen von Familie Blass. Bevor Frau Theobald es ihnen nachtat, marschierte sie noch schnellen Schrittes zum Ehepaar Franz und ließ sich garantiert das bestätigen, was sie ohnehin insgeheim vermutet hatte: Der Ossi hat das Wochenende genutzt und ein furchtbares Blutbad angerichtet!

Quelle: https://www.oberpfalzecho.de/beitrag/fahrerin-prallt-gegen-hauswand-und-fluechtet

Dass es letztlich derart weit kommen musste, hatte die Frau der Sorgen bereits vor längerer Zeit meiner Mutter prophezeit, als diese am Montagmorgen die Wäsche auf die Leine hing und Frau Theobald wie üblich diesen Vorgang aufmerksam beobachtete. Den Nährboden ihrer blutigen Vorhersage fand sie in einem Vorfall, der zugegebenermaßen bereits länger zurücklag. Damals hatte Ossi anscheinend gerade eine kleine finanzielle Durststrecke zu überwinden, weil er zum wiederholten Mal seine Arbeit verloren hatte, da er wie üblich nicht einsehen wollte, dass sein Chef eine eigene Meinung vertrat und auf der er unvorsichtigerweise zu beharren gedachte. Anstatt seine Aggressionen an einer Kalbskeule abzuarbeiten, schenkte er seinem Chef ein Veilchen am linken Auge. Die in solchen Fällen gemeinhin folgende Zeit der Erwerbslosigkeit wurde seinerzeit, nicht viel anders als heutzutage, weitestgehend nicht oder unzulänglich finanziell unterstützt. Die dadurch entstandenen materiellen Löcher, die Ossis Haushaltskasse im überwiegenden Teil des Jahres bestimmen, ließ er sich regelmäßig von seinen Eltern stopfen. Überraschend für den Sohn schienen die (wider jegliche Erwartung) zeitweise von lichten Momenten heimgesucht und verweigerten in diesem Fall der Vereinbarung über einen Familienfinanzausgleich die endgültige Ratifizierung. Weiterhin knapp bei Kasse und dementsprechend sauer auf seine Eltern, sann Ossi auf Rache und wartete geduldig einen günstigen Moment zur Umsetzung ab. Der ergab sich, als Herr und Frau Blass mit der nachmittäglichen Gartenarbeit beschäftigt waren. Kurzerhand verrammelte er alle Türen und sperrte die beiden Hobby-Gärtner aus, die leider dazu noch zu einem sehr großen Teil mitverantwortlich dafür waren, dass ein Begriff wie deeskalierendes Verhalten im Leben ihres Sohnes keinen Platz finden konnte.

Als langsam die Nacht hereinbrach und das Ehepaar nach wie vor mit Spaten und Rächen im eigenen Garten standen, erkundigte sich Herr Birtel von nebenan besorgt, warum der Tatendrang seiner Nachbarn bei erloschenem Sonnenlicht nicht nachlassen wolle. War es die pure Verzweiflung oder die Kapitulation vor ihrem gewaltbereiten Schwachkopf im Haus, welche die beiden Herrschaften dazu bewegten, die wahren Gründe ihres nächtlichen Schaffens dem Nachbarn zu erläutern? Es darf wild spekuliert werden. Vielleicht war es lediglich die Hoffnung, der Nachbar könnte mit viel Glück und noch mehr Geduld den missratenen Sohn davon überzeugen, wenigstens die Kellertür zu öffnen. Diese Hoffnung schien nicht völlig unbegründet, da Herr Birtel die Figur eines Kleiderschrankes vorzuweisen hatte. Hinzu kam, dass er in diesem Schrank noch jede Menge antrainierter Muskeln aufbewahrte. Diese Argumente haben mich problemlos davon überzeugt, das regelmäßige Abscannen seiner angetrauten Gattin ausschließlich als visuelle Tankstelle für meine erotischen Träume zu nutzen.
Der Mann war und ist das zu fleischgewordene Verbotsschild. Und das hat wohl ebenso Ossi Blass, trotz seiner eingeschränkten Denkfähigkeit, genauso gesehen. Denn, nachdem Herr Birtel eine ganze Weile seinen Daumen auf der Türklingel geparkt hatte, riss ein vor Wut schnaubender, beschäftigungsloser, finanziell stark angeschlagener Metzgergeselle die Haustür auf und verlor innerhalb weniger Sekunden die Zornesröte aus dem Gesicht, die es sich während der Klingelattacke dort erst so richtig gemütlich gemacht hatte. Gleichzeitig schien die Glut seiner Aggression wie von Geisterhand gelöscht. So schnell konnten Herr Pfeiffer und sein Zuchtigel keine Flasche Bier leeren, mit welcher Geschwindigkeit Herr und Frau Blass wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Lediglich 2 Tage später stapelten sich auf der Fußmatte vor der Haustür von Familie Birtel eine ansehnliche Anzahl sauber parierter Kalbsknochen. Ossis makabere Antwort auf Herrn Birtels Intervention.

Doch an diesem Polizeieinsatz an jenem Samstagmorgen, schien Herr Birtel nicht das auslösende Momentum gewesen zu sein. Alles deutete auf Herrn und Frau Franz hin, die an ihrer Vorgartenhecke wie angegossen der Dinge harrten, die da auf der anderen Straßenseite gleich passieren würden. Frau Theobald, ganz von ihrer Besorgnis und Neugier getrieben, hatte endlich den Beobachtungsposten zwischen den beiden Koniferen des Anwesens mit der Hausnummer 7 eingenommen und konnte fortan aufgeschnappte Dialoge oder ihre subjektiv interpretierten Geräusche aus dem Inneren des Hauses im Flüsterton an die Nachbarn auf der anderen Straßenseite weitergeben. Herr Franz schien in der Hektik des frühen Morgens noch nicht sein Hörgerät angelegt zu haben, denn immer dann, wenn Frau Theobald wild gestikulierend Botschaften zu übermitteln versuchte, reckte er seinen Oberkörper weit in die Fahrbahn. Einhergehend legte er beide Handflächen hinter seine Ohrmuscheln, um seinen lappigen Resonanzkörper deutlich mehr Empfang zu verschaffen.

Von meiner Position am Dachfenster konnte ich auf jeden Fall nichts ausmachen, was sich nach einem heftigen Schusswechsel, einer Detonation oder zumindest einem lautstarken Wortwechsel angehört hätte. Abgesehen von dem Rentner-Trio und zwei geparkten Streifenwagen war in der Schillerstraße nichts Nennenswertes zu vermerken. Der Sprung zurück auf die Matratze war trotzdem keine Alternative, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass vier Polizisten mit Tatütata und voller Beleuchtung zum gemütlichen Samstagmorgen-Kaffee bei Familie Blass anrücken. Außerdem ging ich fest davon aus, dass Ossi, das Prachtstück, sich innerhalb des Gemäuers aufhielt.
Nach circa 15 Minuten gefühlter Langeweile tat sich dann endlich etwas. Ein weiteres Auto bog in unsere Straße ein und parkte direkt hinter den beiden Streifenwagen. Der Mann, der aus dem Fahrzeug stieg, kam mir zwar bekannt vor, doch konnte ich das Gesicht allerdings keinem bestimmten Ort oder einem Ereignis zuordnen. Meinen Fundus an Erfahrungen als TV-Serienkonsument durchstöbernd, ging ich davon aus, dass es der Mann von der Spurensicherung sein musste. Keine Schießerei, keine Explosion. Im Haus mit der Nummer 7 wurden offenbar die Leichen gezählt. Jeden Augenblick musste somit, der alltäglichen Fernseh-Logik folgend, der örtliche Bestatter mit seinem größten Transportfahrzeug um die Ecke biegen. Einen anderen Reim ließen die Vorkommnisse für mich nicht zu.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000080175790/warum-uns-tratschen-und-klatschen-guttut

Entgegen meiner Erwartungen bog kein schwarzer Leichenwagen in die Schillerstraße ein. Stattdessen schrieb die Sackgasse weiter ihre eigene Geschichte. Der Mann mit dem mir etwas bekannten Gesicht und ein Polizist trugen, beinahe wie eingeübt und im Gleichschritt, einen blauen Plastiksack über die Straße, den sie im Kofferraum des Pkws deponierten. Meine Vermutung über den Inhalt der Tüte tendierte zu Frau Blass, obwohl es ebenso der Gatte hätte sein können, da sie sich im Laufe der Jahre gewichtsmäßig angepasst hatten. Der Kofferraumdeckel wurde geschlossen, der Mann stieg in sein Auto, wendete das Fahrzeug und verließ den Tatort. Der Polizist, gerade noch im staatstragenden Einsatz, den es offensichtlich zurück ins Haus des Grauens zog, wurde jedoch von Frau Theobald aufgehalten. Die nutzte eiskalt die günstige Gelegenheit, um sich zu erkundigen, wann nun die nächste Leiche abtransportiert wird. Ganz im Gegensatz zu meinen Erwartungen, die darauf hinausliefen, dass der Hüter über die innere Ordnung in unserer kleinen Stadt die Frau im Morgenmantel ignoriert, links stehen lässt oder über sie hinweg läuft, verharrte er auf dem Bürgersteig und ließ sich in einen kurzen Dialog verwickeln. Da kaum anzunehmen war, dass die beiden Rezepte austauschen, musste ich davon ausgehen, dass Frau Theobald in diesem Moment die am besten informierte Anwohnerin in der Schillerstraße war. Das erste und letzte Mal, dass ich diese Frau um etwas beneidete. Mit dem gerade erworbenen Insiderwissen avancierte die alte Schachtel schlagartig zur Chefin im Ring.

Eigentlich hätte sie die Situation gnadenlos ausnutzen und die erhaltenen Informationen häppchenweise gegen kleine Aufmerksamkeiten aus der Nachbarschaft eintauschen können. Meine Mutter, die zur gleichen Zeit mit Sicherheit ein Stockwerk tiefer auf unserem kleinen Balkon stand und das Treiben von dort beobachtete, wäre mit Sicherheit bereit gewesen 2 oder 3 Gläser ihrer hausgemachten Marmelade springen lassen, könnte sie zumindest herausfinden, wer oder was sich in dem blauen Sack befand. Herr oder Frau Blass? Vielleicht ein paar fachgerecht ausgebeinte Körperteile? Denn bei einem Metzger im Haus kann dies nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ähnliche gelagerte Probleme, wie sie durch meinen Kopf schwirrten, plagten garantiert all die anderen Anwohner, die entweder verstohlen hinter ihren Gardinen lauerten oder sich, aus Angst vor einer größeren Schießerei, in die Kellerräume begeben hatten und die Ereignisse aus den ebenerdigen kleinen Klappfenstern verfolgten.

Frau Theobald machte sich zwar weiterhin konstant Sorgen, konnte vielleicht auch ansonsten Vieles – aber garantiert nicht schweigen. Logischerweise dackelte sie, nachdem der Polizist neuerlich im Horror-Haus verschwunden war, schnell auf die andere Straßenseite. Herr Franz brauchte seine, von den vielen Stürzen, geschundenen Hände nicht mehr hinter seinen Ohrmuscheln anzudocken, sondern konnte zumindest eine davon benutzen, sich theatralisch auf die Stirn zu schlagen. Dementsprechend schockiert hatte ihn offensichtlich das, was Frau Theobald von gegenüber an Neuigkeiten mitbrachte. Frau Franz schienen die Informationen noch härter getroffen zu haben, denn sie hielt sich nicht nur beide Hände vor das Gesicht, sondern schüttelte dazu noch fassungslos mit dem Kopf. Allerspätestens zu diesem Zeitpunkt, wäre meine Mutter ebenfalls gerne ein paar Häuser weiter oben am Straßenrand gestanden.

Frau Theobald nahm ihr Wissen um das Böse im Menschen und ihre alltäglichen Sorgen mit auf den Weg zurück in ihr Eigenheim und nahm ihre gewohnte Beobachterposition an dem Fenster ein, von dem man wunderbar auf unseren Balkon und in unser Wohnzimmer blicken konnte.
Weiter oben in der Schillerstraße wurden an diesem Samstagmorgen keine weiteren Leichenteile in blauen Plastiksäcken in herbeigerufene Autos verladen. Die 4 Polizisten verteilten sich kurze Zeit später in ihren Dienstfahrzeugen und überließen offensichtlich, ohne die üblichen Absperrbänder zu ziehen, das Anwesen der Familie Blass, samt dessen Inhaltes und der unweigerlich einsetzenden Verwesung. Die übliche Langeweile kehrte zurück in meine Straße. Ich konnte getrost meinen Posten unter dem Dach verlassen, mich ein Stockwerk tiefer begeben, wo mich vielleicht ein gedeckter Frühstückstisch erwartet.

Ossi Blass lebt nicht mehr. Falsch! Selbstverständlich lebt er noch – jedoch nicht mehr in der Schillerstraße. Seine Eltern benötigten seither keine weiteren Nacht-Sessionen im Gemüsegarten zu befürchten. Wo er just in diesem Moment wohnt, wissen mit anzunehmender Sicherheit die beiden Alten nicht wirklich. Gemunkelt wurde eine ganze Zeit, er könnte sogar dem Bundesland auf Nimmerwiedersehen den Rücken gekehrt haben.

Quelle: https://www.willhaben.at/iad/kaufen-und-verkaufen/d/fleischer-fleischhauer-schlachtbeil-metzger-beil-messer-585040700/

Während des Frühstücks an jenem Morgen erfuhren dann mein Vater und ich aus einer gut informierten Quelle, was da oben in der Straße wirklich los war.
Ossi verspürte anscheinend bei seiner nächtlichen Rückkehr aus der Nachbargemeinde, wo an jenem Wochenende ein Dorffest überschaubare Menschenmassen zu Bier und Fressbuden lockte, den Drang, bei der Versorgung der Familie seinen Teil beizusteuern. Somit stoppte er seinen Wagen auf halber Strecke und ließ kurzerhand eines der Schafe von Bauer Halms, die auf dessen riesigen Grünflächen die schneefreie Zeit genossen, in seinem Kofferraum verschwinden. Da er scheinbar ausnahmsweise nicht seine Schlachtutensilien griffbereit hatte, musste das Tier den Transport bis in die Schillerstraße 7 bei vollem Bewusstsein durchstehen. Der lautstarke Protest des Schafs vom Kofferraum bis in die Badewanne bei Familie Blass, ließ, so ist es zumindest anzunehmen, in dieser Nacht Frau Franz hellhörig werden. Anstatt sofort einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster zu werfen, von wo aus sie direkt auf die Straße hätte blicken können, weckte sie zuerst ihren tief schlafenden Ehemann. Als man dann endlich die Rollläden ein paar Zentimeter hochgezogen hatte, stand einzig das geparkte Auto auf dem Bürgersteig. Allerdings klangen aus dem Inneren des gegenüberliegenden Hauses weiterhin diese furchtbaren Laute. Was macht der wachsame Bürger in einer solchen Situation?
Man ruft die Polizei.

Sort:  

Und da sagt der reizüberflutete Großstädter in seiner sanierten Altbauwohnung, es sei ihm in der Provinz zu langweilig gewesen. Der war vermutlich nie dort!

Das große Kino beginnt nicht im Kopf. Der Startschuss fällt immer in der tiefsten Provinz, in der noch immer die Meinung vorherrscht, das Schwarzpulver sei noch nicht erfunden. Das Hackebeil tut es doch auch! 😂

Nach dem lesen dieser spannenden, wie urkomischen Provinzposse, begibt sich nun ein amüsierter, echter Ossi, zufrieden ins Bett.
You made my day.
Danke. 😎

... und vergiss nur ja die intelligenten Selbstgespräche, gespickt mit unzähligen Fremdwörtern, nicht! Nur mit denen als Einleitung ist der tiefe Schlaf garantiert.

Congratulations @w74! You have completed the following achievement on the Hive blockchain and have been rewarded with new badge(s):

You distributed more than 10000 upvotes.
Your next target is to reach 11000 upvotes.
You made more than 7000 comments.
Your next target is to reach 7500 comments.

You can view your badges on your board and compare yourself to others in the Ranking
If you no longer want to receive notifications, reply to this comment with the word STOP

Support the HiveBuzz project. Vote for our proposal!