Persönlichkeitsbildung? Wo? In der Schule? Und unsere Kinder? Als Kollektiv? Ein Zwischenfazit!!!


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Nichts anderes als blanker Bildungsdespotismus

In seiner Buchvorstellung „Die Freie Gesellschaft…“ (2018) beschreibt Dr. Dietrich Eckardt zwei Grundformen von Verhaltensnormen. Er unterschiedet, die (positiv gerichtete) Forderung, als Gebot („Mach das!“), und die (negativ gerichtete) Drosselung, als Verbot („Lass das!“).
Beim Gebot wird eine bestimmte Aktivität abgefordert, ein Sein-Sollen. Das Verbot dagegen verlangt das Vermeiden einer Aktivität, ein Nicht-Sein-Sollen. Beides kann, muss aber nicht, unter Zwang geschehen: Entweder man erzwingt die Hervorbringung einer bestimmten (positiven) Aktivität im Gebotszwang, nach dem Motto: „Pass dich an!“, oder man erzwingt (negativ) die Unterlassung einer bestimmten Aktivität, im Verbotszwang nach dem Motto: „Bremse dich!“ - Der Unterschied zwischen Gebots- und Verbotszwängen erscheint oft verwischt, dies mit unerfreulichen Folgen für den Stil des Umgangs miteinander. Gebote und Verbote sind nichts als (verdeckte oder offene) Formen der Gängelei.

Vernünftige - wenn auch oktroyierte - Verbote erhalten die Freiheit des Individuums. Die Vernünftigkeit leitet sich ab von dem Imperativ „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Andren zu“. Wer diesen Satz verstanden hat, akzeptiert die Gängelung durch die daraus ableitbaren Verbote.

Gebote hingegen sind - sofern sie oktroyiert sind - glatte Nötigungen und werden meist auch als solche empfunden.

Der Verbotszwang (Vermeidungszwang) ist zwar schlimm genug, aber er rettet die freie Lebensentfaltung aller. Der Gebotszwang hingegen widerspricht nicht nur einem menschenwürdigen Umgang, sondern auch einer Pädagogik, die sich die Freiheit der Bildung auf die Fahnen geschrieben hat. Lerngebote gehören nicht als von irgendjemanden erzwingbare, sondern als frei zu übernehmende Angebote in den Bildungsgang des Menschen (dazu in späteren Artikeln mehr).
In Schulen hingegen steht das Lernen unter einem „von oben her“ gesetzten Zwang. Der wird nicht erst sichtbar, wenn die Polizei anrückt, sondern schon dort, wo das Lernen kontrolliert und die Teilnahme an „Tests“ verlangt wird.

Die Lerngebote, die das Lehrplanlernen (s. Vorherige Artikel) in die Köpfe von Schülern zwingen will, sind allemal Nötigungen. An Schulen wird das sich bildende Individuum genötigt, Bildungsgüter im Stundentakt nach vorbestimmten Lehrplänen in jahrgangsmäßig zusammengewürfelten Gruppen zu konsumieren, die extrinsisch motiviert werden. Dieser Umstand hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass die allgemeine Sensibilität für ein freies und unabhängiges Leben sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern die Schule Zug um Zug in eine nicht mehr totzuschweigende Krise gebracht hat (vertiefen werde ich dies in späteren Artikeln).

Das Ziel der Nötigung an Schulen ist ein oktroyiertes Sein-Sollen. In den Paragraphen 239 und 240 des deutschen Strafgesetzbuches ist eindeutig geregelt, dass Nötigungen - qua aufgezwungenes Sein-Sollen bzw. Tun-Sollen - Straftatbestände sind

(s. dazu besonders Hubertus von Schoenebeck, 1980).

Die alltäglich im Schulalltag praktizierte Nötigung bleibt seltsamerweise straffrei.

Vor dem Hintergrund der in (vorherigen Artikeln) dargestellten Beobachtungen und Analyseergebnisse schärft sich der Blick für das, was an Schulen wirklich geschieht. Das durchgeplante Lernen der Schulwelt in der oben beschriebenen Form ist nichts anderes als Nötigung, eine Nötigung, die teilweise bis ins Absurde gesteigert ist. Offensichtlich ist sie dort, wo die Schule im Falle einer Verweigerung des Schulbesuchs die Polizei ruft (auch dazu bedarf es eines gesonderten Artikels, den ich bestimmt noch vorstellen werde).

Die Nötigung im Schulwesen dokumentiert sich in der gesamten Organisation der Lernveranstaltung. Durch das dort übliche Lernen in Verbindung mit der „Schulpflicht“ übt die Gesellschaft einen ganz massiven Druck auf die Lernenden aus. Nicht nur die Schulverwaltungen, sondern auch die Mehrheit der Schülereltern scheint das vollkommen im Lot zu finden.

Nun gibt es mancherlei Formen von Zwang und Nötigung. Diejenige, die in der Schulstube stattfindet, ist die folgenschwerste. Die an Schulen gebildeten Menschen, da sie über Jahre hinweg genötigt wurden, arrangieren sich damit, ihr ganzes weiteres Leben hindurch genötigt zu werden. Gegenüber vielen Freiheitsbeschränkungen werden sie unempfindlich. Sie geben es auf, die Verhältnisse, in denen sie leben, zu durchschauen und finden sich in dumpfer Gleichmütigkeit damit ab, dass sie nichts daran ändern können („Sartori-Syndrom“).

Hubertus von Schoenebeck macht zurecht darauf aufmerksam, dass es sich bei der Form des schulischen Lernens um eine massive Menschenrechtsverletzung handelt:

„Die Schule verhindert durch die Missachtung der Menschenrechte, durch den Lern- und Beurteilungszwang, dass die Lernressourcen der nachwachsenden Generation erkannt und ausgeschöpft werden. Die Energien der Kinder sind im Abwehrkampf gegen den Lern- und Beurteilungszwang gebunden. Erwachsene werden in diesem Kampf aufgerieben und ihre hilfreichen Fähigkeiten zur Unterstützung der Lernfähigkeit können nicht genutzt werden. Die Lernergebnisse der Zwangsschule sind deswegen äußerst gering“(1980).

Die Prozedur des schulischen Lernens offenbart gröbste Menschenverachtung. Die Schule betrachtet die Heranwachsenden

„als Menschenmaterial…, dem irgendwelche Qualitäten reingejubelt werden sollen.“ (Ekkehard von Braunmühl, 1975)

Der Gymnasialprofessor Walther Borgius erinnert diesbezüglich an das scheußliche Schauspiel des vorweihnachtlichen Nudelns der Gänse. Dabei werden die armen Tiere in einen winzigen Kasten gesteckt und alle zwei Stunden öffnet ihnen jemand gewaltsam den Schnabel, stopft ihnen eine bestimmte Menge von Nudeln in den Hals und nötigt sie, diese herunterzuschlucken. Jeder hat Abscheu bei diesem Anblick, meint Borgius.

„Aber niemand macht sich klar, dass es – nur geistig und nicht körperlich – genau dieselbe Prozedur ist, welche die Schule an unseren Kindern vornimmt“ (Nachdruck 1981).

Ist es da verwunderlich, dass freiheitlich gesinnte Pädagogen zu einem derben, aber treffenden Urteil gelangen: Schule als

„Frevel an der Jugend“, als „Fluch der Kindheit“ (siehe vorherige Artikel).

Auch das Nudeln der Gänse hat ein zwangsweise herbeizuführendes Sein-Sollen (Gebotszwang) zum Ziel. Man könnte es ebenfalls „Bildungsziel“ nennen: Die Gänse sollen am Ende möglichst fett sein zum Schlachten. Die schulgebildeten deutschen Soldaten hatten dieses Ziel vor den Weltkriegen in bewundernswert vollkommener Weise erreicht (dank Fichte im Jahre 1806, Rede an die „Deutsche Nation).

Lern-Gebote gehören nicht als erzwungene, sondern lediglich als freie An-Gebote in den Bildungsgang des Menschen. In Schulen hingegen steht das Lernen unter einem ständigen fremdbewirkten Gebotszwang. Für die Entwicklung der Heranwachsenden ist das fatal. Es verfestigen sich Psychostrukturen, die den Gebotszwang als normale und geduldig zu ertragende Form menschlichen Lebens erscheinen lassen. Das damit einhergehende Freiheitsdefizit wird zwar empfunden, vielleicht sogar thematisiert, aber eine bewusste Aufarbeitung gelingt nur in den seltensten Fällen.

Der Gebotszwang an Schulen, ob mit oder ohne Absicht ausgeübt, hat einen Namen:

Bildungsdespotismus ( Heinrich Kupffer: „pädagogischer Imperialismus“; 1980).

Wir Erwachsenen - sofern wir unsere Kinder auf Schulen schicken - sind die Kreuzritter des Bildungsdespotismus. Der Bildungsdespotismus versucht seine Ideologie vom „wahren“ Menschen in die noch nicht „wahren“ Menschen einzuimpfen. Er erzwingt ein Ideal, das den Vorstellungen von Volksverbesserern entspringt.

„Als Einstein über die kurze Zeit sprach, die er zur Vorbereitung seines Examens in der Schule verbringen musste, erklärte er, als Folge dieses Zwangs sei er noch mehrere Jahre danach unfähig zu jeder schöpferischen Arbeit gewesen,“ berichtet uns Everett Reimer (1972),
der bei einem Vortrag Einsteins zugegen war. „Die Minderheit der Einsteins verliert nur etwas Zeit, die Mehrheit verliert ihre wichtigste Bildungsmöglichkeit.“

Bezeichnend für die gesellschaftliche Einstellung zur Bildung auf der Basis von Nötigung ist, wie man denen gegenüber reagiert, die mit solcher Nötigung ihre Schwierigkeiten haben. Mit Blick auf das ADHS-Syndrom (ADHS = Aufmerksamkeits-Defizit-Hyper-Aktivi-täts-Störung), das vor allem bei intelligenten und wachen Schülern zu beobachten ist, bemerkt Jan Edel (2007):

„ADHS-ler können als… eine Art Indikator für unsere Gesellschaft gelten, ob diese sich noch auf dem für Menschen erträglichen Weg befindet. Die Diagnose der Gesellschaft für sich auffällig verhaltende Menschen aber lautet: Krankheit.“

Sich dem staatlichen und dem privaten Zurichtungswillen nur noch durch Verhaltensfehlstellungen entziehen zu können, deutet nach heutigem Bewusstseinsstand auf ein Krankheitssymptom. Eine Krankheit muss mit Heilmitteln behandelt werden. ADHS-ler erhalten deshalb Tabletten, die ihr offenbar allzu waches Seelenleben in die richtigen Bahnen lenken sollen.

Stalin und Breschnjew hatten für solche Fälle die sowjetische Psychiatrie (Wladimir Bukowski, 1983).

Der schulische Gebotszwang

(„pädagogischer Oktroy“; Hartmut von Hentig, 2006)

gehört zu uns, genauso wie der Hunger nach Ablenkung von unserem (vielleicht gerade durch diesen Zwang bewirkten) unvollkommenen Erwachsensein.

Oktroyierter Gebotszwang setzt neuerdings nicht mehr so sehr auf physische Mittel. Die direkte Gewaltausübung an Heranwachsenden wie Schläge, Einsperren, erzwungene Strafarbeiten ist mittlerweile verpönt. Man baut auf psychische Mittel. Die zeitgemäße Form des Gebotszwangs ist der Zuwendungsentzug, „Liebesentzug“ genannt.

Nach Erkenntnis vieler Psychologen ist der Zuwendungsentzug ein für Kinder weit subtileres und wirksameres Zwangsmittel als die nackte Gewalt. Er löst allerdings auch wesentlich nachhaltiger und destruktiver psychische Störungen aus, mehr als alle Formen körperlicher Gewaltanwendung zusammen. Diese erzeugen zwar Schmerz- und Hassgefühle, Reaktionen also, die ganz natürlich und spontan beim Kind entstehen, wenn es bestraft wird, die aber auch wieder vergehen. Liebesentzug aber kann dauerhafte psychische Schäden nach sich ziehen.

Fazit der bisherigen Beobachtungen:

Freie Persönlichkeitsbildung ist an Schulen prinzipiell nicht möglich. Die Bedingungen dafür sind nicht erfüllt. Freie individuelle Bildung und Schule, das sind zwei Dinge, die sich schon von der Wurzel her, also radikal im wörtlichen Sinne, ausschließen. Schulbildung ist immer nur Schulbildung. Sie ist ein erzwungenes Sein-Sollen, ein oktroyierter Gebotszwang, die Manifestation eines Bildungsdespotismus. Wer seinen Nachwuchs den Schulen überlässt, betreibt Kindesmisshandlung und Jugendverderb. In einer Zeit, in der man immerhin erkannt hat,

„dass Legeboxen für Hühner unwürdig sind“ (Jan Edel, 2007),

scheint es selbst für Eingeweihte schwierig zu sein, klar zu erkennen, was mit den von uns geschaffenen Bildungseinrichtungen nicht stimmt. Das Schulsystem ist - mit den Worten des Freiheitstheoretikers Murray Rothbard -

„ein ausgreifendes System der Einkerkerung“, ein „großes Gefängnissystem für die Jugend“ (2012).

Hier nochmals die ersten 5 Beiträge zum Nachlesen
https://hive.blog/deutsch/@zeitgedanken/4a3ygz-persoenlichkeitsbildung-wo
https://hive.blog/deutsch/@zeitgedanken/5qwwvp-persoenlichkeitsbildung-wo-in-den-schulen
https://hive.blog/deutsch/@zeitgedanken/4s8cec-persoenlichkeitsbildung-wo-in-der-schule-und-unsere-kinder
https://hive.blog/deutsch/@zeitgedanken/666r72-persoenlichkeitsbildung-wo-in-der-schule-und-unsere-kinder-als-kollektiv
https://hive.blog/deutsch/@zeitgedanken/2qtx53-persoenlichkeitsbildung-wo-in-der-schule-und-unsere-kinder-als-kollektiv-fortsetzung

Im nächsten Beitrag nehme ich die Schulpflicht etwas genauer unter die Lupe, bis dahin euch allen ein schönes schneereiches WE mit vielleicht auch etwas Sonne,

Euer Zeitgedanken.

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Danke für diesen befreienden Artikel! Schule führt im schlimmsten Fall zu einer Persönlichkeitsstörung.

Schulpflicht ist (leider) die natürliche Folge einer Gesellschaft, die auf die 40h Woche von hauptsächlich abhängig Beschäftigten ausgerichtet ist.
Nicht umsonst kam sie in vielen Ländern mit der Ausbildung der “modernen” Industriegesellschaft auf.
Nicht die Herausbildung der besonderen Fähigkeiten Einzelner steht im Vordergrund, sondern die Ausbildung zum Fließbandarbeiter (ganz egal ob am Fließband oder im Büro) und Staatsbürger.
Das System Schule tut genau das was es soll.

Dass abhängige Beschäftigung, der 8h Tag, die 40h Woche, Schichtarbeit, immer wieder die selbe Tätigkeit, usw. widernatürlich sind zeigt sich an den vielen psychischen und physischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft.
Vergleicht man das Leben der Mehrheitsgesellschaft mit dem Leben der Hadza, sieht man auf welche Art Leben unser Körper und Geist eigentlich ausgelegt ist.
Chronizität macht krank, dumm und tötet.

Aus dem Ganzen auszubrechen ist sehr schwierig (ich habe es nicht komplett geschafft), aber wahrscheinlich war es noch nie so einfach wie heute.

Als Beispiel und Vorbild, dass es auch anders geht empfehle ich den jungen Leuten immer diesen Mann und seine Bücher.

Schön mal wieder was von Dir zu hören.

Ein sehr gelungener Artikel. Allerdings würde ich das staatliche Bildungswesen nicht als Schule bezeichnen, da die Menschen und die Jugendlichen dort nicht im Ausbau ihrer individuellen Fähigkeiten geschult werden, sondern vielmehr im Sinne des Systems umerzogen werden - sprich das was wir als Schulen bezeichnen sind in Wirklichkeit staatliche organisierte Jugendgulags oder auch Umerziehungslager.

Vielen Dank für die stets erhellende Sicht auf das Ganze und die Aufarbeitung wichtiger Aspekte im Detail, da bekanntlich der Unterschied sich meist im kleinen versteckt.

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