Flagellanten - Früher war alles besser

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Jeder von uns der nicht mehr die Schale hinter den Ohren hat, wird bereits einmal über seine Lippen gebracht haben: Früher war alles besser! Dabei sind wir üblicherweise mit soviel Elend gesegnet, dass wir zumeist nicht dafür nicht in unseren Erinnerungen kramen müssen, sondern in sehr alten Büchern. Wer nicht glaubt, dass früher alles besser war, der sollte den heutigen (nicht ganz ernst gemeinten Beitrag) aufmerksam studieren. Viel Spaß! :)

Wer denkt, dass Straßenumzüge in Zeiten von Seuchen ein modernes Phänomen ist und dabei nur den Kopf schütteln kann, der sollte einmal tief durchatmen und sich bewusst machen, dass dies keineswegs ein neues Phänomen ist, sondern es durchaus bereits gegeben hat. Wie so vieles in unseren Leben kann man vieles über die Zukunft dadurch lernen, dass man in die Zukunft blickt.

Denn merkwürdige Massenphänomene waren auch für das 13. Jahrhundert in Europa nichts Neues. Doch um das Ganze ein wenig näher zu verstehen, müssen wir uns zunächst auf das 12. Jahrhundert blicken. Dort beschrieb Petrus Damiani über den Eremit Dominicus Laricatus, dass dieser regelmäßig die Psalter rezitierte. Man möge nun denken, dass er ein besonders frommer Mann gewesen wäre und vielleicht kaum der Rede wert.

Das besondere bei seinem Gebet war allerdings, dass er sich dabei mit einer Peitsche schlug. Ein Instrument das üblicherweise den Gehorsam in den Menschen treiben sollte. Auch hier schien primär eine „Selbsterziehung“ Hintergrund seines Handelns zu sein. Man konnte seinen asketischen Lebensstil noch ein wenig mehr ausreizen und dabei ein wenig leiden wie sein Erlöser.

Während einige Mönche den Kopf schüttelten, drosch Laricatus weiter auf sich ein. Der geneigte moderne Mensch könnte nun vielleicht denken, dass er eine furchtbare Angst vor einem Inpingment Syndrom hatte und unbedingt seine Schulter kräftigen wollte. Doch primäres Ziel der Flagellation war es wohl zu veranschaulichen, wie sehr Jesus gelitten hätte. Und auf jeden Fall wird ein sich selbstauspeitschender Mensch durchaus der Aufmerksamkeit anderer Gewiss gewesen sein.

Man könnte nun denken, dass es sich hierbei um einen einzelnen verwirrten Menschen gehandelt hätte, der schlichtweg keinen angemessenen Platz in der Psychatrie erhalten hat. Doch sind Ideen erst einmal in der Welt, lassen sie sich nur noch schwer aus eben dieser entfernen, weil es immer wieder Leute gibt, die über diese stolpern.

Und so geschah es im Jahr des Herrn 1260, dass ein Engel vom Himmel herab stieg und gegenüber Raniero Fasani verkündete, dass die Stadt in der er lebte dem Untergang geweiht war. Gott war sehr erzürnt über die Menschen und wer nun nicht umgehend und geschwind Buße tat, würde dies zutiefst bereuen. Ob Gott an diesem Tag wirklich so schlechte Laune hatte, der Engel wirklich erschien oder Fasani einfach nur Stimmen hörte, wird wohl auf Ewig ein Rätsel bleiben.

Doch Fasani tat Buße, schnappte sich aus seinem vermutlich gut eingerichteten Domina-Keller eine Peitsche und lief sich selbst geißelnd durch die Straße. Man braucht nicht viel Fantasy um sich vorzustellen, was die Zeitgenossen damals darüber so gedacht haben. Ein großer Teil wird sich vermutlich still seinen Teil gedacht haben und gedacht haben, dass da jemand wieder mit zuviel Rotwein aufgestanden sei.

Einige Menschen erpackte jedoch eine Angst, dass an seiner Geschichte etwas wahres dran sein könnte. Wäre ärgerlich, wenn Gott nun die Stadt untergehen lässt und man auf dem falschen Fuss erwischt wird. Also schlossen sich immer mehr Menschen seiner Prozession an und begannen sich selbst zu kasteien.

Je mehr Menschen wiederum sich diesen Treiben anschlossen, umso unheimlicher musste das Ganze gewirkt haben. Zogen diese Flagellanten nun durch das Dorf unter dem Gesang von Volksliedern und peitschten sich dabei aus und verkündeten das Ende der Welt, kam so mancher einer ins Grübeln, ob man nun so kurz vor dem Ende der Welt eigentlich noch ein Eigenheim erwerben sollte.

Überhaupt steckte man in einer Zwickmühle. So wurde berichtet, dass diese Umzüge einige Menschen bis auf das Markt erschütterten. Wo gekämpft wurde, ließ man die Waffen strecken. Wo geklaut wurde, gab man seine Beute umgehend zurück. Und der Nachbar den man ins Exil geschickt hatte, ließ man vor lauter christlicher Nächstenliebe wieder zurück. Wenn man schon ein lasterhaftes Leben führte, will man ja wenigstens auf den letzten Metern noch ein wenig Punkte gut machen.

Diese zumeist von Laien organisierten Umzüge brachten allerdings für die etablierte Kirche einen entscheidendes Problem. Man möge ja nun denken, dass der Verbreitung von Gottes Wort für sie wichtig gewesen sei. Allerdings hatte man ja ein Monopol auf Erlösung und verlor massiv an Marktanteile, wenn jeder nun durch die Peitsche sich selbst erlösen könnte. Zudem war das umher wandern schon selbst ein subversiver Akt!

Also sorgte man dafür, dass die Umzüge von christlichen Fachleuten begleitet wurden. Diese Geistlichen marschierten zumeist am Kopf des Zuges und führten den an, während dahinter das Heer der Flagellanten hinterher zog. Wenn nun die mächtige Kirche und soviele Menschen dort mitmachten, konnte dies nur eines bedeuten: Das Ende ist nah!

So machte sich eine Endzeitstimmung breit, die 1260 immer mehr Menschen in ihren Bann zog. Zunächst von Italien aus, sprang der Funke über auch auf andere Länder jenseits der Alpen. Österreich, Ungarn, Bayern, Franken, Polen, Böhmen und Teilen von Frankreich. Überall kam es zu solchen merkwürdigen Schauspielen.

Das Problem mit Untergangspropheten ist allerdings eben immer dann, wenn eben dieser ausbleibt. Und so kam es im Herbst 1261 genauso schnell zu einem Ende dieser Grasswurzelbewegung, wie sie ursprünglich entstanden ist. Ich stelle mir vor, dass es langsam draußen kalt wurde und der Winter vor der Tür stand, da wollte man dann doch lieber wieder fix heim.

Man könnte nun natürlich denken, dass hier einfach eine Massenpsychose vorgelegen hat und am Ende einfach einer Supergaudi, die dann eben in unterschiedlichen Ortschaften auftraten. Doch die Geschichte endet hier keineswegs. Es dauerte immer fast 90 Jahre bis diese Ideen wieder aufgegriffen wurden.

1348 kam der schwarze Tod nach Europa und griff um sich. Eine vermutlich sehr verstörende Erfahrung für die damaligen Menschen, die keinerlei Wissen über Viren und Bakterien hatten. Es breite sich einfach aus und so sehr wie man sich vor fast 100 Jahren geirrt hatte, musste es nun stimmen. Das Ende ist nah und Gott ist erzürnt!

Fast ohne einen echten Ursprung auszumachen, ergriff die Flagellanten-Bewegung fast ganz Europa und es zogen die Selbstgeißler durch die Straßen. Besonders gut dokumentiert ist dies in Wallonien, wo ein Abt beschrieb, dass rund 565 Bürger, sowie mehrere Geistliche unter Selbstgeißelung durch die Gegend zog.

Diese Umzüge waren auch unter den Zeitgenossen nicht ganz unumstritten. Die Dominikaner begrüßten diese als Erinnerung an Jesus, während die Franziskaner und Augustiner diese eher ablehnten und ermahnten, dass diesen kein Heil in Gottes Reich zuteil werde. Die Mächtigen der damaligen Zeit waren vermutlich genauso irrtitiert. Kaiser Karl IV des heiligen Römischen Reichs und König Philipp der Franzosen drängen beim Papst Clements darauf hin, dass dieser eine Bulle erließ, die das öffentliche Geißeln verbot. Dies war künftig nur noch im privaten Räumen erlaubt! (Die Geburt der BDSM-Szene :)). Gleichzeitig beschuldigte man diese an den Judenprogromen schuld zu sein.

Auch in vielen Städten waren die Flagellanten keineswegs willkommen. So ließ man sie in Lübeck und Erfurt einfach vor den geschlossenen Toren stehen. Selbst nach Hinrichtungen flammte immer wieder bis 1400 vereinzelte Umzüge an. Als besonders modern sollte man hier Magdeburg erwähnen bei denen Frauen eigene Umzüge machen durften. Mit freien Rücken und verschleierten Gesicht, durften auch sie sich hier der christlichen Hingabe widmen.

Ob diese Massenumzüge quer durch Europa am Ende der Pest geholfen haben sich auszubreiten, ist nicht leicht zu sagen. Vielleicht brachte es die Leute ja auch dazu eher zu Hause zu bleiben, weil man mit der gruseligen Gestalten auf der Straße gar nicht zu tun haben möchte.

Erst im 18. Jahrhundert kam es im Zeitalter der Aufklärung zu einem jähen Ende dieser Bewegung. Die Aufklärer schossen sich vor allem polemisch auf geile Priester und Nonnen ein um Kritik an der Kirche zu üben. Der Beichtstuhl wurde zum Ort der wollüstigen Verführung, der Peitsche zu einer sexuellen Stimulation. Dadurch verlor es ein wenig an Coolness sich auf diese Weise in der Öffentlichkeit zu zeigen und es kam zu einem Ende der Bewegung.

Eigentlich Schade oder? Ich könnte mir durchaus vorstellen, wie ein paar Politiker einen neuen Geißelzug anführen könnte um für höhere Steuern zu bitten. Dahinter könnten ein paar Fussballspieler oder andere Sportler folgen um zu demonstrieren, wie eine vernünftige sportliche Leistung bei der Selbstkasteiung aussehen könnte. Dahinter eine Herde von Arbeitnehmern, die sich unter dem lauten Geschnalze der Peitsche versuchen von ihren tristen Arbeitsalltag abzulenken. Auch ein paar Steuersünder würden sicherlich den Umzug krönen.

Dahinter könnte dann die LGBT und BDSM-Szene ein wenig für farbliche Abwechselung sorgen. Danach ein paar Comedians um die Stimmung oben zu halten und ganz am Ende noch ein paar Sanitäter, damit künftige Generationen nicht sagen würden, dass wir nicht modern seien. Um die Krankenkasse nicht übermäßig zu belasten, muss natürlich keine Peitsche mehr genutzt werden. Alternativ kann dies auch unter einem laut klatschenden Facepalm erledigt werden. :)

Okay, ein solcher Umzug würde vermutlich wirklich lächerlich wirken. Es stimmt am Ende eben doch, dass früher eigentlich alles besser war. Doch der Nervenkitzel des Lebens liegt eben darin, welcher Weltuntergang uns wohl in den nächsten 200 Jahren erhalten bleiben wird. ;) Wer also über aktuelle Umzüge sorgt, sollte sich vor Augen führen, dass es die schon immer gegeben hat ^_-

„Von der Geißler Sect, welche Anno 1349 angelangt. In berührtem Jahr ist eine neue Sect der Geißler entstanden, deren Anfänge man nicht erfahren. Die haben fürgeben und auch zum Augenschein fürgelegt einen Brieff, den ein Engel vom Himmel zu Jerusalem in St. Peters Kirchen geliefert haben soll, des Inhalts, daß Gott über der Welt Sünde und Bosheit hefftig erzürnt darum er die Welt habe wollen lassen untergehen. Auf der Jungfrau Marien und der heiligen Engel Fürbitt der-selben verschont, doch den Menschen diese Straf und Buß verkündigen lassen, daß ein jeder 34 Tag in der Frembde umbreysen, seinen Leib geißeln und hiemit Gott versöhnen soll. Hierauff haben sich etliche hundert Personen, Mann, Weib und Kinder, zusammen rottiert und seynd im Land umbgezogen […] derselben Sect 200 Personen aus Schwaben zu Speyr im Brachmonat Anno 1349 ankommen, auffm Platz vorm Münster einen großen Ring gemacht, in ihrer Prozession alle mit bedecktem Haupt unter sich und traurig ausgesehen, Geißeln von dreyen Seylen, und vornen mit eysen Creutzlin in Handen getragen. In dem Kreyss haben sie ihre Kleyder abgelegt, den Leib mit einem Schurz gegürt und mit sonderm Gesang und Ceremonien sich über Rücken mit den Geißeln blutrünstig geschlagen. Seynd darnach uffs Angesicht plötzlich niedergefallen, haben mit weinenden Augen ihr Gebet verricht, männiglich zur Buße vermahnt, und da sie wieder auffgestanden, obberührten Brieff öffentlich verlesen und jedermann eingebildet, derselbe sey vom Himmel kommen. Zu Speyr haben sich auss der Stadt auff 200 Personen in den Orden begeben und seynd mit im Land umbgestrichen“ (Klotz, Speyer)

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