Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Säuferland

in GEMS4 years ago (edited)

Ich muss gestehen, heute ein Plagiat zu veröffentlichen - das folgende Gedicht ist nicht meiner Feder entsprungen. Es stammt von einem Künstler, der schon damals seiner Zeit voraus war, indem er unter einem anonymen Pseudonym schrieb, um sich vor begeisterten Verehrern vor seiner Haustür oder aber dem - Neudeutsch - Shitstorm von Neidern am Wählscheibentelefon zu schützen: Johann Wolle von Schüler

Der folgende lyrische Schatz, dieses - Neudeutsch - Gem, entstand vor über 30 Jahren im Deutsch-Leistungskurs, abscheulich berechnend natürlich erst, nachdem wir zumindest das schriftliche Abitur bereits in der Tasche hatten. Ich erachte die Zeit nun für gegeben, das im Poesiealbum gehütete Bravourstück einem breiteren Publikum vorzustellen. Dies exklusiv der verehrten Hive-Leserschaft, weiß ich doch nur hier um den Verbleib der bereits auf der Blockchain, deren Namen man nicht ausspricht, so großzügigen Kenner, Liebhaber und Förderer bemerkenswerter Inhalte.

Bereits viele Generationen von Schülern beklagten sich nach der Lektüre Fontanes im Deutschunterricht über das dieser Dichtung fehlende Niveau. Unter dem gleichen Eindruck erbarmte sich der begnadetste Poet des letzten Jahrtausends, sich aus seinen höheren Sphären zu uns gewöhnlichen, sterblichen Menschen auf Schulniveau herabzulassen, und bemühte sich unter qualvoller Denkanstrengung, einige der unglaublichsten geistigen Klimmzüge des vergangenen Jahrhunderts zu leisten. Er setzte der Krone der Fontaneschen Dichtung, die am großartigsten im lyrischen Werk Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland brilliert, das Sternjuwel auf. Er gab den diamantenen Worten Theodor Fontanes einen neuen, bedeutsameren Schliff. Dabei versäumte der dichtende Juwelier nicht, das poetische Meisterwerk auf soziale, soziologische, philosophische, gar metaphysische Ebenen zu transponieren. Er eröffnete eine nie gekannte lyrische Perspektive, indem er Fontanes trockene Profanität mittels erstaunlicher Sprachkunst überwand, den Leser dabei an die Hand nahm und ihn gnadenlos in die Zonen des eigenen dunklen Selbst führte.

Doch genug der langen Vorrede - lausche nun andächtig dem Genius! Versuche, einen Hauch von jenem spektakulären Geist zu erahnen, der durch jeden Vers, durch jede ganze Strophe weht!

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Säuferland


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Säuferland,
Ein Hopfen in seinem Garten stand.
Und kam die grausame Abi-Zeit,
Aus dem Braukeller duftete 's weit und breit.
Da stopfte, wenn's Schulschluss vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam ein gar durstiger Junge daher,
So rief er: "Knabe, wiste 'n Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Hey, Oma,
Schiet op de School, sauf bis zum Koma!"

So ging es viele Jahre, bis bettelarm
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte die Leber, es war Abi-Zeit,
Wieder soffen die Schüler weit und b-r-e-i-t.
Da sagte von Ribbeck: "Ich braue nun ab."
Und drei Tage drauf, aus dem Gaststubenhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus.
Alle Schüler und Pauker mit Trauergesicht
Sangen: "Guinness, meine Zuversicht."
Und die Schüler klagten, die Leber schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu dat Beer?"

Es mahnten die Schüler: "Uns wird gleich schlecht",
Ach, sie kannten den alten Ribbeck recht;
Der neue freilich, sets nüchtern und hart,
Hält Kneipe und Gasthof streng verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Misstrau'n gegen den eigenen Sohn,
Der wusste genau, was er damals tat,
Als um ein Bierchen ins Grab er bat.
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Bierbaumsprössling sprosst heraus.

Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich der Bierbaum über dem Grab,
Und in der furchtbaren Abi-Zeit
Rülpst man wieder weit und b-r-e-i-t.
Und kommt ein Jung' übern Schulhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'n Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Hey, Oma,
Schiet op de School, sauf bis zum Koma!"

So spendet ein Bier noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Säuferland.

Johann Wolle von Schüler, 1989

So, Wolle, nun ist dein Werk unlöschbar in einer Blockchain verewigt. Sei gewiss, nach dem - dank deiner virtuosen Begabung - erwarteten Erklimmen der weltweiten Trendings, werde ich dir beim nächsten Abi-Treffen mehr als ein Bier ausgeben! Spätestens nach dem vierten Glas Gerstensaft können wir uns dann über unsere misslungene Bildung durch ein das eigene Denken unterdrückendes Schulsystem auslassen. Weißt du noch, wie wir uns durch Stapel von Büchern durcharbeiten mussten, um zu belegen, ob Fontanes Werk nun Trivialliteratur sei oder nicht? Und dieser harte Punktabzug, wenn wir es wagten, eine Meinung aus der Sekundärliteratur als gegeben zu übernehmen, ohne den Konjunktiv zu verwenden?
Diese quälenden Zeiten sind vorbei, pfeif auf die humanistische Bildung! Der Konjunktiv stirbt aus, er wird nicht mehr benötigt, denn es gibt nur noch die Wahrheit: Es gibt jetzt das Internet - es lebe der Indikativ!
Mensch, Wolle, denk doch mal nach! Wie viel vermeintliche Denkarbeit wäre uns erspart geblieben?! Bei Fontanes Werk könnte es sich nicht darum handeln, nein, es ist Trivialliteratur! Wirklich (alles ist nun wirklich): Wenn du heute behauptest, die Erde sei rund, hast du gleich einen an der Scheibe!

Ostern bedeutet Auferstehung, Neustart nach viel Leid. Die Chance zur Neubesinnung trifft uns also zur rechten Zeit. Besinnen wir uns doch mal wieder auf die Verwendung des Konjunktivs, wann immer wir etwas nicht wissen, nicht selbst bezeugen können, keine vertrauenswürdigen Quellen vorzuweisen haben. Eine Behauptung als solche - nicht als Fakt - grammatisch zu kennzeichnen, wäre in meinen Augen geeignet, viele Missverständnisse und Streit zu vermeiden.

Frohe Ostern!


Bild: CC0-Lizenz auf Pixabay
Mein aktueller Beitrag auf dem Steem: The Break Syndrome


12.04.2020
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Sehr schön - auch von mir eine Hopfenkaltschale an den Poeten!

Wobei ich gestehen muss, dass ich Deutsch nach der Elften abgewählt habe. Nach einem halben Jahr Beschäftigung mit impressionistischer Lyrik war mir jede Lust vergangen - wer weiß, was da als Nächstes gekommen wäre...

Danke dir... ;-)
Och, "zum Schluss" gab es nur noch zeitgenössische Literatur, das war unglaublich spannend. Ja, ich denke, die letzten Inhalte haben mich ins Deutschstudium getrieben.

Menno, das lag tief in meinem Kleinhirn rum und quälte mich zu Zeit der Grundschule.

Kannst das aber trotzdem gern als Beitrag zu Woche 148 des #BeerSaturday unter https://peakd.com/beersaturday/@detlev/beersaturday-week-148 einreichen, ähm - einen Link eintragen.

In dem Sinne - Prost

Haha, nun bist du schon der zweite, der sich öffentlich dazu bekennt, dass ich mit dem Ribbeck Grundschulerinnerungen wecke. Stimmt, in der Grundschule musste ich das Gedicht auch auswendig lernen. Die Textanalyse kam deutlich später. Dann die Novellen. "Effi Briest", "Frau Jenny Treibel"... Herrje! Naja, Sozialstudien aus dem 19. Jahrhundert halt. Bisschen Zeitgeist zu ertragen, schadet der Bildung auf Dauer sicher nicht.

Danke für dein Angebot, lieber @detlev. Ich glaube, der Beitrag ist nicht unbedingt für deinen Contest geeignet. Habe den Tag spontan benutzt, weil ich ihn gerade so passend fand. "Bier" und "Samstag" - dummerweise habe ich Samstagabend mit dem Schreiben des Beitrags begonnen und ihn erst Sonntag beendet.
Aber danke für's Vorbeischauen und dafür, dass du mir die kleine Satire in deinem Hashtag nicht krumm nimmst.

Schöne Woche,
LG Chriddi

Danke @chriddi, alles gut und Prost.

Herr von Ribbeck …

🤮
Nee, nein, nee; schlimme Grundschulerinnerungen wurden wach. Dein Beitrag
machte mir keinen Spaß; es war mir unmöglich, ihn zu Ende zu lesen.

es war mir unmöglich, ihn zu Ende zu lesen.

Schade, denn gerade am Ende (wie auch in der unendlich lange Einleitung), kommen meine eigenen satirischen Philosophien ins Spiel... 😉

Ostern bedeutet Auferstehung, Neustart nach viel Leid.

Für Christen. Für Nicht-Christen und Ungläubige wie mich, bedeutet es nichts oder anderes. Für mich ist Ostern, wegen der einfachen Bestimmung und der Bestimmungs-Symbolik, die Feier des Lebens und Aufganges.

Soviel zu Realis und Irrealis ;)

Nebenbei werte Frau Lehrerin und für den Fall, daß jemand sich wundern oder fragen sollte: Daß ein Konjunktiv zeitlos ist, also keine Zeitlichkeit hat, ist ererbt und auch in der altgriechischen Grammatik – uam. – zu finden und dort gut beschrieben.

Grüße.

Mind and heart touches write poems. My belief

My belief

Then it should definitely be so!
Thanks for your reply.

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