2. Advent bis zum 3. Advent 2018 - Wochenrückblick in eigener Sache

in #wochenrueckblick5 years ago (edited)

Sonntag, Zeit für die Kolumne des Chefredakteurs



Ich begrüße ganz herzlich alle Abonnenten, Neugierige und Zufallsleser zur neuesten Ausgabe des BRenNgLAS- Wochenrückblicks.
Man kann es drehen und wenden so oft man will, es geht kein Weg daran vorbei, erkennen zu müssen, uns unaufhaltsam den Tagen zu nähern, die das Potenzial in sich bergen können, einst feste Familienbande zum Zerreißen zu bringen. Damit mir das nicht passiert, habe ich mich von allen geplanten Events mit Freikarten von Opa Herbert bis zu Großtante Otilie und all jenen die dazwischen gehören, abgemeldet. Weihnachten kommt in diesem Jahr reduziert daher. Nur der Chefredakteur, dessen nervenstarke Frau, Herr Klobber (der Hauskater) und eine bemerkenswert stabile Decke Schnee vor der Haustür - das sollte genügen.
Doch bevor es soweit ist, liegt noch einiges an Arbeit vor mir. Dafür sorgte in dieser Woche nicht nur die ganz große Weltpolitik, sondern leider auch übereifrige Dienstleister hier vor den Toren unserer Redaktion. Aber dazu später mehr. Werfen wir zuerst einen Blick, was diese Ausgabe zu bieten hat.

Inhalt:

  • Zum Beginn setze ich die Serie fort, die dem Leser einen kleinen Einblick verschaffen soll, welche Umstände überhaupt dafür gesorgt haben, damit ihr heute diese Ausgabe durchblättern könnt. Entgegen der etwas voreiligen Ankündigung im letzten Rückblick, heute diese Serie abzuschließen, kann ich bei allen News-Junkies für Entwarnung sorgen. Es wurde noch genügend Material aus meinem Leben gefunden, um noch eine Ausgabe damit zu gestalten.
  • Ganz überspitzt ausgedrückt, ist der heutige Blick ins Bücherregal auch ein Rückblick über ehemalige Grenzen hinweg und gleichzeitig eine Geste gegen das Vergessen an einen hervorragenden Autoren.
  • Eigentlich sollte das Album der Woche (abweichend von der Tradition) das Entrée zu dieser Ausgabe bilden, um die Rolle des Wachrüttelers zu übernehmen. Doch sah ich davon ab, da ich, mit all euren bisherigen Reaktionen im Gepäck, mir sicher bin, dass ihr sowieso hellwach an diese Lektüre ran geht.
  • Der Ausklang, so sieht es zumindest augenblicklich aus, wird wohl eine Bühne für all jene, die im Übereifer ihren Verstand verloren haben und ihren Mitmenschen oft mehr als einen ganzen Tag versauen können.
  • Die Werbung in eigener Sache sichert letztendlich das Überleben des BRenNgLAS und verhilft dem Chefredakteur vielleicht zu warmen Socken für das kommende Jahr.
  • Wer uns kritisieren, loben und verdammen möchte, der findet unsere Adresse im Impressum, das wie immer den Abschluss bildet.

Viel Vergnügen und gute Unterhaltung!

Für alle die, die nicht wissen, von was ich hier überhaupt berichte:

Teil 1
Teil 2
Teil 3

London musste mich ertragen.

Der in der nachfolgenden Erzählung erwähnte Belfry Club nennt sich heute Mosimann's Club. Die Gäste haben sich geändert, das Ambiente ist geblieben.

Die Überfahrt verbrachte ich von der ersten bis zur letzten Minute im Frachtraum der Fähre, zwischen all den dort abgestellten Fahrzeugen. Denn als ich im Hafen von Calais die Masse der LKWs sah, die alle vorhatten in das gleiche große Loch des Schiffes zu fahren, das mich auf die Insel bringen sollte, dachte ich nur: Da kann ich meinen kleinen, roten Teufel im Federkleid nicht alleine lassen. Es ging zum Glück alles gut. Keiner dieser Monsterdinger versuchte mit meiner noch jungfräulichen Ente zu kopulieren.

Um mir das Eingewöhnen beim Fahren auf der „falschen“ Fahrbahnseite etwas zu erleichtern, entschloss ich mich ab dem Verlassen der Fähre zuerst einmal hinter die Stoßstange eines Fahrzeugs zu klemmen, das mit britischem Kennzeichen von der Fähre rollte. Was ich jedoch in meiner Planlosigkeit vergessen hatte, meinen spontan auserkorenen „Blindenführer“ vorher zu fragen, ob er vielleicht auch, genau wie ich, die Autobahn in Richtung London ansteuert. Doch das Glück schien einen Narren an mir gefressen zu haben.

Schnell bemerkte ich, dass es wirklich möglich ist, im Kopf einfach nur einen Schalter umzulegen. Der simple Plan: Achte einfach nur beim Abbiegen darauf, dass du immer auf der Straßenseite landest, wo du die Fußgänger auf dem Bürgersteig per Handschlag aus dem Fenster der Fahrerseite heraus begrüßen kannst. Man mag es kaum glauben aber der Plan funktionierte.
Noch naiver ging ich das Unternehmen an, die Kontaktadresse ansteuern, die auf einem Schreiben, das irgendwo auf meinem Beifahrersitz lungerte, vermerkt war. Meine naive Sorglosigkeit schöpfte ich aus der Erfahrung heraus, bereits zwei Mal erfolgreich die Zweitwohnung meines Großonkels in Paris unbeschadet geortet zu haben. Wer Paris meistert, für den sollte London keine große Herausforderung sein. Zugegebenermaßen bin ich manchmal ein furchtbares Großmaul. Aber wenn der Werdegang der Geschichte mir letztendlich recht gibt, warum sollte ich mir dann nicht die ganz große Bühne betreten, um im Applaus zu baden?

Nur frag mich bitte niemand mehr, wie ich das hinbekommen habe. Aber alles lief wie am Schnürchen. Was ich jedoch in der Eile vergessen hatte, nicht nur in London, sondern in ganz Großbritannien konnten sich bis zum damaligen Zeitpunkt weder Deutsch noch Französisch als Amtssprache durchsetzen. Niemand sollte jedoch behaupten, ich sei gänzlich unvorbereitet dieses sprachliche Abenteuer eingegangen. Den Refrain von „Love me do“ der Beatles hatte ich voll drauf. Aber ob mir das am Empfang des Bond-Hotels, das ich anzusteuern gedachte, eine große Hilfe sein würde? Da hatte ich so meine Zweifel. Erhebliche Zweifel!

Alle jemals erlernten Vokabeln mussten mir nun helfend zur Seite stehen. Doch kaum lag mein Empfehlungsschreiben vom Hotel Widder auf dem Desk der Rezeption, wandelte sich die ganze Atmosphäre. Ein lupenreines Französisch schallte mir entgegen und nur wenige Minuten später saß ich meinem ersten Arbeitgeber in Großbritannien gegenüber. Dessen Muttersprache: Französisch!

Am frühen Abend parkte ich meine Ente in der Lennox Road (Finsbury Park), in einem nördlich gelegenen Stadtteil von London. Dort befand sich das Personalhaus der Investoren, die das Bond-Hotel und den Belfry Century Club als Hobby und gleichzeitig Goldesel nutzten. Aber diese Art von Nebensächlichkeiten sollte ich erst Monate später herausfinden.
Zu meiner großen Überraschung brauchte ich mein Zimmer im Personalhaus mit keinem anderen Mitbewohner zu teilen. Dafür aber mussten die Warmwasserleitung und die Heizung ständig mit Geldstücken gefüttert werden, falls der Versuch mit warmem Wasser und erträglicher Raumtemperatur in Angriff genommen werden sollte. Da im Hotel und im Club verschiedene Schichten gefahren wurden, trafst du auch, je nachdem wann du in die Gemeinschaftsräume nutztest, immer auf neue Gesichter. Und vor allem – neue Sprachen!

Meinen Arbeitsplatz fand ich im „The Belfry Century Club“ in der Harlen Street am Belgrave Square. Parkende 2CV's vor dem Eingang waren dort schlicht und einfach unerwünscht. Mir war es egal, da die U-Bahn sowieso die bessere Variante war. Dieser Club, im nobelsten Viertel Londons überhaupt, entpuppte sich als der Treffpunkt aller in London registrierter Diplomaten aus den verschiedensten Ländern dieser Welt. Mein Job sollte es sein, in den sich aufgeschaukelten Spannungen zwischen Küche und Service den Blitzableiter zu spielen und das eifersüchtige Konkurrenzdenken, insbesondere was den Einkauf betraf, zwischen diesen beide Parteien auf ein weniger handgreifliches Niveau herunterzufahren.
Spannungen zwischen Küche und Service waren mir nicht neu. Auch im „Hotel Widder“ gab es die. Aber mit einem Kasten Bier, von den Kellnern in der Küche abgestellt, war die Sache meist erledigt. Doch nicht so im Belfry.

Mit Antritt zu meiner ersten Schicht kapierte ich erst, wieso ich, mit so wenig Erfahrung in der Tasche, überhaupt auf diesem Posten gelandet war. Die Küche war nämlich ganz und gar in französischer Hand, während der Service überwiegend die österreichische Handschrift trug. Grundsätzlich eigentlich kein unlösbares Problem, wäre nur jemand in der Lage gewesen, Küche und Service sprachlich auf einen gemeinsamen Nenner zu hebeln.
Englische Sprachkenntnisse waren hier somit überhaupt nicht gefragt! Ich war der Mittler, Vermittler, Spielverderber und „Sparkommissar“ in Personalunion. Denn wie ein Einkauf mit einem zu erwartenden Erlös in Zusammenhang zu bringen ist, das hatte mir Roger Letour sehr wohl in Zürich beigebracht. Im Unterschied zum Widder, spielte aber Geld (wie ich schnell herausfand) im Belfry nur eine sehr, sehr untergeordnete Rolle.

Die vorgefundene Situation beschreibend, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das englische Bildungssystem eine praktische Berufsausbildung (vergleichbar mit einer Lehre) damals zumindest nicht vorsah. In der Realität bedeutete dies, egal welche göttliche Eingebung dir während der Nacht den Weg in die berufliche Zukunft weist, am nächsten Morgen beginnst du mit der Umsetzung. Je mehr Erfahrung und Kenntnis, desto besser der wöchentlich ausgezahlte Lohn. Ein System wie gemacht für mich! Doch bei genauerem Hinsehen in der Praxis meldete sich das pure Grausen.

Denn genau diese fehlenden Grundkenntnisse waren der Grund, weshalb im Belfry „nur“ 8 Engländer auf der Gehaltsliste auftauchten. 4 davon im Service und der Rest in der Spülküche. In der eigentlichen Küche tummelten sich 10 Franzosen und im Service (die englischen Sklaven selbstverständlich unberücksichtigt) 8 Österreicher, von denen kein Einziger wirklich richtig deutsch sprechen wollte – aber leider auch nicht französisch. Um das Team international zu komplettieren, seien noch erwähnt Jorge und Ricardo aus Venezuela und dann meine Wenigkeit von der Saar.

Das Gefühl mich in England aufzuhalten kam nur dann rüber, wenn Jorge, Ricardo, die einheimischen Sklaven und ich unsere Meinungen austauschten. Der Rest ging unter in Esperanto-Mischmasch und wüsten Beschimpfungen.
Monsieur Picard, der Küchenchef, trug in seinem Gepäck so ziemlich alle Vorurteile mit sich, die ich in meiner kurzen Laufbahn in der Gastronomie aufsammeln konnte. Jähzornig, ungeduldig, Kellner hassend und manchmal sogar genial am Herd. Aber leider nur manchmal. Der permanente Stress in einer professionellen Küche, die ständige Hitze und das ermüdende, ganztägige Stehen hinterließen bei diesem Mann, der die 60 mit Sicherheit bereits überschritten hatte, tiefe Spuren.
Während der Abgabe meiner ersten Einschätzung, nach gerade mal 2 Tagen in meinem neuen Job, im Büro meines Arbeitgebers, äußerte ich die Vermutung, Maitre Picard habe nicht alle Tassen im Schrank. Weiß aber sehr genau, wie gutes Essen schmecken muss.

Monsieur Picard's heftige, geistige Klatsche offenbarte sich nicht nur in seinen unkontrollierbaren Wutausbrüchen oder der vollkommen idiotischen Angewohnheit, den 4 englischen Servicekräften mithilfe einer Schöpfkelle altes, ranziges Frittierfett auf die Service-Uniform zu schleudern. (Anzumerken hierbei: Diese bemitleidenswerten Jungs mussten eigentlich nur die angerichteten Speisen aus der Küche (im Keller) bis hinter das Büffet (Erdgeschoss) zu schleppen, wo dann die Crew Österreich übernahm.)
Nein, seinen geschliffenen Wahnsinn offenbarte der Meister auch in seinen täglichen Anforderungslisten, die mir allabendlich vorgelegt wurden.

Wenn der Bundesrechnungshof seiner jährlichen Auflistung an Beispielen der Steuergelder-Vernichtung einen Punkt hinzufügen möchte, dann hätte ich da was anzubieten.
Der Belfry Century Club bietet maximal 60 bis 80 Gästen einen äußerst bequemen Sitzplatz. Jeder, aber wirklich jeder, der seinen diplomatischen Hintern auf einem der dafür vorgesehenen Stühle oder Sessel parken wollte, musste dies mindestens ein Tag im Voraus telefonisch kundtun. Da alle in London registrierten Botschaften wöchentlich per Kurier mit den Menüs der Woche versorgt wurden, sollte bei der Reservierung auch gleich mitgeteilt werden, was man zu welcher Uhrzeit zu speisen gedenke.

Optimaler kann es für den Einkäufer und für die Buchhaltung/Kalkulation eigentlich nicht laufen. Angebot geliefert – Nachfrage eingegangen und schon kann bis auf das Gramm genau die benötigte Ware besorgt werden. Nicht so im Belfry! Monsieur Picard orderte konsequent jeden Tag eine Ladung frischer Austern (10 kg ). Ob sie in den Menüs benötigt wurden oder nicht, spielte keine Rolle. (Wurden sie wirklich benötigt, dann musste die dreifache Menge her.) Gleiches galt für die schwarzen Trüffel (je nach Größe zwischen 5 und 8 Stück) und den Beluga Kaviar (3 X à 500 Gramm).
Damit nach dem Abend-Service nichts weggeschmissen werden musste, fanden dann doch die verfeindeten Parteien zusammen. Frankreich und Österreich liebten sich für 10 Minuten herzlich und danach war Ware im Wert von bis zu 1000 Pfund gerecht verteilt. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Daher schwebten die Preise für ein eher durchschnittliches Menü bereits in schwindelerregenden Höhen. Aber wen kümmert das in Diplomatenkreisen? Wichtig war, dass man unter sich war. Die Rechnung begleicht eh der Steuerzahler.

Mein Vorschlag, diesem Warendiebstahl einen Riegel vorzuschieben, erweckte in dem Körper meines Chefs ein längst vergessenes Asthma-Leiden. So viel Schnappatmung war mir noch nie untergekommen. Er sah wohl die Zeit gekommen, mich nochmals darauf hinzuweisen, dass ich hier nicht den wirklichen Sparkommissar geben sollte, sondern lediglich das Arbeitsklima zu verbessern hätte.
Mein danach aus der Hüfte geschossener Vorschlag (nur um der Schnappatmung meines obersten Vorgesetzten ein Gegenmittel zu verpassen) bei den Einkaufslisten noch mehr das darbende Personal zu berücksichtigen, indem ich bei den zu ordernden Waren noch eine Schaufel nachlege, ließ den besorgten Hotelmanager wieder zu alter Kraft zurückfinden. Die Konfliktlösung war somit gefunden und von ganz oben abgesegnet.

Der ausgehandelte Friedensplan sah folgendermaßen aus: Mehr Material zum Verteilen, umso mehr zufriedene Gesichter. Je kostspieliger die Ware, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines andauernden Waffenstillstandes zwischen Frankreich und Österreich.
Nicht berücksichtigt bei diesem Tarifabschluss wurden die Interessen der Minderheiten aus Venezuela, Großbritannien und dem verkappten Revoluzzer aus dem ehemals unabhängigen Saarland. Dieses Versäumnis oder kleine Unachtsamkeit, egal wie man es benennen wollte, wurde umgehend behoben und sollte den Steuerzahler in vielen Ländern dieser Erde noch schwer belasten. Da Jorge, Ricardo und ich uns eher selten in Kreisen bewegten, in denen die Nachfrage nach Austern, Trüffel oder Kaviar besonders hoch war, verlegten wir uns auf das Anfordern und Verteilen von edlen Spirituosen, italienischen und französischen Weinen und (weil besonders begehrt) feinstem Porzellan.

Natürlich drängt sich die Vermutung auf, wir hätten die Erzeugnisse von Hutschenreuter, Rosenthal oder Villeroy & Boch anschließend auf irgend einem Ramschmarkt verhökert. Dem war natürlich nicht so. Außerdem, so ganz nebenbei bemerkt, der Porzellanhandel entpuppte sich als der Verkaufsschlager schlechthin.
Die Idee Teller und Tassen in unser Sortiment mit aufzunehmen, kam von Ricardo. Denn nur er hatte das Potenzial der Handelsware sofort erkannt. Das dafür notwendige Gespür, den Wert der Ware richtig einschätzen zu können, hatte wohl seinen Ursprung darin, dass Ricardo außerhalb seines beruflichen Lebens ein unglaublich guter und erfolgloser Maler war. Dazu aber auch noch de bestaussehende Schwule im Bereich von Holland Park bis Earls Court.

Kaum war das venezolanisch-saarländische Porzellan-Lager ausreichend gefüllt, wurden Jorge und ich (Widerspruch war zwecklos) von Ricardo in die angesagtesten Schwulen-Clubs Londons geführt.( Nur falls sich jemand dafür interessieren sollte, zu der Zeit gab es sehr, sehr viele davon.) Jorge und mir bereiteten diese Ausflüge keinerlei Probleme, da Ricardo fast nie vergaß beim Eintritt in den Club zu erwähnen, dass wir beiden Exemplare unter Artenschutz stehen. Meiner Einschätzung nach, waren sowieso junge Asiaten der Renner schlechthin und somit viel höher im Kurs als Jorge und ich, die noch nicht mal das Geld für einen richtig geilen Fummel hatten.

Schwule und Porzellan, das passt wie Faust auf Auge. Da können die dir im Club auch mit Ledermontur und Adolf-Gedächtnismütze entgegentreten, große Spiegel mit dicken, feisten Holzrahmen (am besten mit Blattgold belegt), das und Porzellan lief wie warme Butter. Guter Wein war eher nicht der Renner, da alle nur nach süßem Most gierten. Den Alkohol bekamen wir jedoch spielend bei den Heteros los.

Jorge, Ricardo und ich bedanken uns noch nachträglich bei allen Steuerzahlern dieser Welt, die der Meinung sind, dass diplomatische Beziehungen unbedingt aufrechterhalten werden müssen. Da gehören dann auch die abendlichen Besuche im Belfry Century Club am Belgrave-Square dazu. Sie tragen auf jeden Fall der Völkerverständigung bei.

Für mich lief das Auskommen in London sozusagen 1a. Das Zimmer in der Lennox Rd. fast umsonst, jeden Freitag 38 £ Wochenlohn, bar auf die Kralle und dazu der “kleine” Nebenverdienst auf Kosten des Steuerzahlers. Das Problem war nur, dass ich in meiner sprachlichen Ausbildung keinen Millimeter vorankam. Französisch, Deutsch (was Tiroler als solches bezeichnen) und Englisch (was Venezolaner als Englisch für sich adoptiert haben) war das, was täglich auf mich einprasselte. Das hatte in meiner ursprünglichen Planung eigentlich anders ausgesehen. Wenn ich nicht gänzlich im finanziell erträglichen Sumpf des Schwarzhandels versinken wollte, musste ich unbedingt Abstand von dieser unendlich fließenden Geldquelle bekommen.
Was nichts anderes bedeutet, als die Arbeitsstelle zu wechseln.

Entgegen der gemachten Ankündigung, ist nun doch noch nicht Schluss mit dem Rückblick, da Pizza, Sprengsätze und Handschellen doch noch in eine geordnete Reihe gebracht werden müssen.

Jurek Becker

Nein, es sind nicht Bronsteins Kinder oder gar Jakob der Lügner, die heute im Vordergrund stehen. Es ist Amanda, die Amanda, die als herzlos bezeichnet wird und die Hauptfigur in Jurek Beckers letztem Roman vor seinem viel zu frühen Tod spielt.
Jurek Becker, der als Drehbuchautor und Schriftsteller in der DDR große Erfolge feierte, in der Zeit im Osten wie im Westen mit Ehrungen überhäuft wurde, fiel zwar beim Regime in Ost Berlin in Ungnade, als er gegen die Ausweisung Wolf Biermanns eintrat, verlor auch prompt den Vorsitz des Schriftstellerverbandes, legte sogar noch nach, als Reiner Kunze aus dem Verband ganz ausgeschlossen wurde und erhielt trotzdem das, was außer ihm fast niemand erhalten hatte, ein Dauervisum für die BRD. Jurek Becker starb im Alter von 60 Jahren an Darmkrebs.

Jurek Becker - Amanda herzlos

Iris Radisch in der ZEIT (gekürzt):
Drei Herren – Ludwig, Fritz und Stanislaus – sind in Amanda verliebt. Sie erzählen ihre Geschichte von Amanda und sind damit die wahren Autoren dieses Buches. Obwohl sie sich das, wie der Roman beweist, besser erspart hätten. SED-Sportreporter Fritz Weniger rapportiert mit dürren Worten das Scheitern seiner Ehe mit Amanda für den Scheidungsanwalt. Der von Amanda verlassene Dissident und Schriftsteller Ludwig Hetmann verfasst ein kleines Wortkunstwerk, eine Schlüsselnovelle über „Rudolph und Louise“ alias Ludwig und Amanda, die er „kunstvoll“ mit seinem Erlebnisbericht „verschränkt“. NDR-Korrespondent Stanislaus Doll führt ein Tagebuch, eine Chronik der glücklichen Ereignisse. Denn der Prinz aus dem Westen darf mit der Prinzessin ausreisen, kurz bevor die Mauer fällt. Happy-End der Geschichte und der Weltgeschichte fallen zusammen.
Dieter Wunderlich:
Die originelle Konstruktion nutzt Jurek Becker auch, um die eine oder andere Szene aus verschiedenen Perspektiven zu schildern. Obwohl er den drei Männern keine unterschiedlichen Sprachen gegeben hat, lassen sich aus ihren Äußerungen drei verschiedene Charaktere erkennen. Im Mittelpunkt steht allerdings Amanda.

Bei der Konkurrenz in dieser Woche grenzt es für euch vielleicht fast an ein Wunder, dass hier nicht der Name Bruce Springsteen oder Udo Lindenberg in großen Lettern prangt. Springsteen on Broadway und Lindenberg Unplugged 2 hätten es ohne Zweifel verdient, doch haben die Kölner Jungs mit ihrem 2. Album mich nicht nur überrascht, sondern ganz einfach abgeholt.
Hat man sich mit Henning Mays Stimme erst einmal wieder so richtig angefreundet, ist es die reine Freude mit anzuhören, dass nach “Alles nix Konkretes” nicht der Absturz kommt. Nein, die Band scheint fast davor fliehen zu wollen, noch einmal ein Liebeslied der Superlative liefern zu wollen. Dies ist zwar ein unsinniges Vorhaben, doch ist in diesem Vorhaben, quasi als Nebenprodukt, die “Weiße Wand” entstanden. Mein Wunsch in Richtung Köln: bitte mehr davon!

AnnenMayKantereit - Schlagschatten

AnnenMayKantereit - Weiße Wand

Was hat die Gemüter sonst noch so bewegt?

Die Ereignisse in Straßbourg und Nürnberg lösten allgemein Betroffenheit aus, führten uns jedoch auch gleichzeitig wieder vor Augen, dass es zu solchen Taten nicht ansatzweise einer religiösen Motivation bedarf. Es reicht einfach das unfassbar Unmenschliche, welches irgendwo offensichtlich in uns verborgen liegt, aber hoffentlich nie an die Oberfläche gelangt.
Außerdem scheint es nun weltweit gängige Praxis zu sein, dass Menschen, die mit ihrem völlig kranken Hirn zu solchen Taten fähig sind, nicht mehr sich vor Gericht verantworten müssen. Die Richter heutzutage tragen schusssichere Westen und sind schwer bewaffnet. Der schnelle Prozess scheint sich eingebürgert zu haben. Etwas, was mich sehr nachdenklich macht. Wenn es mal den Falschen trifft, …
Eine Wiederbelebung könnte sich schwierig gestalten.

Dass der Irrsinn aber auch abgemildert ein paar Etagen tiefer sein Zuhause haben kann, wurde mir in der vergangenen Woche eindrucksvoll hier im Dorf bewiesen. Um diesem Irrsinn auch noch die Narrenkappe aufzusetzen, entschloss man sich ausgerechnet auf dem Grundstück des BRenNgLAS davon eine Gratis-Vorführung zu geben.

Was ist geschehen?
Ich war gerade dabei den unfassbar schnell und wild wachsenden Akazien am Rande des Grundstücks das Standbein zu amputieren, als mir meiner Motorsäge konkurrierende Geräusche ans Ohr drangen. Noch nicht ahnend, was da gerade passiert, gab ich mich mit dem Gedanken zufrieden, wohl an jenem Morgen Mitglied im Kettensägen-Ensemble sein zu dürfen.
Doch je länger ich dem Sound von Herrn Stiel lauschte, desto stärker drängte sich mir die Frage auf, wieso das Konzert so nahe vor meiner Haustür stattfinden kann?
Da ein verhältnismäßig großes Hanggrundstück mit Walnussbestand ganz in der Nähe zu unserem Eigentum gehört, hielt ich es dann doch für ratsam, einen prüfenden Blick auf die Geschehnisse zu werfen.

Kaum hatte ich das Nachbargrundstück passiert, lagen mir bereits die ersten Äste gekappter Walnussbäume im Weg. Doch damit nicht genug. Nun schienen mir auch noch meine Augen einen Streich spielen zu wollen, da die mir signalisierten, dass auf meinem Grund und Boden vier ausgewachsene Vollidioten mit Motorsägen bewaffnet Gefallen an meinen Walnussbäumen gefunden zu haben schienen.
Als Erstes brachte mein Pfiff die Luft zum vibrieren und direkt im Anschluss hallte der Schrei durch die Landschaft, den Tarzan mir im Kindesalter beigebracht hatte. Siehe da, die Misstöne im Kettensägenkonzert zeigten überraschend schnell Wirkung. Herr und Frau Stiel brachten ihre Ketten zum Erliegen und für einen kurzen Moment herrschte wieder die Ruhe, die ansonsten auf diesem Flecken Erde zu Hause ist.

Meine erste Frage an die vier Hornochsen galt voll und ganz deren Gesundheitszustand:
“Habt ihr noch alle Tassen im Schrank oder hat euch jemand ins Hirn geschissen?”
Da aber auch nach einer kurzen Phase der Überlegung keine Antwort zu kommen schien, begann ich mit dem Bau kleiner Brücken zur besseren Verständigung.
“Darf ich mich vorstellen? Ich bin lediglich der Eigentümer dieses Grundstückes und kann mich nicht erinnern irgendjemandem den Auftrag erteilt zu haben meine Bäume zu kastrieren.”

Der erste, der sich getraute die Brücke zu betreten (aber das stellte sich erst später heraus), war sozusagen der Leithammel unter den Hornochsen.
“Meister, wir machen nur das, was Elektra (halbstaatlicher kroatischer Stromversorger) in Auftrag gegeben hat. Wir säubern die Trasse der Hochspannungsleitung. Wenn wir das nämlich nicht machen, dann habt ihr hier bald keinen Strom mehr.”

Den Meister verzieh ich dem Vollidioten sofort, da er es einfach nicht besser zu wissen schien. Aber die ganze restliche Kacke brachte mich an den Punkt, der unweigerlich zum Verlust meiner Contenance führt, die mir ansonsten eigentlich immer fest die Treue hält.
Da auf meine anschließenden Fragen, ob sie auch mein Haus abgerissen, wenn Elektra die Empfehlung dazu erteilt hätte und ob er mir den Auftrag des Energielieferanten vorlegen könne, nur die Information aus dem Hals plumpste, ich solle mich doch an die Zentrale wenden, tätigte ich drei Anrufe.
Der erste galt dem elektrisch aufgeladenen Bauern in der Zentrale, der seine Ochsen frei hat laufen lassen. Dieser geistige Unterwasserschweißer behauptete doch tatsächlich, dass Elektra ohne meine Zustimmung Kastrationen an Walnussbäumen durchführen darf.
Der zweite Anruf erreichte meine Anwältin, die mir auch in den heißesten medialen Kämpfen gegen die politische Elite immer die Foulspieler vom Leib hält.
Dem Ratschlag dieser Frau folgend, erreichte der dritte Anruf die Polizeistation in der Kreisstadt.

Es folgt ein kurzer Ausschnitt aus dem Telefongespräch, das letztendlich zu einer Anzeige gegen Elektra und die Hornochsen führte.
Polizei: “Sie möchten wirklich, dass wir zu Ihnen hoch kommen, nur um aufzunehmen, dass Elektra die Trasse sauber hält?”
Wolfram: “Ja.”
Polizei: “ Aber die dürfen das.”
Wolfram: “Und wenn sie nicht kommen, dürfen Sie gleich die Bekanntschaft mit meiner Anwältin machen.”
Polizei: “Ist ja schon gut. Wir kommen.”

Da braucht sich doch niemand mehr zu fragen, wieso uns in der Redaktion nie die Themen ausgehen? Sie werden uns doch regelrecht vor die Tür gerollt, geschnitten, gekettet oder wie auch immer!

Werbung in eigener Sache:


Wer interessiert am Jazz ist, der findet hier was: #jazzfriday

Soll es was ganz Leckeres für den Magen sein: #w74-rezepte

Kurzgeschichten oder Ausflüge in die deutsche Sparache, dann wird man sicher fündig unter: #ganzwenigtext

Alte Ausgaben des Wochenrückblickes liegen hier: #wochenrueckblick

BRenNgLAS

Impressum:

Sort:  

Hallo Wolfram,

wie schön, dass es dir immer wieder gelingt, auch nach sooo wenig Text, den Spannungsbogen bis aufs Äußerste aufrecht zu erhalten!
Bei so viel Offenheit hoffe ich, dass dein Porzellanhandel mittlerweile verjährt ist - nicht dass der nächste Wochenrückblick als Knast-Ausgabe erscheint. Gar als dungeon-edition?!
Mit den Jungs von Elektra in einer Zelle hätte ich dann sogar Angst um dich.
Naja, vielleicht könntest du sie auch mit deinem immer wieder feinen Näschen für gute Musik besänftigen...
Äh, ich gehe dann mal Udo unplugged hören ;-)

Pflege die Bäumchen gut,
liebe Grüße,

Christiane

Bäumchen ist gut ....
Das sind eher gerupfte Hühner.

Dann erst recht...

Wieder ein super Beitrag, vor allem deine Lebensgeschichte. Ich war immer am überlegen, wann das unfähr war. Da rätsel ich schon seit dem ersten Teil rum. Jetzt hast Du was verraten...

von Ricardo in die angesagtesten Schwulen-Clubs Londons geführt.( Nur falls sich jemand dafür interessieren sollte, zu der Zeit gab es sehr, sehr viele davon.)

...was mich einen Tipp abgeben lässt. Ich vermute mal es war in der ersten Hälfte der 70er, also so 1973 bis 1975. Bin mal gespannt ob ich da richtig liege.

Volltreffer!

Ich beneide dich, da hat du noch die letzten Zuckungen des swinging London erlebt. Da war die Glamrock Zeit, leider war ich da noch zu jung, zumindest für meine Eltern. Ich war das erste Mal 1977 in London, da war der Lack in der Carnaby Street schon fast ab, aber dafür gab es Punk.

76 ist das gekippt. Carnaby oder Kings Road machten sich selbst mit dem Kommerz unerträglich für all die, die die Gegend von früher kannten. Da war aber nicht der Punk schuld. Der Geldbeutel war's.

Liebes Brennglas, das war ja wieder eine tolle Ausgabe, besonders die Erlebnisse aus London, einfach super! Ich wünsche der ganzen Redaktion einen schönen dritten Advent. Alexa

Angekommen, Alexa!

Ich nehme noch ein paar Tage dazu und versehe dir die gesamte Woche mit einem Schleifchen.
Pack die Tage aus und mache das Beste draus.
Liebe Grüße
Wolfram

Dickes Dankeschön lieber Wolfram!

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