Wie gefährlich sind welche Rauschmittel? - Ein kurzer Review

in #de-stem6 years ago

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Mit diesem Artikel ist es mein Ziel einen meiner Meinung nach viel zu wenig bekannten Sachverhalt leicht verständlich und gut aufbereitet zu präsentieren. Es geht um etwas, dass nicht nur unsere Gesellschaft als Ganzes sondern im Grunde jeden Einzelnen von uns irgendwie betrifft:


Wie gefährlich sind Drogen?


Allem voran müssen wir feststellen, dass der Term ‚gefährlich‘ weder eindeutig noch objektiv beurteilbar und damit wissenschaftlich auch nicht direkt greif- oder messbar ist. Wenn wir die gestellte Frage beantworten möchten, so müssen wir diese umformulieren und evaluierbare Kriterien einführen. Aber welche?

Wenn man damit anfängt diese Frage zu recherchieren, so findet man relativ schnell Beurteilungen von Drogen anhand ihrer akuten Toxizität oder ihres Suchtpotentials. Für diese Kriterien findet man auch durchaus interessante Graphen, welche dann in etwa wie folgt aussehen:

Drug_danger_and_dependence.png
Quelle: Prof. R. S. Gable - CC content


Meiner Meinung nach ist diese Darstellung schon einmal höchst interessant und spätestens jetzt muss man tiefer graben: In der gezeigten Grafik werden die lethalen Dosen von verschiedenen psychoaktiven Substanzen auf einer logarithmischen Skala den relativen Suchtpotentialen gegenübergestellt. Das Zweitere wurden mit Hilfe von Fragebögen evaluiert. Dazu wurden die Fragebögen an Experten aus ausgewählten Fachbereichen (Pharmazie, Medizin, Exekutive, Chemie, usw.) ausgesandt und entsprechend deren pofessionellen Erfahrungen und Kenntnisse beantwortet.

Was in dieser Darstellung sofort ersichtlich ist, ist das legale psychoaktive Substanzen wie Alkohol, Tabak (Nikotin) und Koffein erstaunlich schlecht abschneiden, wenn man sie mit anderen stigmatisierten Drogen vergleicht.

Aber gibt diese Aufstellung eine ganzheitliche Antwort auf die ursprünglich gestellte Frage?

Theoretisch könnte das Suchtpotential einer Substanz mit Hilfe eines statistischen Ansatzes untersucht werden. Dafür fehlen aber die notwendigen Rohdaten. Obwohl es möglich ist für ein Rauschgift grob die Anzahl an Abhängigen abzuschätzen, fehlen immer noch Informationen über die Anzahl Derjenigen, welche mit dieser Substanz im Grunde in Kontakt gekommen aber nicht süchtig geworden sind. Weiters müssten Parameter wie die Applikationsform (Injektion, parenteral,...) und auch die individuelle Anzahl an Drogenkontakten vor dem Einsetzen einer Abhängigkeit berücksichtigt werden. Aus diesen Gründen scheint es in der Tat am sinnvollsten zu sein, diese Art an Ranking von einem Expertenteam durchführen zu lassen.

Wenden wir uns der Abszisse zu, so sehen wir, dass dort nur die akute Toxizität der Stoffe berücksichtigt wird. Es werden also chronisch toxische Effekte sowie alle anderen möglichen Konsequenzen und Folgen von Drogenkonsum bzw. -missbrauch außen vorgelassen. Darum soll an dieser Stelle eine genauere Beurteilung aus einer echt starken Publikation (siehe Ref. 1) besprochen werden.


Schadenskategorisierung


Das erwähnten Paper beginnt mit einer Klassifizierung von Schäden und Konsequenzen, die durch Drogenkonsum und -missbrauch entstehen können. Die dort ausgearbeitete Klassifizierung sieht wie folgt aus:

  • Physische Schäden unterteilt in:
    A) akute toxische Effekte (zB. plötzlicher Tod durch Atemdepression)
    B) chronisch toxische Effekte (Lungenerkrankungen, Psychosen, usw.)
    C) Schäden durch intravenöse Gabe (zB. durch Blut übertragene Viren)

  • Suchtpotential unterteilt in:
    D) Intensität des Rausches (relevant für Straßenwert und Verbreitung)
    E) psychische Abhängigkeit (bisher weniger verstanden)
    F) körperliche Abhängigkeit (Toleranzen, körperliche Veränderungen)

  • Soziale Konsequenzen unterteilt in:
    G) Trunkenheit & Rausch (gewalttätiges Verhalten, Unfälle, usw.)
    H) Gesundheitsausgaben (Behandlung, Prävention, Polizei,...)
    I) andere soziale Folgen (Schäden am familiären und sozialen Umfeld)

Auf der Grundlage dieser Bewertungsmatrix wurden alle teilnehmenden Experten gebeten, eine ganze Reihe verschiedener Stoffe in diesen neun Schadenskategorien unter Verwendung einer 4-stufigen Skala zu bewerten:

0 = kein Risiko
1 = etwas Risiko
2 = moderates Risiko
3 = extremes Risiko


Ergebnisse & Schlussfolgerungen


Die Beurteilungen der Experten wurden für jede Substanz und Kategorie gemittelt, um eine totale mittlere Schadenbeurteilung für die jeweilige Kategorie zu erhalten. Um dafür zu sorgen das ihr Ansatz reproduzierbare Ergebnisse liefert, wurden einige Rahmenbedingungen festgelegt. Dazu zählt etwa, dass sie die Verwendung bestimmter (Tier-) Studien und Tier-Mensch-Korrelationen erlaubten. Um den Erfolg dieser Maßnahmen zu validieren, wurde die Bewertung mit zwei verschiedenen Gruppen an Experten durchgeführt:

  1. 'National Group of consultant psychiatrists' des Royalen Colleges für Psychiatrie - mit registrierten Spezialisten für Suchtkrankheiten

  2. Eine gemischte Gruppe mit Experten aus den Fachbereichen der Chemie, Pharmakologie, Forensischer Wissenschaften, Psychiatrie und Medizin

Die Ergebnisse der beiden Gruppen wurden miteinander verglichen, wobei eine sehr starke Übereinstimmung mit vernachlässigbaren Abweichungen gefunden wurde. Daraus lässt sich schließen, dass ihr Ansatz nicht nur ein detailierteres sondern auch reproduzierbares und legitimes Bild liefert.

Lasst uns daher einen Blick auf die Ergebnisse ihrer Bewertung der physischen Schadenpotentiale werfen. Für diesen Zweck habe ich ihre Daten auf ähnliche Weise wie im ersten Bild oben dargestellt:


Suchtpotential-Schaden-Chart-Deutsch.png
Graphik selbst erstellt - Daten aus Ref. 1 entnommen


Da es keine logarithmische x-Achse mehr gibt, ist die Grafik in dieser Richtung gestreckter als in der obigen Darstellung. Weiters fließen hier bei den potentiellen physischen Schäden nun auch die chronische Toxizität sowie Folgen durch intravenöse Gaben ein. Dies sorgt für eine leichte Verschiebungen einzelner Punkte entlang der Abszisse. Obwohl bei dieser Studie nicht exakt die gleichen Verbindungen wie bei der ersten getestet worden sind, ist das letztendlich erhaltene Bild sehr ähnlich.

Und erneut sehen wir, dass sowohl Alkohol als auch Tabak überraschend im guten Mittelfeld liegen. Die Autoren der zitierten Arbeit heben jedoch einen wichtigen Punkt hervor:

'Tabak und Alkohol wurden in diese Studie inkludiert, da der verbreitete Konsum zuverlässige Daten über Risiken und Schäden erlaubt. Diese Daten dienten als Orientierungshilfen, nach welchen die absoluten Schadenspotentiale der andere Drogen eingestuft wurden. Nichtsdestotrotz ist ein direkter Vergleich der Resulate für Tabak und Alkohol mit denen der anderen Drogen nicht einfach so möglich, da die Tatsache, dass die beiden legal sind, die von uns beobachteten Konsequenzen auf verschiedene Weise beeinflussen könnten. Vor allem die leichte Verfügbarkeit dieser Rauschmittel dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.' - übersetzt aus Ref. [1]

Zu guter Letzt sollten wir nicht auf den dritten Teil ihrer Schadens-bewertung vergessen: die sozialen Aspekte! Um die Substanzen möglichst ganzheitlich zu beurteilen, müssen auch die potentiellen, sozialen Schäden berücksichtigt werden. Dazu wurden für alle Substanzen ihre Mittelwerte aus allen neun beurteilten Kategorien ermittelt und sie dann geordnet:


Gesamtbeurteilung-Rauschmittel-Deutsch.png
Die Mittelwerte wurden ohne individueller Gewichtung einzelner Kategorien ermittelt. Für gewisse Überlegungen mag dies jedoch sinnvoll sein. Dies sorgt dafür, dass man in der Literatur zu diesem Thema manchmal leicht unterschiedliche Reihungen findet.
Graphik selbst erstellt - Daten aus Ref. 1 entnommen


Zusammenfassen lässt sich schließen, dass mit diesem Ansatz Drogen und Rauschmittel im Allgemeinen nicht alleine nach ihrer inhärenten Effekte beurteilt werden, sondern vielmehr ein größeres Bild entsteht, in welchem sich auch Faktoren wie die legale Verfügbarkeit oder soziale Akzeptanz widerspiegeln.

Was auch klar wird ist, dass soziale Konsequenzen einen erheblichen Beitrag haben und bei dieser Frage nicht einfach unberücksichtigt bleiben können. Die enormen wirtschaftlichen Auswirkungen und auch einige allgemeine Folgen von Drogenmissbrauch wurden in einem ausführlichen, englischsprachigen Bericht zusammengefasst. Darin findet man auch einige hochbrisante Abschätzungen, wie zum Beispiel, dass jeder in die Prävention investierte Dollar etwa 10 Dollar an Ausgaben für die Folgen von Drogenmissbrauch einspart!


Wenn euch dieses Thema mehr im Detail interessiert, empfehlen sich die unten angegebenen Referenzen. Dort bekommt ihr einen noch tiefergehenden Einblick.

Euer,
mountain.phil28

Referenzen:

  1. Nutt, D.; King, L. A.; Saulsbury, W.; Blakemore, C. Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse. The Lancet 2007, 369 (9566), pp. 1047-1053
  2. Gable, R. S. Acute toxicity of drugs versus regulatory status. In J. M. Fish (Ed.), Drugs and Society: U.S. Public Policy, 2006, pp. 149-162
    Es gibt auch einen frei zugänglichen Neudruck.
  3. INCB: Economic consequences of drug abuse, ein Bericht.
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So, jetzt bin ich auch endlich dazu gekommen, das zu lesen. Gute Arbeit, danke für die Übersicht.
Wobei die Aussage, dass die Daten für Ethanol und Nikotin nicht wirklich mit den anderen vergleichbar sind, sehr wichtig ist. V.a. beim Alkohol ist mMn ein nicht unwichtiger Faktor, dass dieser ja nicht nur als Droge eingesetzt ist, sondern auch Genussmittel ist. Nicht jeder, der ein Glas Wein genießt, plant, sich wegzuknallen, was bei Crystal Meth ja etwas anders ist ;-)

Da hast du vollkommen Recht. Die Intention bei der Einnahme ist ein kritischer Faktor. :)

Eine sehr gelungene und informative Arbeit, herzlichen Dank!

Vielen Dank! Freue mich immer über deine Meinung! :)

Nun gut, seit heute weiß ich, dass etwas wie "Khat" existiert.

Man lernt wohl nie aus! ;)

Und, alles in allem, ein wohl guter Artikel, mMn!

...und das es verhältnismäßig ungefährlich ist. 😅

Meine einzige Droge die ich zu mir nehme und die mich massiv in meinem Tagesablauf beeinflusst ist "steemit".
Danke für die Info's.

Haha. Na schade, dass die in dieser Arbeiten noch nicht enthalten war. 😎

Super Post!
Werde auch noch einiges bezüglich Drogenpolitik raushauen..
Habe da nen recht guten Überblick..
Ich Idiot hab mich aber auch dazu entschieden über genau das Thema und eine Liberalisierung als Problemlösung in Bayern eine Seminararbeit zu schreiben..

Hallo @luegenbaron. Danke fürs Lesen und den Kommentar!
Freue mich auf deinen Input und Expertise. :)
Ouch, ja das ist vielleicht ein wenig zuträglicher Kontext. Trotzdem viel Glück dabei!
LG,
mountain.phil28