Januar 2018: BitCoin in Venezuela

in #deutsch6 years ago

Die gefährliche Unterwelt des Bitcoin-Schürfens in Venezuela

Wie Kryptowährungen den Sozialismus gegen sich selbst richten

Publiziert von Jim Epstein auf Reason.COM am 12. Februar 2018 unter dem Titel »The Secret, Dangerous World of Venezuelan Bitcoin Mining«
übersetzt von @besold

Vor vier Jahren waren Albertos Karriereperspektiven ziemlich düster. Der 23-jährige Venezolaner war gerade mit der Schule fertig und hatte einen Abschluß in Computerwissenschaften, aber die Wirtschaft seines Landes war nach 13 Jahren Sozialismus bereits zerfallen.

"Es gab schon Arbeitsangebote, aber die Bezahlung lag bei 16€ im Monat. Wir waren es gewohnt zu reisen und Sachen im Ausland zu kaufen, daher kam das für uns nicht in Frage", erinnert sich ein Freund von ihm, Luis. Alberto und Luis — deren Namen aus Sicherheitsgründen geändert wurden — machten zusammen ein Bekleidungsgeschäft auf, aber das Unternehmen ging schief.

Dann entdeckte Alberto Bitcoin.

Er las darüber in einem argentinischen Computerspieleforum. Ein Beitrag beschrieb eine Vorgehensweise, bei der man als Gegenleistung dafür, daß man mit dem Heim-PC Berechnungen durchführt in einer neuen Internetwährung bezahlt wurde, die aus Strings von Buchstaben und Ziffern besteht. Seine Eltern sagten, daß das ganze Ding wie ein Pyramidenspiel klang, doch Alberto spürte, daß sein Leben dabei war, sich zu ändern.

Vier Jahre später steckt sein Land in einer tiefen humanitären Krise. Die Supermarktregale sind leer, Kinder fallen im Unterricht vor Hunger in Ohnmacht, und neulich brachen hungrige Horden in den Zoo von Caracas ein, um ein Pferd zu schlachten. Viele Venezolaner sind auf die staatliche Zuwendungen von umgerechnet 7,30€ monatlich angewiesen.

Leere Supermarktregale in Venezuela
Leere Supermarktregale in Venezuela. | Bild: GettyImages

Alberto, hingegen, verdient nach eigenen Angaben mittlerweile über 970€ am Tag indem er Bitcoins und andere Kryptowährungen schürft.

Er ist Teil einer schnell wachsenden, auf das Schürfen von Digitalwährungen spezialisierten Gemeinde in Venezuela. Angesichts der steigenden Gefahr durch Gewaltverbrechen und Erpressung durch die Regierung, verständigen sich ihre Mitglieder über geheime Internetgruppen und treffen starke Sicherheitsvorkehrungen um ihre Aktivitäten zu verbergen.

In einem Land, in dem Bargeld fast seinen gesamten Wert eingebüßt hat, und in dem Lebensmittel gefährlich knapp geworden sind, ist Bitcoin für viele Venezolaner eine Lebensader geworden. Die selbe sozialistische Wirtschaft, die den Zusammenbruch des Landes verursacht hat, hat auf der anderen Seite das energieintensive Schürfen von Bitcoin profitabel gemacht - allerdings auch gefährlich.

Die einzige Hoffnung

Bei Bitcoin handelt es sich um ein im Jahre 2008 von einem Programmierer unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto erfundenes digitales Geld, dessen Transaktionen in einem öffentlichen Kassenbuch festgehalten werden, und das nicht durch eine Zentralbank, einen Konzern oder von einer einzelnen Person kontrolliert wird. Es ist eine peer-to-peer-Währung die im Internet existiert, und die dadurch die Eingriffsmöglichkeiten durch Regierungen extrem stark einschränkt.

Das Schürfen von Bitcoin ist ein Prozeß, der die Rechenleistung und die Sicherheit für den Betrieb eines solchen dezentralen Zahlungsnetzwerks gewährleistet. Um mit dem Schürfen zu beginnen, kann jeder ein spezielles Gerät kaufen, das mit dem Internet verbunden wird, und das schwierige Rechenaufgaben mit Höchstgeschwindigkeit lösen kann. Obwohl es fast nichts mit dem Schürfen von Gold gemeinsam hat, ist das Resultat das selbe: Die Teilnehmer werden mit der Währung belohnt — in diesem Fall mit neugeschürften Bitcoins.

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Das entwickelte sich in Venezuela zu einer beliebten Tätigkeit, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Wirtschaft des Landes in einer schlimmen Lage befindet. Selbst Computerwissenschaftler und qualifiziertes technisches Personal können nicht verlässlich Arbeit finden. Im nächsten Jahr wird eine Arbeitslosenquote von über 20% erwartet.

Doch der Hauptgrund, warum Venezolaner Bitcoin schürfen, sind die von der sozialistischen Regierung eingeführten Preiskontrollen: Der Strom in Venezuela ist praktisch kostenlos.

Das Schürfen von Bitcoin erfordert extrem viel Rechenleistung, welche wiederum extrem viel Strom benötigt. In den meisten Ländern schmälert die Stromrechnung den Gewinn aus dem Schürfen von Bitcoins. In Ländern mit hohen Strompreisen ist es sogar ein Minusgeschäft. Doch in Venezuela ist das Schürfen von Bitcoin Dank der Regierung in etwa vergleichbar damit eine Münzprägeanstalt zu besitzen.

Preisüberwachungen führen natürlich unweigerlich zu Stromausfällen, und die häufigen Stromausfälle bereiten vielen Bitcoin-Schürfern Kopfschmerzen. Aber sie haben auch Abhilfe geschaffen, indem sie beispielsweise ihre Tätigkeiten in Industriegebiete verlegten, wo die Stromversorgung weitgehend ununterbrochen bleibt.

Da das Schürfen von Bitcoin ein Prozeß ist, bei dem praktisch Strom in Geld verwandelt wird, machen sich viele Venezolaner den Kursunterschied zunutze: Sie kaufen ein unterbewertetes Gut, also Strom, und wandeln dieses in Bitcoin um, um dadurch einen Gewinn zu erzielen. Die Schürfer haben den Sozialismus gegen sich selbst ausgespielt.

Dabei haben sie sich Zugang zu einer Währung verschafft, die im Ausland eine weitaus höhere Kaufkraft besitzt als der von der Regierung ausgegebene Bolivar, der mit etwa einem Neunzehntel eines Pennys auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Der Volksmund sagt, das venezolanische Geld sei "weder geeignet, sich damit Toilettenpapier zu kaufen, noch um sich damit den Arsch zu wischen".

Das Potential von Bitcoin als Alternative zur Regierungswährung wird außerhalb von Venezuela heiß debattiert. Aber in einem Land, in dem es an Lebensmitteln und medizinischer Grundversorgung fehlt, gibt es da nicht viel zu theoretisieren. Bitcoin hilft dabei, die Lebensmittelregale und die Medizinschränke des Landes zu füllen und das Leben inmitten eines sozialistischen Infernos erträglich — wenn auch nicht immer einfach — zu gestalten.

Wie viele Bitcoin-Nutzer, importiert auch Alberto, der 970€ täglich erschürft, Lebensmittel aus den USA über den Dienst Amazon Prime Pantry. Dies wäre mit Bolivars völlig unmöglich, weil niemand außerhalb Venezuelas dieses Geld als Zahlungsmittel akzeptiert, und der steigende Mangel an US-Dollar macht auch den Erwerb von Importware mit Dollar ständig schwieriger. Obwohl der in Seattle ansässige Einzelhandelsgigant selbst keine Bitcoins akzeptiert, gibt es viele Zwischenhändler, die das tun. Alberto kauft also Amazon Geschenkgutscheine über die Webseite eGifter, die Kryptowährungen akzeptiert, und er benutzt gleichzeitig eine Software, um seine IP-Adresse zu maskieren. Die Bestellungen läßt er dann zu einem in Miami ansässigen Versanddienst schicken.

In den USA steuerfrei einkaufen und weltweit liefern lassen
Bei dem Versanddienst dürfte es sich um den in Sarasota, Florida, ansässigen Dienst MyUS.com handeln.

Albertos Schürfpartner Luis, 27, kauft Elektrogeräte, Parfüms, Seifen und Shampoo auf Amazon. Neulich kaufte er eine Brieftasche, ein Puzzlespiel und ein Tommy Hilfiger Hemd.

Alberto und Luis stehen exemplarisch für die wachsende Anzahl Venezolaner, die Bitcoin nutzen, um Essen auf den Tisch zu bekommen. Einige nutzen Bitcoin sogar, um Waren von ausländischen Anbietern zu erwerben und dadurch ihr eigenes Geschäft am Laufen halten. In über einem Duzend Interviews haben Mitglieder der Nutzergemeinde — manche davon Schürfer, andere reine Nutzer — beschrieben, wie diese Technologie ihre alltäglichen Strapazen gelindert hat, und wie sie ihnen ein halbwegs angenehmes Leben beschert hat, trotz der Auflösung der Gesellschaft um sie herum. Viele Bitcoin-Nutzer leben in ständiger Angst davor, entdeckt zu werden und sie erklärten sich nur anonym bereit, mit Reason zu sprechen.

Alejandro, ein 25 Jahre alter Schürfer, der im Staat Táchira lebt, hilft bei der Versorgung seiner Familie mit Lebensmittel, die er bei Walmart.com erwirbt, indem er eine Neteller-Karte benutzt. Dabei handelt es sich um eine Preapid Kreditkarte, die es den Nutzern erlaubt, Bitcoins einzuzahlen und Dollar zu nutzen. Alle drei Wochen lädt er seine Karte mit Bitcoins und geht nach Kolumbien um die Vorräte aufzufüllen.

Jesús, ein 26-Jähriger aus der Stadt Barquisimeto, hat mit Bitcoin sein Geschäft gerettet. Er betreibt alleine einen Handy- und Computer-Reparaturbetrieb in einer Shopping Mall. Als seine Zulieferer wegen der Handelsbeschränkungen keine Ware mehr liefern konnten, stand sein Laden am Rande des Ruins. Dann erzählte ihm ein Freund über Bitcoin. Heute bestellt er monatlich Ersatzteile im Wert von 325€ über Amazon und sein Laden hat sich wieder erholt. "Ich habe nun Zugang zu Werkzeug und Ersatzteilen, die in Venezuela nur schwer aufzutreiben und sehr teuer sind", erzählt er.

Ricardo, ein 30-jähriger Photographielehrer, verdient etwa 405€ im Monat mit einem Regal mit fünf Minern, die in einem schalldichten Zimmer in seinem zweistöckigen Einfamilienhaus versteckt sind. Seine Mutter leidet unter einer chronischen Leberkrankheit und die Medikamente die sie benötigt, um am Leben zu bleiben, findet man in Venezuela nicht mehr. Mit Bitcoins kann er die Medizin bei ausländischen Anbietern erwerben. "Bitcoin ist derzeit unsere einzige Überlebenschance", sagt er.

Riskantes Geschäft

Bitcoin-Schürfer haben zwar exklusiven Zugang zu Importware, aber sie leben unter ständiger Gefahr. Viele fürchten, von der Geheimpolizei SEBIN (Servicio Bolivariano de Inteligencia Nacional) entdeckt zu werden. SEBIN-Beamte spüren Bitcoin-Schürfer auf und erpressen sie dann, indem sie ihnen mit Verhaftung und Strafverfolgung drohen.

Das Vorgehen der Regierung gegen Bitcoin-Schürfer begann mit der Verhaftung von Joel Padrón, dem 31-jährigen Kurierdienstunternehmer aus der Stadt Valéncia. Ein Freund hatte ihm 2015 das Schürfen von Bitcoin als eine Möglichkeit vorgestellt, sich während der Wirtschaftskrise über Wasser zu halten. Er kaufte vier Computer aus China, die extra zu diesem Zweck gedacht sind, und er ermunterte drei Freunde, dasselbe zu tun. Sie stellten die Geräte in dem Büro auf, in dem Padrón seinen Kurierdienst betrieb. Als sein Vermieter herausfand, um was es da ging, verlangte er, daß sie ihm dabei helfen sollten ein paar eigene Schürfrechner aufzustellen.

Regale voller Bitcoin-Miner.
Regale voll mit Minern. | Bild: EuroNews

Am 14. März erschienen laut Padrón zwei SEBIN-Beamte unangemeldet und behaupteten, daß Mitarbeiter des Elektrizitätswerkes einen hohen Stromverbrauch dort registriert hätten, und verlangten dann, das Gebäude zu durchsuchen. An jenem Nachmittag wurde er verhaftet. Er sollte die nächsten dreieinhalb Monate in einem SEBIN-Gefängnis verbringen, wo er eine 230-m2-Zelle mit zwölf anderen Männern teilen mußte. Unter seinen Zellengenossen befand sich ein anderer Bitcoin-Schürfer, der am selben Tag verhaftet wurde, nämlich José Perales, 46, und auch Daniel Arraez, 30, ein Mitarbeiter von SurBitcoin, dem größten Bitcoin-Wechseldienst in Venezuela.

Padrón sagte, seine Verhaftung war eine Botschaft an die Bitcoin-Gemeinde, und zwar, daß die Freiheit fortan einen gewissen Preis hätte. Zwei Tage später zeigte die staatlich kontrollierte venezolanische Fernsehanstalt eine Sendung, bei der Bitcoin als ein Werkzeug von "Cyber-Kriminellen" dargestellt wurde, welche unter anderem damit die "Devisenrichtlinien umgehen".

Ungefähr zur gleichen Zeit, so Padrón, wurde ein Bekannter, der auch ein Bitcoin-Schürfer ist, von SEBIN-Beamten besucht. Ihm wurde gesagt: "Gib uns Geld, oder wir stecken Dich ins Gefängnis, wie Deinen Freund." Viele andere Quellen, die für diesen Beitrag befragt wurden, gaben an, auch von Schürfern zu wissen, die von der SEBIN erpreßt werden.

Das Schürfen von Bitcoin ist in Venezuela nicht illegal, also wurde Padrón wegen "Schmuggels" angeklagt, weil er keine gültigen Papiere für die aus China importierten Schürfrechner hatte (Padrón bestreitet das), und wegen "Stromdiebstahls". Als sie das Büro durchsuchten, bestraften sie ihn wegen "Elektrizitätsmißbrauchs" und wegen "Verursachens von Stromausfällen".

Die Anklage wegen "Stromdiebstahls" hat einen gewissen Bezug zu der innerhalb der Bitcoin-Gemeinde weltweit stattfindenden Diskussion darüber, ob das Schürfen Bitcoin eine Energieverschwendung sei. Selbst wenn nicht, warum sollte darüber ausgerechnet in Venezuela diskutiert werden? Das Land leidet unter ständigen Stromausfällen. Statt die Preise anzuheben, um die Nachfrage dadurch zurückzuschrauben, ist die Regierung dazu übergegangen, die Stromzufuhr selektiv zu abzustellen. Im April wurden für einige Regionen des Landes vierstündige Stromausfälle täglich verordnet, und für Angestellte des öffentlichen Dienstes wurde eine Zwei-Tage-Woche angeordnet, um den Stromverbrauch in staatlichen Gebäuden zu senken.

Stromdiebstahl in Venezuela
Der klassische Stromdiebstahl in Südamerika sieht gewöhnlich so aus.

Dennoch dürfte das Schürfen von Bitcoin immer noch die beste Einsatzmöglichkeit für Strom in Venezuela sein, denn Bitcoin versorgt das Land mit dem, was es am meisten braucht, nämlich mit einer relativ stabilen Währung, die ihren Wert über Grenzen hinweg beibehält.

Es sind jedoch nicht nur die Schürfer, die davon profitieren. Indem sie regelmäßig einen Teil ihrer Bitcoin-Einnahmen in Bolivar wechseln um damit auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel zu kaufen, ermöglichen sie es den Nicht-Schürfern, ihre Bolivars gegen Bitcoin einzutauschen und dadurch ebenfalls ihrerseits an der neuen Wirtschaft teilzunehmen.

»Die Regierung nimmt die gesamte Bevölkerung als Geisel, indem sie sie an eine untergehende Währung kettet«, sagt Andreas Antonopoulos. Er ist ein in den USA ansässiger Computerwissenschaftler, Schriftsteller und eine einflußreiche Persönlichkeit in der weltweiten Bitcoin-Gemeinde.

Die Schattenwirtschaft

Während immer mehr Venezolaner sich auf Bitcoin verlassen müssen, haben die Schürfer für Handel, Verkauf und Informationsaustausch ihre eigenen Gemeinschaften gegründet. Als Alberto Bitcoin 2012 entdeckt hatte, hatte er diese Neuigkeiten bei Tech Meetups verbreitet, und hat darüber hinaus sogar auf Konferenzen gesprochen. Als die Sicherheitssituation sich verschlechtert hatte, sind die Bitcoin-Schürfer, einschließlich Alberto, in den Untergrund gegangen.

Einige dieser Untergrundaktivitäten passieren in einer Facebook-Gruppe Namens "Bitcoin Venezuela", die im März 2013 von Randy Brito angelegt wurde, ein damals 21-jähriger Libertärer, der in Spanien wohnte. Brito, dessen Eltern aus Venezuela geflohen waren als er 14 war, hatte die Gruppe ursprünglich als Bildungsforum entworfen, aber als das Schürfen um sich griff, ging es hauptsächlich um Handel und darum, den Leuten irgendwie durch ihr harsches Leben zu helfen.

Die meisten Bitcoin-Nutzer in Venezuela seien keine Libertären, sagt Brito. Aber das sei egal, denn das libertäre Prinzip sei in der Technologie bereits eingebaut. Bitcoin ist hoch resistent gegen staatliche Regulierungen, da es die erste weltweit akzeptierte digitale Währung ist, die man direkt tauschen kann, ohne daß dazu ein vertrauenswürdiger Dritter nötig ist, der die Transaktion bestätigen müßte, wie etwa eine Kreditkartenfirma oder eine Bank. Es verhält sich in diesen Fällen wie Bargeld. Doch Bitcoin hat einen gewaltigen Vorteil im Vergleich zu Papiergeld: Es kann über das Internet ausgetauscht werden, so daß es kein Problem darstellt, wenn Käufer und Verkäufer auf unterschiedlichen Hälften des Erdballs leben.

Die Facebook-Gruppe dient als Online Basar und bietet Autos, Fahrräder Boote, Spirituosen, Proteinzusätze, Seife, Smartphones, Wanderschuhe, Sportgerät, Videospiele und Toilettenpapier. Die über 7000 Mitglieder können auch Medikamente im Ausland kaufen. Aber die am häufigsten angebotenen Artikel sind Computerteile und Schürfausrüstung.

Da Bitcoin keine physikalischen Eigenschaften besitzt ist es auch schwierig, Bitcoins zu stehlen. Venezuela hat immer noch einen starken US-Dollar-Schwarzmarkt, aber die "Greenbacks" aufzubewahren ist riskant in einem Land mit solch hoher Kriminalitätsrate. "Die Einbrecher riechen die Franklins wie Spürhunde", sagt Hector, ein Arzt, der nun zum Bitcoin-Schürfer wurde.

Nachdem Padrón im März verhaftet wurde, machten die vier Moderatoren, deren Aufgabe es ist, die Facebook-Gruppe von Eindringlingen und Betrügern frei zu halten, die Gruppe "Bitcoin Venezuela" zur geheimen Gruppe. Das heißt, daß die Gruppe nicht mehr in den Suchergebnissen bei Facebook auftaucht. Neue Mitglieder brauchen eine Erlaubnis um der Gruppe beizutreten und die Moderatoren benutzen eine zweite Facebook-Gruppe um Beitrittskandidaten zu prüfen, bevor sie sie einladen.

Brito fordert die Menschen dazu auf, jede Information, die zur Bestimmung der Person geeignet wäre, aus ihrem Profil herauszuhalten. Manche Gruppenmitglieder wie Alberto, greifen auf die Gruppe über ein zweites Facebook-Profil zu, das auf einen Falschnamen registriert ist. Derzeitige Mitglieder können neue Leute zum Beitritt einladen (ich wurde durch eine Quelle eingeladen). Die Moderatoren gehen das Profil der Eingeladenen durch, bevor sie sie zur Gruppe hinzufügen.

Venezolanische Geldscheine
Venezolanische Geldscheine | Bild: CrashKurs.DE / Matyas Rehak / Shutterstock.com

Venezuelas Bitcoin-Gemeinde ist jedoch nicht vollständig im Untergrund. CriptoNoticias ist eine öffentliche Nachrichtenquelle und publiziert von Caracas aus. Sie widmet sich der Berichterstattung über Bitcoin und die Blockchain. Die Seite, die im April 2015 ans Netz ging, ist primär auf Branchennachrichten aus dem Ausland fokussiert, und berichtet recht selten über Venezuelas wachsende Schürfergemeinde, doch gelegentlich erscheinen Berichte über lokale Ereignisse, und sogar eine Antwort auf Anschuldigungen Seitens der staatlich kontrollierten Fernsehanstalt, daß Bitcoin hauptsächlich ein Werkzeug für Cyber-Kriminelle sein soll.

Einer der vielen Vorteile von Bitcoin gegenüber der Landeswährung Bolivar ist, daß Bitcoin keiner Kurskontrolle unterliegt. Hugo Chavez hat 2003 ein desaströses System mit festen Wechselkursen eingeführt, und heute liegt der beste offizielle Wechselkurs bei 662 Bolivars pro Dollar, während er auf dem Schwarzmarkt bei fast 3000 Bolivars pro Dollar liegt.

Diese Diskrepanz führt natürlich zu einem exponentiellen Wachstum bei Venezuelas größtem Wechseldienst (Exchange) "SurBitcoin". Auf dieser Webseite lassen sich Bolivars problemlos gegen Bitcoin tauschen, die dann wiederum für Dollars verkauft werden können. Indem man Bitcoin als eine Zwischenwährung nutzt, läßt sich ohne Schwierigkeiten und ohne Risiko ein besserer Kurs erzielen als auf dem Schwarzmarkt. Viele venezolanischen Schürfer bauen auf SurBitcoin, um ihre Bitcoin-Einnahmen in Bolivars umzutauschen, mit denen sie Kosten bezahlen können wie etwa Miete und Essen.

Der Exchange wird betrieben aus einem rund 3.400 km von Caracas entfernten Büro in einem umgebauten Produktions- und Versandkomplex mit Blick auf die Brooklyn Waterfront. Es wird von BlinkTrade betrieben, einer Firma, die 2012 von Rodrigo Souza gegründet wurde, einem früheren Entwickler an der New Yorker Wertpapierbörse und heutigen YouTube-Persönlichkeit, die bekannt dafür ist kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Souza, 36, hat frühzeitig vorausgesehen daß Bitcoin in Lateinamerika enorme Auswirkungen haben würde. Er ist ein in Brasilien geborener Libertärer und wanderte 2008 in die USA aus. Es war für ihn ein Augenöffner, in ein Land zu ziehen, in dem die Wirtschaft nicht ständig durch Inflation belastet ist. "Ich wurde in Brasilien an jedem einzelnen Tag meines Lebens bestohlen, weil die Regierung dort darauf besteht immer mehr und mehr Geld zu drucken", erzählt er.

Es finden täglich ungefähr 1.200 Transaktionen auf SurBitcoin statt, und das Handelsvolumen hat sich im letzten Jahr mehr als verdreifacht. "Es sind viele Leute, die kleine Beträge wechseln", sagt Souza. Der durchschnittliche Handelsbetrag auf SurBitcoin beträgt in etwa 28€. Der führende Exchange in Lateinamerika ist, gemessen an der Geldmenge die den Besitzer wechselt, Foxbit aus Brasilien. Allerdings ist die Handelsaktivität auf SurBitcoin größer. Die Regierung habe den Dienst nicht blockiert, so Souza, teilweise deshalb, weil etliche Beamte "zu unseren Kunden gehören".

Für Ausgewanderte ist SurBitcoin ein Geschenk des Himmels. Maria ist eine 32-jährige Aktienhändlerin, die vor drei Jahren von Venezuela nach Brasilien ausgewandert ist. Um ihrer Familie Geld zukommen zu lassen nutzte sie Anfangs einen menschlichen Kurier: Ein Freund nahm regelmäßig Bargeld über die Grenze und zahlte es auf das Konto ihrer Eltern ein. "Es dauerte immer Tage und war auch sehr gefährlich", sagt Maria. Heute schickt sie über SurBitcoin ohne Probleme wöchentlich 280€ nach Hause.

Aus den USA ist es möglich, Gelder über Dienste wie MoneyGram und Western Union zu verschicken, doch meine Rechnung von neulich zeigte, daß ein Benutzer von SurBitcoin etwa 40 Cent pro Dollar spart im Vergleich zu Western Union. Maria sagt, daß MoneyGram in Brasilien mit soviel Papierkram verbunden sei, und so niedrige Höchstgrenzen für den Versand hätte, daß es schlichtweg ihre Zeit nicht wert war.

Souza sagt, daß sich oft gut betuchte Leute an ihn wandten um große Mengen an Bolivars gegen Bitcoin einzutauschen. Er läßt sich jedoch nicht darauf ein, teilweise aus Bedenken heraus, sie könnten die kleineren Käufer verdrängen, und teilweise deswegen, weil es genau diese Reichen sind, "hinter denen die Regierung her ist", daher könnte es Probleme mit sich bringen, sich auf Geschäfte mit diesen Leuten einzulassen.

Die größte Krise innerhalb der Firma gab es während der Razzien der Regierung im März, als ein in Venezuela ansässiger Mitarbeiter von SurBitcoin, Daniel Arraez, von der SEBIN verhaftet und des Steuerbetrugs und der Geldwäsche bezichtigt wurde. Nach sieben Monaten im Gefängnis wurde Arraez von einem Richter am 18. Oktober freigelassen. Er hat momentan ein Ausreiseverbot, da er auf eine Voruntersuchung warten muß. Souza lehnt es auf Anraten eines Anwalts hin ab, Einzelheiten über den Fall zu besprechen.

SEBIN - news.bitcoin.com
Artikel zur Verhaftung von Daniel Arraez auf News.Bitcoin.com (Englisch)

Arraez's Zellengenosse, Joel Padrón — der erste verhaftete Bitcoin-Schürfer — wurde am 1. Juli nach einer Einigung im Strafverfahren entlassen.

Ein hoffnungsloses Land

Nach der Verhaftung von Padrón im März, rieten Albertos Freunde ihn, er solle in den Untergrund gehen. Er löschte daraufhin seine Online-Präsenz. Allerdings ist der Staat nicht die einzige Bedrohung. Die Gewaltkriminalität ist in Venezuela während des wirtschaftlichen Verfalls explodiert. Schürfer müssen extrem vorsichtig sein und ihren Reichtum so gut es geht verstecken.

Alberto und seine Partner, einschließlich Luis, verstecken ihre Schürfgerätschaften an verschiedenen Orten in den Armenvierteln von Caracas — das sind Gegenden in denen die Polizei wohl kaum suchen dürfte. Alberto trägt billige Kleidung und fährt ein gebrauchtes Auto, um nicht aufzufallen.

Doch jeder der genau aufpaßt merkt, daß er kein typischer 27-Jähriger ist. Die Verwandschaft in Venezuela neigt nämlich dazu, zusammenzuwohnen, um dadurch ihre eingeschränkten Ressourcen zusammenzufassen, aber Alberto teilt sein Apartment in Caracas ausschließlich mit seiner Frau. Jeden Monat wechselt er einige Bitcoins in Bolivars und kauft etwa 90 kg Huhn auf dem Schwarzmarkt, das dann unter etwa einem Duzend Verwandten aufgeteilt wird. Wenn er nach Sonnenuntergang ausgehen möchte, bestellt Alberto einen Sicherheitsdienst, der dann zwei Leibwächter und ein gepanzertes Auto schickt.

"Meine Nachbarn denken, wir hätten einen heißen Draht zur Regierung", sagt er.

Alberto war in letzter Zeit besonders vorsichtig. An einem warmen Augustabend letztes Jahr, war Albertos Schürfpartner Luis auf dem Nachhauseweg, nachdem er einen Freund in der Gegend von El Marques herausgelassen hatte. Er war gerade dabei, auf die Schnellstraße 'Cota Mil' abzubiegen, das ist eine größere Verkehrsader in Caracas. Es war 20:00 Uhr und die 3,3-Millionen-Stadt — die Stadt mit der weltweit höchsten Mordrate — hatte sich bereits in eine Geisterstadt verwandelt.

Avenida Boyacá de Caracas
Avenida Boyacá de Caracas, genannt "la Cota Mil" (Höhe 1000). | Bild: TripMondo

Kriminalität war für Luis sein ganzes Leben lang immer ein Problem in Caracas, doch seitdem Nicolás Maduro die Präsidentschaft von Hugo Chavez übernommen hatte, der 2013 an Krebs verstarb, hat die Gewalt derart zugenommen, daß das Nachtleben in der Stadt völlig zum Erliegen kam. Niemand geht mehr nach Einbruch der Dunkelheit vor die Tür. Fünf Jahre zuvor wären die Straßen voller Autos gewesen, aber in jener Nacht war Luis das einzige Auto weit und breit.

Mit seiner Freundin im Gespräch vertieft, die auf der Beifahrerseite saß, bemerkte Luis plötzlich ein Auto in seinem Rückspiegel, das auf ihn zuraste. Er wechselte auf die linke Spur. Das Auto fuhr an ihm vorbei, zog auch auf die Linke Spur und machte plötzlich eine Vollbremsung, so daß Luis in das Heck des Autos krachte.

Sieben Mann sprangen sofort aus dem Auto und richteten ihre Waffen auf Luis' Windschutzscheibe. Einer hielt eine Handgranate. Sie forderten das Paar auf auszusteigen. Luis ergriff die Hand seiner Freundin und sagte ihr sie solle ruhig bleiben.

Sie verbrachten die nächsten sieben Stunden auf dem Rücksitz des Autos der Entführer, die während der Lösegeldverhandlungen die Waffen auf ihre Köpfe gerichtet hielten. Mitten in der Nacht traf sich Luis' Vater — der ebenfalls ein Bitcoin-Schürfer ist — mit den Entführern, um ihnen eine Tasche mit 6.000 Dollar und Euros in Bar zu überreichen, die er verzweifelt bei Freunden und Nachbarn eingesammelt hatte. Die Entführer wollten darüber hinaus auch noch Gläser, Parfüms, Uhren und Schmuck.

Luis wurde Opfer von etwas, das in Venezuela "Blitzentführung" ("secuestro express"[1]) genannt wird, einem häufigen Vorkommnis in einer Stadt, die nach Einbruch der Dunkelheit einem Kriegsgebiet gleicht. Luis war scheinbar ein zufällig ausgewähltes Opfer und die Entführer wußten offenbar nicht, daß er ein Bitcoin-Schürfer war. Im Laufe der nächsten Tage bezahlte Luis seine Lösegeldschulden zurück indem er einige Bitcoins gegen US-Dollar tauschte.

Entführungen weltweit 2013
Entführungen Weltweit 2013. | Bild: Vocativ

Weil Kriminalität und Krise weiterhin bestehen, suchen viele der dortigen Bitcoin-Schürfer nach einem Ausweg. Luis und Alberto haben vor Venezuela zu verlassen, sobald sie ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben. Ihr Plan ist es mit einer Gruppe Freunde nach Argentinien zu ziehen. Die Wahl fiel auf Argentinien, "weil das Land das Desaster bereits hinter sich hat", sagt Luis.

Alberto spielt auch mit dem Gedanken ein Arbeitsvisum für die USA zu beantragen. Er plant derzeit sein nächstes Unternehmen: Er möchte seinen eigenen kleinen Rechner vermarkten. Es handelt sich um einen "Controller", der Schürfanlagen wieder startet, nachdem ein technischer Defekt eintrat. Alberto hat die Maschine entwickelt, die, wie er sagt, enorm wichtig ist um den riskanten Fußgängerverkehr von und zu seinen Rechnerzentren zu minimieren.

Einige seiner Partner haben sich einverstanden erklärt, in Venezuela zu bleiben und die Schürfanlagen zu bewachen, aber letztlich wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich davon zu trennen. Die Sicherheitslage ist schlichtweg untragbar geworden: Wer will schon in einem Land leben, in dem man Nachts nicht ohne bewaffnete Wächter auf die Straße kann?

Für Luis war mit seiner Entführung die Grenze der Belastbarkeit erreicht. "Ich habe keine Hoffnung mehr für Venezuela", sagt er, "Auch wenn man sich benimmt, trotz der Angst, wird man dennoch in irgendeiner Weise einen Schaden erleiden. Ein ehrlicher, bescheidener Arbeiter zu sein, der produktiv und hilfreich ist, der hat keine Qualitäten, die diese Gesellschaft noch schätzt."

Wenn Padróns Bewährung nächstes Jahr ausläuft, plant er auch in die USA zu gehen. Er träumt davon in New York City zu leben. "Bevor ich verhaftet wurde, war ich ein Mensch, der wirklich sein Land liebte", sagt er. "Doch nach allem was geschehen ist, habe ich mir gesagt: 'Nein, es ist unmöglich'. Auch wenn Du versuchst die Dinge richtig zu machen, es wird immer jemanden geben, der Dich in die Scheiße reitet."

Obwohl er nicht mit José Perales, dem anderen Bitcoin-Schürfer, mit dem er die Zelle bewohnt hatte, in Kontakt ist, glaubt er, daß Perales die Bewährungszeit übergangen und das Land bereits verlassen hat.

Padróns Bitcoin-Schürfrechner wurden von den SEBIN-Beamten beschlagnahmt als er im März verhaftet wurde, und sie wurden nie zurückgegeben. Aber er hatte eine Art Warnsystem eingerichtet: Immer wenn die Maschinen hochgefahren und mit dem Bitcoin-Netzwerk verbunden wurden, erhält er eine automatisch generierte eMail.

Beschlagnahmte Schürfausrüstung.Beschlagnahmte Schürfausrüstung. | Bild: BitcoinNews

Einen Monat nach seiner Verhaftung kam eine Nachricht auf Padróns Inbox an. "Ich denke, die Beamten [die mich verhaftet haben] haben selbst angefangen, Bitcoins zu schürfen", sagte er.

Rodrigo Souza, der Betreiber des Exchanges SurBitcoin, ist überzeugt: Egal was in Zukunft im Land passiert, Bitcoin wird weiterhin die Staatsmacht untergraben. Seine Firma arbeitet mit einer venezolanischen Bank zusammen, um die Transaktionen in Bolivars zu vereinfachen. Der Staat könnte Maßnahmen ergreifen, und jederzeit seine Genehmigungen zurückrufen. Falls das passiert, so Souza, würden seine Kunden schlichtweg anfangen, ihre Bitcoins auf beliebten Anzeigenseiten anzubieten wie etwa auf LocalBitcoins, wo Leute sich online treffen um anschließend einen Austausch in der physischen Welt vorzunehmen.

Das wäre weniger bequem, aber die Nutzer würden das schon hinkriegen. Bitcoin ist in Venezuela eine unaufhaltsame Kraft, sagt Souza. "Wer soll denn Software im Internet aufhalten?"


Originalartikel auf Englisch:

reason.com (Los Angeles) - »The Secret, Dangerous World of Venezuelan Bitcoin Mining«


[1] Zu diesem Phänomen wurde 2005 sogar ein Film gedreht mit dem Titel "Secuestro Express" mit der bekannten Schauspielerin Mia Maestro. Die deutsche Version ist auf Amazon erhältlich: »Carla und Martin, ein junges Pärchen aus der venezuelanischen Mittelklasse, stolpert nach durchzechter Disconacht in einer der schlechteren Gegenden von Caracas geradewegs in die empfangsbereiten Arme dreier Gauner von höchst unterschiedlicher Motivation. Die beabsichtigen, mit dem unverhofften Fang ein möglichst fettes Lösegeld einzustreichen, doch entpuppen sich die Opfer weder als pflegeleicht noch besonders reich. Im Zuge komplizierter Übergabemodalitäten spitzt sich die Situation weiter zu.«
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Oh man, ich bin recht erschrocken.

Es beschäftigt mich sehr was mit dem Land und den Menschen passiert.

Ein guter Artikel, danke.

#WasZumVerarbeiten

Wow schlimm. Danke für den Artikel!

Danke für den toll übersetzten Artikel! Alles Gute!

Vielen Dank für den super Artikel! Hast dir wirklich viel Mühe gegeben!

sehr interessanter Artikel. Gut übersetzt. Resteem.