In memoriam Butrus Butrus Ghali - einer facettenreichen Persönlichkeit

in #deutsch4 years ago (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Der Tod von Butrus Butrus Ghali jährte sich Mitte Februar zum vierten Male. Mit ihm verließ damals eine der interessantesten Persönlichkeiten der internationalen Szene die Bühne.
Von bleibender Aktualität ist die nachfolgende Betrachtung nicht nur historisch, sondern auch, weil sie die Funktion der Vereinten Nationen, die Stellung der Kopten in Ägypten und das Thema der persönlichen Integrität behandelt.

A) In den Vereinten Nationen (VN)
Der Kontrast zu seinem wahrscheinlich nicht viel weniger intellektuellen, aber tendenziell eher zurückgenommen-kontemplativen Vorgänger im Amte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Javier Pérez de Cuéllar, der nun auch nicht mehr unter uns weilt, könnte nicht stärker sein. Butrus Butrus Ghali war ein Gestalter - kein Verwalter, ein General - kein Sekretär.
Gilt es üblicherweise als Indiz für herausragende Leistung, wenn man gebeten wird, im Amte zu verbleiben, verhält es sich bei den VN umgekehrt. Visionäre und initiative Leistungsträger werden von den VN-Mitgliedstaaten meist als unbequem bis lästig empfunden und schon vor ihrer Zeit hinauskomplimentiert. Das widerfuhr Butros Butrus Ghali, während seinem Vorgänger eine weitere Amtszeit angetragen worden war, obwohl dieser selbst diesbezüglich wegen ausgebliebener Erfolge zögerlich gewesen war.
Zum VN-Generalsekretär gewählt worden war Butrus Butrus Ghali als Persönlichkeit, die viele Eigenschaften in sich vereinte und viele Vorstellungen bedienen sollte. Ein weißer Afrikaner (Ägypter) christlicher Konfession (Kopte) aus alter renommierter Familie, verheiratet mit einer ägyptischen Jüdin und ausgestattet mit brillanter Begabung: Nur die Pietät versagt es hier, die sich aufdrängende Metapher der eierlegenden Wollmilchsau zu bemühen. Daß Ägypter sich als Elite in Afrika verstehen und daher die Führungsrolle dort für sich reklamieren, sich aber nicht wirklich afrikanisch fühlen, während sie im übrigen Afrika in dieser Position umstritten sind, eben weil sie auch dort als für den Kontinent zu wenig typisch, dafür aber dominant erscheinen, sei nur am Rande bemerkt.
Butrus Butrus Ghali vermochte sich in seinem Amt schnell Respekt und Anerkennung zu verschaffen - und einen erbitterten Gegner: die USA, die ihn erfolglos zum Befehlsempfänger zu degradieren versuchten.
Angetreten war Butrus Butrus Ghali mit dem Anspruch, die überkommene Lagerbildung aus Zeiten des kalten Krieges in den VN zu überwinden und den VN zu einer eigenständigen und proaktiven Partizipation in der Weltpolitik zu verhelfen. Die Organisation sollte sich nicht länger als Spielball und Feigenblatt von Mitgliedstaaten bei der Verfolgung ihrer Partikularinteressen pervertieren lassen. Um die VN für diese veränderte Rolle zu munitionieren, setzte er sich an die Spitze des überfälligen Reformprozesses, der die VN - die in ihren Strukturen noch immer die Nachkriegsära widerspiegeln - in die Zukunft führen sollte. Dabei erwies sich Butrus Butrus Ghali als dezidierter Befürworter deutscher Ziele (mit Veto ausgestattete ständige Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat, Beseitigung der Feindstaatenklausel).
Diese Agenda mußte ihn zwangsläufig in Gegensatz zu den USA bringen, die die VN unter rein utilitaristischen Aspekten betrachten und sie für ihre Politik instrumentalisieren. Auch zu den Reformen bekannten sich die USA nur verbal, denn die damit verbundene Aufwertung anderer Staaten hätte zwangsläufig eine Einschränkung ihrer Führungsrolle in den VN bedeutet.
Die USA als größter Beitragszahler der VN setzten den wirkmächtigen Hebel der finanziellen Mittel ein, um den Reformprozeß zu torpedieren. Durch Zurückhaltung ihrer Beitragszahlungen bauten sie riesige Debitsalden auf und zahlten fortan nur noch zielgerichtet für ihnen wichtig erscheinende Mandate. Zudem übertrugen sie den VN immer wieder neue Einsätzen in Konflikten, ohne für eine entsprechende pekuniäre Ausstattung zu sorgen.
Butrus Butrus Ghali fand deutliche Worte der Kritik für dieses Verhalten. Er thematisierte auch öffentlich Verfehlungen der USA in Serbien, Somalia und Ruanda. Seine eigene Rolle im Ruanda-Konflikt reflektierte er mit anerkennenswerter Selbstkritik. Den Irak-Krieg prangerte er unverhohlen als eklatante Verletzung der VN-Charta an.
Als er im inneramerikanischen Wahlkampf zur Feindfigur mutierte, einhergehend mit unhaltbaren Diffamierungen, war sein Schicksal besiegelt - ungeachtet der Wertschätzung, die ihm fast die gesamte Völkerfamilie entgegenbrachte.

B) In Ägypten
Butros Butros Ghali gehörte einer alten, renommierten koptischen Dynastie an. Sein Großvater hatte seinem Land als erster christlicher Ministerpräsident gedient. Sein Neffe Yussuf Butrus Ghali war zwischen 1993 und 2011 ägyptischer Wirtschafts~ und Finanzminister.
Er selbst verfolgte zunächst eine akademische Karriere, bis Staatspräsident Anwar as-Sadat den Rechtsprofessor zum Staatsminister im Außenministerium ernannte. In dieser Funktion begleitete er as-Sadat auf seine legendäre Reise nach Jerusalem und war danach einer der Architekten des Camp-David-Abkommens. Er galt als geschickter Diplomat und harter, aber fairer Verhandlungsführer. Bis zu seiner Wahl zum VN-Generalsekretär fungierte er als stellvertretender Außenminister unter dem persönlich gewinnend-sympathischen, im Nahost-Konflikt aber militant-parteiischen Außenminister Amr Musa. Befremdlicherweise glaubte man in Ägypten, sich keinen koptischen Außenminister leisten zu können.
Butrus Butrus Ghali wurde unter Kopten erstaunlicherweise nicht als Rollenmodell wahrgenommen, sondern als Vorzeigekopte. Außer den Ghalis, die sich fest in der ägyptischen Politik etablieren konnten, schafften dies so keine weiteren Vertreter der Christen. Ob dem bestehende Seilschaften entgegenwirken oder eine Selbstblockade in koptischen Köpfen, ist nicht eindeutig feststellbar. In der ägyptischen Wirtschaft dagegen sind Kopten zahlreicher vertreten.
Die - nicht nur für die Kopten und ihre Stellung im Lande - positive Seite der jüngsten Hinrichtungen von Attentätern auf koptische Einrichtungen sollte nicht geringgeschätzt werden: Es gibt in Ägypten unter Abd al-Fattah as-Sisi keine Opfer zweiter Klasse. In Deutschland ist dies leider anders.

C) Persönliche Integrität
Butrus Butrus Ghali selbst konnten, trotz erheblicher Anstrengungen seitens der USA in dieser Hinsicht, keine Verfehlungen nachgewiesen werden. Das dürfte maßgeblich auch darin begründet liegen, daß er keine Nachkommen hatte, die es zu versorgen galt. Zu diesem Zweck können ja bekanntlich auch Wohlsituierte immer etwas brauchen, vgl. unten.
Im Rahmen des oil-for-food-program zu Gunsten des Irak, das unter Ghalis Ägide stand, waren jedoch Fälle von Korruption und Nepotismus zu verzeichnen, die bis hin in seine Familie und seine Freundeskreise zu verfolgen waren. Ihm dies anzulasten, wäre wohl nicht angemessen, denn man hat es nicht lückenlos unter Kontrolle, wer sich auf einen beruft. Oft erfährt man es erst, wenn es bereits zu spät ist. Dann kann man sich nur noch distanzieren, doch der Schaden ist eingetreten.
Sein Neffe Yussuf entzog sich den Folgen seiner Verurteilung wegen Korruption und Veruntreuung von Steuermitteln durch seine Flucht nach GB, wo er im Exil lebt. Dessen Bruder sieht gerade Ermittlungen wegen Beteiligung an Antikenschmuggel in bedeutendem Umfang entgegen.
Gerade das zuletzt genannte Delikt überrascht bei dem Abkömmling einer Familie, die als Kopten ihre Wurzeln auf die Pharaonen zurückführt und dem Land seit Generationen in verantwortungsvollen Positionen dient. Das archäologische Erbe ist für das Selbstverständnis Ägyptens von grundlegender Bedeutung. Daher erscheint es zunächst schwer nachvollziehbar, daß dem Land Schätze dieser Art gerade durch einen Angehörigen einer Ägypten tief verbundenen Sippe entzogen werden. Man könnte es sich allenfalls dadurch erklären, daß - zumindest während der Mubarak-Herrschaft - sich die Kuration der Fundstücke in prekärer Lage befand. Der seinerzeitige medienerprobte Chef der Antikenverwaltung, Zaki Hawass, wußte durch seine Auftritte weit über Ägypten hinaus für seine Sache zu begeistern. Sein Schwerpunkt war jedoch eindeutig bei den Grabungen angesiedelt. Die Bewachung der Funde war dann jedoch bettelnden Aufsehern (Oder sollte man sagen: aufsehenden Bettlern?) überantwortet. Nicht unerwartet kamen viele dieser Dinge gleich in den ersten Tagen der Aufstände des „Arabischen Frühlings“ abhanden. Vielleicht handelte der Ghali-Sproß getragen von der Überzeugung, woanders hätten es die Artefakte besser. Das wäre zumindest nicht ganz von der Hand zu weisen und eine partielle Ehrenrettung für den bedeutsamen Namen. Der berühmte Onkel müßte sich dann nicht ganz so heftig im Grabe herumdrehen.

https://www.monde-diplomatique.fr/1996/11/ROULEAU/5870
https://www.foxnews.com/world/former-un-secretary-general-boutros-boutros-ghali-dies
https://steemit.com/deutsch/@isabellaklais/in-memoriam-javier-perez-de-cuellar

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