#8 Kurzgeschichte (Poetry-Slam): Bestimme deinen Nachfolger

in #deutsch6 years ago (edited)

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Bestimme deinen Nachfolger

Kurzgeschichte

Heute teile ich eine Kurzgeschichte mit euch, die nicht aus Wortvorschlägen entstanden ist, sondern die ich aus eigenen Wörtern im Poetry-Slam vorgetragen habe ;)

Ein ohrenbetäubendes Zischen riss mich aus dem Schlaf. Benommen tastete ich mit meinen Fingerspitzen den Boden ab, auf dem ich ausgestreckt lag. Langsam hob ich den Kopf. Offenbar befand ich mich in einem kleinen, quadratischem Raum, dessen Wände aus dunkelblauem Metall bestanden. Rechts erkannte ich eine Steuerkonsole, die mit lauter bunten Knöpfen bestückt war. Als ich mich zittrig nach hinten umdrehte, sah ich eine offene Tür. Ich zog mich nach vorne, doch im selben Augenblick knallte sie mechanisch zu. Erschrocken sprang ich auf. Der Boden unter meinen knallroten Stöckelschuhen begann, zu vibrieren. Verwirrt griff ich eine Stange, welche an der Wand montiert war. Ich erkannte es - dieser Raum war eine Fahrstuhlkabine. Doch wie zum Teufel kam ich hier rein? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Ehe ich auf einen der Knöpfe drücken konnte, schnellte er wie eine Bungeekugel in die Höhe.

Die plötzliche Geschwindigkeit brachte mich ins Wanken. Ich umgriff die Stange fester. »Wa- Was ist das für ein Trip? I- Ich will hier raus, sofort!« Doch den Fahrstuhl ließ mein jämmerliche Betteln völlig kalt. Schluchzend schaute ich mich um. Meine Wimperntusche war bereits völlig verschmiert, meine langen braunen Haare gekräuselt vom Angstschweiß. Mein Herz pochte so kräftig, dass ich es bis zur Nasenspitze spürte. Hektisch rutschte ich über die Knöpfe der Aufzugsanlage. Die Anzeige, welche normalerweise die aktuelle Etage symbolisierte, drehte sich so schnell, dass sie nicht mehr lesbar war. Ich suchte den Knopf, der mich in das Erdgeschoss zurückbefördern sollte. Vergebens. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass er nicht vorhanden war. Es gab einen Knopf, der ein graues Ausrufezeichen zeigte, was auch immer das bedeutete. Sollte ich ihn betätigen? Wer weiß, was dann passieren würde. Es handelte sich schließlich um keinen normalen Fahrstuhl.

Durch meinen Körper floss so viel Adrenalin, dass ich nicht mehr unterscheiden konnte, ob das von der Geschwindigkeit oder von der Angst kam. Wahrscheinlich beides ... Zögerlich schaute ich mich in meinem kleinen Gefängnis um. Vielleicht käme ich an einer versteckten Stelle nach draußen und würde dann empört feststellen, dass diese Fahrt nur ein schlechter Scherz war? Über mir pendelte eine lose Röhrenleuchte, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Laserschwert hatte. Hoffentlich würde sie mich verschonen.

Ich tastete meine Hüfte ab. Vor lauter Aufruhr bemerkte ich erst jetzt, dass meine Handtasche fehlte. Hektisch kramte ich mit den Händen in der Hosentasche meiner schwarzen Jeans. Auf einmal hielt ich inne, denn ich fühlte ein Stück Papier. Verwundert zog ich es heraus. »Was ist das...?«, stieß ich überrascht aus. Ich betrachtete einen Briefumschlag, der wie ein kleiner Schnipsel zwischen meinen Fingern hing. »Bestimme deinen Nachfolger!«, las ich eine winzige Schrift, die von einem Pikmin hätte geschrieben sein können.

Der Brief in meiner Hand wurde wärmer. So warm, dass ich ihn abschütteln musste. Er fiel zu Boden und verglühte wie Asche. »Wen um alles in der Welt soll ich bestimmen?«, fragte ich durcheinander. Verschiedene Namen kreisten mir durch den Kopf. »Maik?«, sprach ich zögerlich. Eine sonderbare, blechmäßige Stimme erwiderte: »Es muss eine Person sein, die du kennst. Du hast noch zwei Versuche, dir jemanden zu wünschen und mich nicht zum Narren zu halten. Ansonsten verharrst du hier bis zu deinem bitteren Ende!« Ich torkelte rückwärts. Woher bitte wusste diese Stimme so gut über meine Beziehungsverhältnisse Bescheid? Wen sollte ich jetzt nennen? Vielleicht jemanden, den ich nicht mochte? Aber ich wollte nicht Schuld daran sein, wenn dieser Person etwas zustieße. Einige Sekunden später sprach ich kleinlaut: »Alina«. Schnurstracks verharrte der Fahrstuhl und ließ mich durch die Kabine schleudern, sodass ich ohnmächtig zu Boden sank.

Langsam öffnete ich die Augen. Ich befand mich immer noch im Fahrstuhl, jedoch war ich nicht mehr alleine, sondern diesmal von lauter Menschen umgeben. Wie von der Tarantel gestochen streckte ich die Hand aus, um den Fahrstuhlknopf zu drücken. Ein wohlgekleideter Mann im Anzug erkundigte sich: »Haben sie Platzangst oder fahren Sie das erste Mal mit einem Fahrstuhl? Sie drücken schon zum fünften Mal wie eine Besessene diesen Erdgeschoss-Knopf. Wir würden dann jetzt gerne losfahren.« Beschämt schaute ich zu Boden und senkte meine Hand. War ich etwa entkommen? Wie viel Zeit war seit meinem Verschwinden vergangen? Ich spürte meine Handtasche, die sich wieder an meiner Schulter befand.
Schlagartig fiel mir auch ein, dass ich ursprünglich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen war. Deswegen war ich hier.

Wir fuhren in die vierte Etage, der Fahrstuhl öffnete sich. Erleichtert sprang ich hinaus und ließ mich in einen der bunten Sessel plumpsen, die den Flur vor dem Bewerbungsbüro schmückten. Ich war so froh, wieder im normalen Leben angekommen zu sein. Aber ich fragte mich, wie ich diese Höllenfahrt je aus meinem Kopf streichen könnte. Ich war gerade alles andere als in der Stimmung, mich auf ein Bewerbungsgespräch zu konzentrieren.

Zögerlich schnappte ich mir eine Zeitung vom Tisch, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Plötzlich nahm ich eine Frau wahr, die am Fahrstuhl wartete. Mir fielen die Schuppen von den Augen, als ich Alina, meine damalige Klassenkameradin, wiedererkannte. Wir waren früher nicht gerade die besten Freunde. Was für ein Zufall. Oder doch nicht? Blitzschnell sprang ich vom Sessel auf.»Halt, Stop!« Doch es war zu spät. Alina stand bereits im Fahrstuhl. Die Türen schlossen sich.

Seit diesem Tag blieb Alina für immer verschollen.


Hier findet ihr nochmal den Link zum ersten D-A-C-H-Discord Poetry-Slam, auch mit anderen lustigen und interessanten Vorträgen. War ein cooles Event! :) https://dlive.io/livestream/joe.backpacker/3bddfcd9-2ad4-11e8-8468-0242ac110002
  • Neben meinem "Weg zum Autor" schreibe ich Kurzgeschichten, die ich mir aus zufällig generierten, bzw. von euch vorgeschlagenen Wörtern, ausdenke
  • Wer Lust hat, kann mir hierfür gern neue Wörter vorschlagen. Diese werde ich in der Reihenfolge, wie sie genannt wurden, in den nächsten Geschichten verwenden
  • Bitte pro Leser nur einen Vorschlag (Substantive)
Bildquelle: https://pixabay.com/de/aufzug-tasten-zahlen-926058/
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Interessatne Kurzgeschichte, liest sich spannend...

Freut mich, dass sie dich gepackt hat ;)

auf jeden FALL!!! ;-)