Roman: Seb Hofmann - Froschperspektive (Kapitel 9.23.)

in #deutsch7 years ago

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Das Feindbild verfliegt Schritt für Schritt, während wir stur geradeaus schleichen, bis wir vorm Tor des Ottakringer Friedhofes zum stehen kommen. Zugegeben die Zeit mit Souflaki vergeht wie im Flug und es ist nett anzuschauen, wie er brav neben mir hertappst. Selbst die Waffe habe ich für den Moment vergessen. Wir streifen zwischen den unzähligen Familiengräbern, die mit dicken Marmor- oder mit dünnen, verwitterten Stahlbetonplatten abgedeckt sind, den Friedhofsberg nach oben. Anscheinend richtet sich die Qualität des Deckels, wie so vieles in Österreich, nach der Anzahl der Titel vor dem Namen. Bisher kaum eine Menschenseele weit und breit. Inmitten von Gräbern und Birken atme ich seit langem mal wieder tief und frei durch. Souflaki macht brav Sitz und schaut treu von unten auf. Ich mute ihm mehr von meinem Vertrauen zu, indem ich es wage, ihn loszumachen; etwas, wovor Mariola immer zu viel Angst hatte. Er bleibt entspannt und legt sich erstmal hin. Ich nehme die Pistole aus der Tasche und lasse sie zwischen den Händen wandern. Ich fuchtel rum und bin entschlossen zum ersten Schuss. Mit Knarre am Anschlag suche ich das perfekte Ziel, um das Bisschen Munition nicht gleich sinnlos zu verballern. Ich richte sie auf Blumenvasen, Kerzen, Grabsteine und eine hölzerne Jesusfigur. Die Auswahl ist, wer hätte es gedacht, nicht gerade überwältigend. Wo ich mich auch hindrehe, sehe ich den gleichen Mist.
Souflaki ist weg. Gerade saß er noch hinter mir, jetzt ist er spurlos verschwunden. Wenn ich ihn nicht finde, kann ich mir hier gleich mein eigenes Plätzchen schaufeln. Mariola wird durchdrehen. Ich nehme die Knarre einen Moment herunter und fange mit der Suche an. Überall könnte er sein und einen Hund zwischen all den Grabsteinen zu finden, erscheint aussichtslos. Wie ein Idiot lässt er mich mit Pistole in der Hand über den Friedhof rennen und „Souflaki“ rufen. Mit Sicherheit ist er einer läufigen Hündin nachgerannt. Ich laufe das gesamte Gelände ab und brülle weiter, aber er ist nicht zu finden. Ich verliere den Glauben und beginne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Geschichte ich Mariola auftischen kann. „Er ist einfach so weggelaufen.“; „Ich wurde überfallen.“ Scheiße, die ich mir nicht einmal selber glaube. Wenn ich Glück habe, ist er allein heimgegangen, aber auch das müsste ich erklären. „Souflaki.“ Dieser Köter macht mich wahnsinnig und streng genommen wäre er nicht mal ein Verlust. Endlich frei von Gestank, Gehechel und Gesabber. Er ist niedlich, aber trotzdem könnte ich ihn jederzeit im Klo ertränken. Einfach nur so. Wenn schon weg, dann doch wenigstens richtig.
Die Luft ist raus und ich trete den Heimweg an. Der Köter versaut mir selbst die stärksten Momente. Ich fuchtel zwar noch ein wenig mit der Wumme herum, während ich Richtung Straße gehe, aber abfeuern will ich heute nichts mehr. Ich bin für Mariola vorbereitet, denn ich habe mir endlich die perfekte Ausrede zurechtgelegt, als ich plötzlich etwas Lebendiges auf einem ausladenden Ehrengrab entdecke. Oh mein Gott, es ist Souflaki. Er sitzt zufrieden am Fuße einer Steinfigur, die zu irgendeinem Denkmal gehört, dass an irgendetwas erinnert, dass am 17. September 1911 gewesen sein soll. Erleichterung macht sich breit, mischt sich mit Enttäuschung und das Ergebnis ist die pure Wut. Ich habe eine Ausrede, keine Zeugen und bisher noch kein perfektes Abschussziel. Ich nehme Souflaki ins Visier und den Finger an den Abzug. Er schaut mich treudumm und ein weiteres Mal unbeeindruckt an. Er zieht nicht einmal in Erwägung wegzulaufen. Stattdessen freut er sich mich zu sehen. Die Töle reizt mich. Trotzdem habe ich mir sowas leichter vorgestellt. Ist eben doch etwas Endgültiges. Außerdem habe ich Angst vor dem Knall oder diesem Rückschlag oder dass mich noch jemand sieht. Ich versuche mich zusammenzureißen und allen nötigen Mut aufzubringen. Souflaki sitzt noch immer brav vor mir. Mein Finger entwickelt ein unnatürliches Eigenleben, etwas dass stärker ist als ich. Er zieht am Abzug. Es geht ganz leicht für ein, zwei Millimeter, bis plötzlich ein Widerstand kommt. Vielleicht ist die Knarre ja doch gesichert, funktioniert nicht oder ich sollte es einfach lassen?
Urplötzlich lässt mich das Vibrieren meines Telefons zusammenzucken und ein Schuss löst sich unerwartet mit einem heftigen Knall.

Fortsetzung folgt...

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