Gradwanderung – Wenn der Spaß zur Sucht wird

in #deutsch6 years ago

Letzten Abend habe ich beim Einschlafen über mein früheres Spieleverhalten nachgedacht. Ich glaube ich war damals ein gutes Beispiel dafür, wie der Spaß an spielen immer mehr zu einer Sucht werden kann. Deshalb werde ich in diesem Artikel versuchen zu beschreiben, was bei mir die Auslöser waren und warum ich denke, dass es bei mir überhaupt so weit kommen konnte.


Dies ist die deutsche Version zu meinem Artikel "Grade hike - When fun becomes an addiction". Wenn du diesen Artikel also lieber auf englisch lesen möchtest, folge dem Link.


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Die Anfänge

Gespielt habe ich schon immer gerne. Gerade Videospiele haben es mir angetan seitdem ich mit 5 das erste Mal auf dem Atari spielte. Natürlich war damals noch alles in Ordnung. Ich war viel draußen mit Freunden am Spielen, meine gesamte Kindheit über. Jedoch merkte man schon hier, dass über die Jahre die Bedeutung und auch die investierte Zeit doch stetig zunahm. Es ist wie bei vielen anderen Dingen, die harmlos beginnen und sich schleichend zu einem Problem entwickeln.
Die Affinität zu Videospielen war vorhanden und ich denke es brauchte dann nur noch den einen richtigen Spielehit um die latente Suchtgefahr zu einer manifesten zu wandeln. Ich denke der eine oder andere weiß bestimmt auch schon von welchem Spiel gleich die Rede sein wird.


World of Warcraft


Source

Ich war nicht von Beginn an dabei und bin erst 6 Monate vor der Veröffentlichung von „The Burning Crusade“ eingestiegen. Damals muss ich circa 15 Jahre alt gewesen sein. Spielen wollte ich es schon eher, aber da sich meine Eltern lange Zeit weigerten von Volumentarifen auf Flatrate umzustellen, hatte ich erst sehr spät einen eigenen Internetanschluss. Bisher hatte ich keine Erfahrungen mit Onlinespielen gesammelt. Multiplayerkontakte fanden für mich im Wesentlichen auf Lan Partys statt.
Schon nach wenigen Spielstunden war ich komplett begeistert. Ich denke, jeder der einmal ein MMORPG intensiv gespielt hat, erinnert sich bestimmt gerne an sein aller erstes MMO, wenn man als totaler Anfänger eine vollkommen neue Welt erkunden kann, erste Kontakte knüpft und die dümmsten Fragen an seine Mitspieler stellt. Diese Erfahrung kann man wohl nur einmal in seinem Leben haben und es hat mich absolut fasziniert. Natürlich habe ich am Anfang sehr viel gespielt, häufig sogar 6-8 Stunden, wenn ich die Zeit dafür hatte, jedoch habe ich zu dieser Zeit auch noch nichts vernachlässigt - Freunde und Erledigungen hatten einfach Vorrang. Sicherlich hatte ich schon zu dieser Zeit ein Spieleverhalten, den manche schon als Sucht oder als zu extremen Konsum bezeichnen würden. Subjektiv betrachtet empfinde ich es jedoch selbst heute nicht als problematisch. Wo andere abends vor dem Fernseher saßen, habe ich eben Videospiele gespielt.
Nach den anfänglichen Hochzeiten stellte sich nun erst einmal für mehrere Jahre ein kontinuierlicher, aber gemäßigter Spielekonsum ein, der sich meist auf die Abende beschränkte.


Doch wenn du zu viel Zeit hast……

Ich glaube problematisch wurde es, als ich mein Abitur absolviert hatte und 6 Monate Zeit vergingen bis mein Zivildienst begann. Der Kontakt mit den Mitschülern und Freunden wurde aufgrund der fehlenden Schule sowieso weniger und World of Warcraft nahm immer mehr Zeit in meinem Leben ein. Wahrscheinlich habe ich damals versucht, in dem Spiel die Leere und fehlenden Kontakte durch die plötzlich wegfallende Schule zu kompensieren. Ich suchte mir eine Progress Gilde und begann extrem viel zu raiden.

Raiden: Spielerjargon für ein Gruppenzusammenspiel (heute 10-25 Leute) gegen einen geskripteten Boss.

Zunehmend versteifte ich mich in dieses Spiel, teilweise 12-14 Stunden am Tag, selbst gegessen habe ich am Computer. Die Gilde wurde immer mehr der einzige soziale Kontakt, das Spiel meine einzige Motivation aufzustehen. Das Hinterhältige an solchen Süchten ist, dass man sich häufig darüber überhaupt nicht im Klaren ist. Man redet sich die ganze Zeit ein: „Man spielt ja nur so viel, weil man auf alles andere gerade keine Lust hat und ich habe ja gerade auch nichts anderes zu tun.“ Es macht Spaß und man nimmt keine illegalen Substanzen oder Alkohol zu sich. Entsprechend denkt man selbst auch kein Problem zu haben.


Erkenne, dass du ein Problem hast

Immer häufiger habe ich auch an Wochenenden meine Freunde vertröstet oder habe mir Ausreden einfallen lassen um weiter spielen zu können. So ein Verhalten kannte ich bis dahin von mir eigentlich nicht so wirklich, habe mir aber weiterhin nichts dabei gedacht. Nach circa eineinhalb Jahren kam dann letztlich mein bester Freund auf mich zu und stellte mich zur Rede - wie sehr ich mich verändert habe, dass ich weder Zeit noch Lust habe mich zu treffen und vieles mehr. Natürlich haben meine Freunde auch schon vorher Anmerkungen gemacht, dass ich zu viel Spiele, nur habe ich es da noch nicht ernst genommen. Dieses Gespräch war halt anders. Es war einfach ein völlig ungeschöntes ehrliches Gespräch, was mir mein Problem vor Augen führte.
Ich glaube es bedurfte dieser klaren Worte und auch die Erkenntnis, dass meine Freunde sich um mich sorgen und mich vermissen, um mich endlich wachzurütteln. Von diesem Tag an schwor ich mir, dass niemals wieder ein Spiel vor meinen Freunden und dem echten Leben stehen darf.
Nach dem Gespräch habe ich mich relativ zeitnah von meiner Gilde verabschiedet und erst mal eine längere Auszeit von World of Warcraft genommen. Seitdem habe ich immer mal wieder auch in World of Warcraft und andere MMORPG hineingeschnuppert, aber immer kontrolliert, niemals mehr so viel und immer mit der wichtigsten Regel: Das echte Leben und Freunde gehen vor.


Selbstreflektion

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War ich ein extremer Fall?
Von der Anzahl an Stunden die ich in diesem Spiel verbracht habe mit Sicherheit. Nur fiel es mir ehrlich gesagt viel zu einfach aufzuhören nachdem mir mein Problem bewusst war. Da gibt es sicherlich Menschen, denen das schwerer fällt. Gerade wenn sie nicht so gute Freunde wie ich haben, die einen so ausdauernd und ehrlich ins Gewissen reden. Wenn man bedenkt, dass ich meine Freunde so lange vernachlässigt habe, ein großartiger Vertrauensbeweis.

Warum habe ich es so weit kommen lassen?
In seinen Anfängen war es sicherlich der große Spaß. Ich denke bei MMORPGs spielt auch die soziale Komponente hinein. Man lernt sich kennen und ist immer unter gleichgesinnten. Wenn man auf jemanden keine Lust hat loggt man sich aus und hat seine Ruhe. Ein weiterer Grund ist mit Sicherheit auch dieses Prestige Gefühl gewesen, wenn man als erste Gilde auf dem Server einen Boss besiegt oder in dem weltweiten Gildenvergleich immer weiter aufsteigt. Das Ganze gibt einem ambitionierten Spieler schon eine enorme Motivation.
Ein Stück weit ist es mit Sicherheit auch der Spielmechanik geschuldet. Es gibt immer etwas zu tun und man schnell zum großen Helden aufsteigen. Das Spiel stellt jedoch nur die Rahmenbedingungen, ob daraus letztlich eine Sucht entsteht, hängt vom Spieler selbst ab.

Bereue ich alles?
Zu dieser Frage stehe rückblickend sehr ambivalent. Einerseits bereue ich es natürlich so lange meine Freunde aufgrund eines Spieles vernachlässigt zu haben, andererseits habe ich auch großartige Erinnerungen an die Zeit. Ich habe zwar meine ganze Freizeit in dieses Spiel gesteckt, was ich aus heutiger Perspektive ebenfalls sehr kritisch sehe, aber habe auch einige sehr gute Freunde in diesem Spiel kennengelernt, mit denen ich heute noch Kontakt habe, auch ohne World of Warcraft.


Meine Konsequenzen

Durch den Einsatz meiner Freunde wurde ich mir meiner Spielesucht bewusst und war dadurch in der Lage diese zu überwinden. Diese Erfahrungen haben mich kritischer gemacht. Heute überprüfe ich genauer, wofür ich Zeit investiere und ob nicht dabei etwas anderes Wichtiges auf der Strecke bleibt.

Meine Begeisterung für Videospiele ist weiterhin ungebrochen und ich meide sie auch keinesfalls. Nur meine Selbstbeobachtung ist intensiver geworden und ich achte darauf nicht mehr so exzessiv zu spielen. Lediglich wenn ich ein Einzelspielertitel durchspiele kommt es zu kurzen hochzeiten. In MMORPGs habe ich mir ein striktes Hardcore Raiding verbot auferlegt, damit ich nie wieder in so eine Situation komme.


Meine Botschaft

Ich denke das meine Geschichte und Erfahrungen gezeigt haben, dass man schneller in ein Suchtverhalten fallen kann, als einem Lieb ist. Die Übergänge sind fließend und man ist sich dessen eher selten bewusst. Ob ich nun richtig süchtig war, kann ich nicht beurteilen, was ich mit Sicherheit sagen kann, dass es sehr gefährliche Tendenzen angenommen hat. Der eine oder andere, der das hier liest und selbst exzessiv World of Warcraft oder ein anderes MMORPG gespielt hat, wird sich in gewissen Punkten bestimmt auch wiedererkennen.

Videospiele sind ein großartiges und erhaltenswertes Medium, aber wie schon damals der Schweizer Arzt Paracelsus sagte:

“Alle Dinge sind ein Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei“

Lernt aus meinen Fehlern und lasst es nicht so weit kommen. Seid kritisch eurem Verhalten gegenüber und hinterfragt euch. Ihr habt nur dieses eine Leben, Spiele sind großartig, aber vergesst nicht, dass es auch außerhalb eures Monitors eine bezaubernde Welt gibt.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen in eurem Leben gemacht oder seid vielleicht gerade in einer ähnlichen Situation? Schreibt doch eure Gedanken in den Kommentaren, vielleicht kann ich euch helfen.


Ungekennzeichnete Bilder Stammen von Pexels.com



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