Zeitgedanken provoziert mal wieder! Recht ohne Staat ist schon lang überfällig

in #deutsch4 years ago

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Aus gegebenen Anlass und vieler heftiger und unversönlicher Diskussionen in allen Bereichen gesellschaftlicher Kommunikation, erscheint es mir als notwendig den ganzen „Staatsgläubigen“ meinen persönlichen Standpunkt klar zu machen.

Die obersten Bediensteten der „Bundesrepublik Deutschland“ als aggressive First Gang (oder Verbrecherbande) zu entlarven und ihr das Handwerk zu legen, ist das eine, damit aber gleichzeitig den Gesetzgeber zu verlieren, das andere. Wer gibt denn die Gesetze, wenn nicht der staatliche Gesetzgeber? ist man vielleicht spontan geneigt zu fragen. Und wer sorgt denn für die korrekte Anwendung und Durchsetzung der Gesetze?

Bei dieser Frage kommt mir jeweils der stolze Hahn Chantecler aus der Tierfabel von Edmond Rostand aus dem Jahr 1910 in den Sinn: Immer wenn Chantecler gegen Ende der Nacht seine Stimme erhebt, geht die Sonne auf, und das nicht aus Zufall, sondern weil Chantecler es so will und ihm die Sonne gehorcht. Die Hühner schauen ergriffen zu und zollen Chantecler Ehrfurcht und Dankbarkeit. – Und so kommt mir der Einwand, ohne Staat gäbe es ja keine Gesetze, wie ein aufgeregtes Gegacker des Hühnerhofes vor, der sich für seinen Hahn einsetzt, ohne den es doch immer und rund um die Uhr so dunkel und kalt wäre in der Welt.
Dabei erscheint die Sonne jeden Morgen auch ohne den wichtigen Chantecler; und Gesetzmässigkeiten unseres Verhaltens gibt es auch ohne den staatlichen Gesetzgebungsgockel, der sich bemüssigt fühlt, solche zu erlassen.

# Recht als Naturphänomen
Die Welt ist nicht einfach da, die Welt geschieht, sie läuft ab. Oder mit Heraklit, dem frühen griechischen Weltbetrachter: Alles fliesst (griechisch panta rhei,􏰊􏰋􏰌).
Zumindest seit dem Urknall – um nun mal von dieser Theorie auszugehen – scheint das in der Tat der Fall zu sein. Seit damals ist die Welt aus Materie, Raum und Zeit im Fluss, sie dehnt sich aus, sie brennt und sprüht, lässt kleinste Grundelemente zu grösseren sich verklumpen, lässt neben schwarzen Löchern Galaxien aus Millionen von Einzelkörpern entstehen, lässt auf solchen wiederum chemische Verbindungen, Moleküle, Mikroben und Zellen sich zusammenfügen, ja ganze ihrerseits zusammengehörige biologische Organismen wie Algen oder Pflanzen sich herausbilden; dann sogar solche, die derart sophisticated sind, dass sie losgelöst vom Nährboden autonom umherschwimmen oder –kriechen können, zumindest so lange, bis sie Junge der eigenen Spezies hervorgebracht haben, was wiederum nur bei jenen gelingt, bei denen sich Überlebenstechniken entwickeln, die sie stärker, schneller oder raffinierter machen als die Gefahren, denen sie begegnen.
Und all dies läuft nach Gesetzen ab. Mit dem Big Bang sind nicht nur Materie, Raum und Zeit in diese Welt getreten, sondern auch das Meta-Phänomen des Gesetzmässigkeitsprinzips. Der Big Bang selbst wird zwar nach vorherrschender Theorie als eine nicht mehr weiter herleitbare Singularität verstanden, die aus ihm entstandene und weiterhin entstehende Welt jedoch als seine naturgesetzliche Folge. Wenn etwas geschieht in dieser Welt, so geschieht es nicht aus Zufall, sondern als Anwendungsfall einer Regel. Wenn wir etwas nicht erklären können, fehlt es nicht an seinem Grund, sondern an unserer Fähigkeit, ihn zu erkennen.

# Die andere „Rule of Law“
Nicht zufällig nennt die Naturwissenschaft dieses Prinzip „Rule of Law“ (Stephen Hawking), verwendet also die gleiche Terminologie wie der Staat, wenn er seine „Rechtsstaatlichkeit“ hervorheben will. Hier wie dort geht es um die Aussage, dass nicht subjektive Willkür, sondern objektive Regelhaftigkeit wegleitend sind; dort als positivistische Erklärung für das Funktionieren der Welt, hier als normative Vorgabe an die Adresse der Politik.
Ebenfalls nicht zufällig lassen sich die beiden Anliegen auch historisch miteinander in Verbindung bringen: Die gleiche Aufklärung, die die erwähnte Losung „Lex – Rex“ artikulierte, verstand diese nicht nur als politisches Postulat, sondern auch als wissenschaftliche Erkenntnis; und wenn sich daraus eine Beschränkung königlicher Privilegien ergab, so nicht nur weil dies politisch gerecht, sondern auch soziologisch zutreffend war. Schon bald erwuchs daraus das Forschungsgebiet des sogenannten - Naturrechts - , das auch in aufklärerischen Gesetzbüchern seinen Niederschlag fand.
Eine wissenschaftlich hervorragende Weiterentwicklung war dann die historische Rechtsschule des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Während das frühere Naturrecht sich noch für weitgehend statisch verstandene Gesetzmässigkeiten interessiert hatte, brachte die historische Rechtsschule das dynamische Element geschichtlicher Entwicklung mit ein – panta rhei liess grüssen. Das erklärte nicht nur historische und kulturelle Unterschiede von Rechtsordnungen, sondern öffnete ganz generell den Blick auf die Wechselwirkung von Geschichte und Recht, von Sein und Sollen. Recht war nun nicht mehr etwas Absolutes, von aussen auf die Welt Einwirkendes, sondern Teil dieser Welt selbst. Ein wirkungsstarkes, in jeder Windung des sozialen Systems anzutreffendes Steuerungs- und Korrekturphänomen. Ein hochkomplexes System, das man mit Vorteil nicht durchkreuzt, sondern höchstens mit wissenschaftlicher Sorgfalt unterstützt.
Diese Haltung änderte sich leider, als die im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalstaaten in ihrem bornierten Streben nach Macht nicht nur die militärische und politische, sondern auch die gesetzgeberische Oberhoheit an sich rissen. Zum Prestige der nationalen Zentralmacht gehörte nun neben der Kriegsflotte und dem Prunkpalast auch der nationale Gesetzeskodex. Dessen Inhalt mochte zunächst noch von der Wissenschaftlichkeit der historischen Rechtsschule zehren, doch die Rechtskraft sollte er inskünftig vom Staat erhalten. Hierfür entscheidend war nicht mehr, was im Gesetz stand, sondern wer es erliess, nämlich die zentralstaatlichen Gremien der konstitutionellen Monarchie, der präsidialen Republik, des demokratischen Sozialstaats oder wie sich all diese First Gang Strukturen nannten und nennen.

# Eine klaffende Forschungslücke
Von da an war die wissenschaftliche Frage nach dem Inhalt von Recht nicht mehr das Thema. Was immer einem Fürsten oder einer Parlamentsmehrheit oder sonst einem staatlichen Gremium gerade in den Kram passt, liess sich nun in verbindliche „Gesetze“ giessen. Das kann dann etwa die Einrichtung eines Sozialstaats à la Bismarck sein, oder der Aufbau von Kriegsmaschinerien inklusive allgemeiner Wehrpflicht, oder die offizielle Diskriminierung von Rassen bis hin zu ihrer physischen Vernichtung, oder die Besteuerung zur Finanzierung all dieser Projekte, oder die Pflicht zur Verwendung wertloser Zahlungsmittel aus Schuldtiteln, und nicht zuletzt all das, was wir schon bei unserer First Gang mit klarem Blick unter einer gewissen Redensart „Wasser predigen und Wein trinken“ antreffen dürfen. All diese obrigkeitliche Willkür kommt nun als „rechtskräftiges Gesetz“ daher.
Und wenn wir angesichts dessen nun fragen, was denn nun wirklich Recht oder Un-Recht ausmacht, und uns die Antwort gar nicht so leicht fällt, dann sicher auch deshalb, weil hier eine grosse Forschungslücke klafft. Seit der Nationalstaat das Recht mit schwülstiger Unterstützung seines Hofphilosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel der Wissenschaft aus der Hand genommen und dem Staat überantwortet hat, ist es rapide verkümmert. „Recht“ hat sich darauf spezialisiert, Begrifflichkeiten losgelöst von Inhalten zu pflegen, Erlasstexte minutiös zu verfeinern, in unkontrollierbare Wucherungen ausarten zu lassen und den bürokratischen Apparat zur lückenlosen Durchsetzung all dieses „Rechts“ in eine alles durchdringende Krake auswuchern zu lassen.

Zwar gab und gibt es immer wieder auch wissenschaftlich fundierte Widerstände gegen die unheilvolle etatistische Rechtsvereinnahmung, wenn auch bislang ohne nennenswerte Resonanz:

  • Schon um die Wende zum 20. Jahrhundert forderte Eugen Ehrlich den rechts- soziologischen Blick auf die Tatsachen des Rechts statt auf die staatlichen Ge- setze. Ähnlich grundsätzlich setzten später systemtheoretische Ansätze etwa von Niklas Luhmann an.
  • Auch kam schon bald mit Philipp Hecks eine „Interessenjurisprudenz“ auf, die sich als Alternative zur inhaltslosen Begriffsjurisprudenz empfahl; oder mit Hermann Kantorowicz eine „Freirechtsschule“ mit der Forderung, der Richter möge Recht sprechen und nicht Befehle des staatlichen Gesetzgebers ausführen. Später zeigten methodologische Theorien etwa von Josef Esser, dass der im „hermeneutischen Zirkel“ gefangene Richter dies ohnehin nicht tut.
  • Aus neuerer Zeit zu erwähnen sind sehr grundsätzlich ansetzende neurologische und kognitionswissenschaftliche Hinterfragungen. Da werden so angesehene Grössen wie der freie Wille, die eigene Entscheidung, politische Postulate oder auch rechtliche Prozesse geradezu dramatisch relativiert. Im Wesentlichen dahin, dass sie nicht autonom gesteuert werden, sondern faktisch ablaufen. Subjektivität kommt als Steuerungshilfe zwar vor, doch als autonome Instanz mit der Befähigung zu Willkür, sondern als kontextabhängige Reaktionssteuerung.
    Und trotzdem tut der Mainstream des heutigen Rechtsdenkens so, wie wenn es darum ginge, die Welt von aussen zu betrachten, Fehlfunktionen festzustellen und diese dann zu reparieren. Dazu passt dann auch der Werkzeugkasten mit staatlichen Gesetzen, bürokratischen Strukturen und gewaltsamer Durchsetzung durch eine Reparaturfirma mit Monopol und unkündbarem Auftrag. Wie arrogant sie sich aufführt, haben wir bereits gesehen. Doch abgesehen davon zeigt sich nun zusätzlich, dass ihr Auftrag völlig unnötig ist. Nicht weil es in unserer Gesellschaft nichts zu reparieren gäbe, aber weil der Werkzeugkasten schon da, fest eingebaut in das Ordnungsgefüge der Gesellschaft – Recht, das keiner Obrigkeit bedarf, das Recht der Anarchie.

# Das Recht der Anarchie
Wenn – wie wir gesehen haben – alles fliesst in dieser Welt von Raum, Zeit, Materie und Gesetzmässigkeit, so geht dies nicht reibungslos vonstatten. Da ist eine riesige Abfolge von gegenseitigem Reiben, Drängen, Schieben, Kollidieren, Zusammen- und Zurückprallen, Zerstören und Neubilden, von Actio und Reactio (wie die Physiker sagen), von organischen und anorganischen Reaktionen (wie die Chemiker sagen), von Rückkoppelungseffekten (wie die Systembiologen und Soziologen sagen), von Kämpfen, Siegen und Niederlagen (wie die Historiker sagen), von Unvereinbarkeit und Knappheit (wie die Ökonomen sagen) oder von Konflikten mit ihren Lösungen (wie die Verhaltensforscher und Juristen sagen). Und wenn uns wiederum Heraklit in den Sinn kommt mit einem anderen berühmten Satz von ihm

„Der Krieg ist aller Dinge Vater und König, und so macht er die einen zu Göttern und die anderen zu Menschen, oder die einen zu Sklaven und die anderen zu Freien.“

so lässt sich dies nicht nur als historisch-anthropologische Feststellung, sondern auch als Anwendungsfall eines allgemeinen Naturphänomens verstehen, als Gesetzmässigkeit, die auch andere Tiere und sonstige biologische Organismen, Moleküle und Atome, Quarks und all die vielen Dinge dieser Welt tangiert. Wer mehr von der Welt verstehen will, kommt nicht darum herum, sich mit den Gesetzmässigkeiten solcher Kollisionen vertraut zu machen. Entsprechend befassen sich nicht selten Physiker, Chemiker und Biologen mit ähnlichen Forschungsfragen wie Historiker, Anthropologen, Soziologen, Ökonomen oder Verhaltensforscher.
Allein, die Juristenzunft, obwohl sie mit Kollisionen und Konflikten tagaus tagein befasst ist, tut sich schwer mit diesem Forschungsgegenstand. Vor lauter emsigem Bestreben, der Welt die Wohltat von Regeln zu verschaffen, übersieht sie, dass die Welt lauter Regelhaftigkeit ist. Wie viel ergiebiger wäre es, das faszinierende Phänomen natürlicher Regelhaftigkeiten zu erforschen, als Chantecler zu spielen und so zu tun, wie wenn man selbst die Sonne scheinen liesse.
Dabei ist derart offensichtlich, dass Konflikte nicht deshalb gelöst werden, weil je- mand ein Gesetz dafür erlässt, sondern weil sie ihre Lösung in sich tragen:

􏰍Hast Du schon einmal erlebt, was abläuft, wenn ein Übergriff geschieht, zum Beispiel jemand einen anderen niederschlägt? Da bleiben ausnahmslos alle Zeugen des Geschehens stehen und schauen wie gebannt dahin. Viele reagieren sehr spezifisch, sei es dass sie zu Hilfe eilen, den Täter zu stellen versuchen oder mit lautem Schrei ihr Entsetzen, Mitgefühl oder Missfallen zum Ausdruck bringen – und all dies, noch bevor sie bewusst zu denken beginnen. Hinterher, bei kühlerem Kopf, sind sie über ihr eigenes Verhalten erstaunt und berichten von einem spontanen und äusserst starken Drang, sich für das wehrlose Opfer einzusetzen.

  • Oder, hast Du schon bei anderen Ungehörigkeiten, Übergriffen, Ungerechtigkeiten darauf geachtet, wie Du selbst reagierst, wie in Dir Mitgefühl, Empörung, Entsetzen hochkommt? Bei schlimmeren Vorkommnissen stärker, bei weniger dramatischen schwächer. Habt Ihr schon versucht zu ergründen, aus welchem Stoff diese Gefühlsveränderungen und Handlungsbedürfnisse sind? Wenn ein Kind vor Deinen Augen ins Wasser fällt und um Hilfe schreit – um ein beliebtes Beispiel der angewandten Ethik zu nehmen –, dann holst Du es nicht deshalb heraus, weil Du dich mit freiem Willen dazu entscheidest, auch nicht weil ein staatliches Gesetz oder ethische Regeln eine Pflicht dazu artikulieren, sondern weil Du gar nicht anders kannst.
  • Oder, hast Du schon verfolgt, wie nach schockierenden Verbrechen empörte öffentliche Diskussionen einsetzen, die schärfere Strafen und griffigere Verfahren fordern. Und wenn sich dies dann in strengeren Gesetzestexten etwa des Strafgesetzbuchs oder der Strafprozessordnung niederschlägt, so sind diese ganz offensichtlich nicht Auslöser, sondern Folge einer entsprechenden Reaktion der Gesellschaft. Ein Verbrechen ist nicht deshalb verboten, weil es im Gesetz steht, sondern es steht im Gesetz, weil es verboten ist. Die Verfolgung und Bestrafung des Täters geschieht nicht, weil es in der Prozessordnung steht, sondern es steht in der Prozessordnung, weil dies natürlicher Reaktion entspricht.
  • Oder, hast Du schon Verständnis dafür empfunden, wenn Opfer von Verbrechen zur Selbsthilfe greifen, weil der staatsmonopolistische Exklusivverfolger nichts tut; oder den Kopf darüber geschüttelt, wenn der gleiche Exklusivverfolger viel zu verbissen dreinfährt und eine Lappalie zum Kapitalverbrechen hochstilisiert. Dann war dies deshalb, weil das Fine Tuning der natürlicher Reaktion durch ihre künstliche Monopolisierung gestört war; und dies nicht nur zwischen Opfer und Täter, sondern auch gegenüber den Zeugen des Geschehens und weiteren Kreisen der Gesellschaft, zum Beispiel gegenüber Dir als Zeitungsleser.
    Was in solchen Konfliktsituationen abläuft und als weitere Reaktionen hierauf wiederum abläuft, sind natürliche Verhaltensgesetzmässigkeiten. Es sind Regeln, die nicht deshalb gelten, weil sie von einer wohlmeinenden Obrigkeit zur Verbesserung unserer schlechten Welt in Kraft gesetzt werden, sondern weil sie da sind und natürliche Kraft besitzen. Dieses Recht baucht nicht den gockelhaften Fürsten, erst recht nicht die räuberische First Gang. Es ist das Recht ohne Arche – das Recht der Anarchie.

# Natürliche Gesetzmässigkeiten
Seine Regeln laufen zwar nicht so klar und messbar ab wie physikalische oder chemische Experimente. Doch hat dies seinen Grund nicht darin, dass es keine natürlichen Gesetzmässigkeiten wären, sondern dass die Veranstaltung nicht im Labor stattfindet. Die Regelhaftigkeit der Reaktionsmuster ist trotzdem erkennbar. Was ein Übergriff an Verhaltensweisen auslöst, beim unmittelbaren Opfer, bei zufälligen Zeugen des Geschehens und in weiteren Kreisen der Gesellschaft, entspricht der Erwartung und erinnert nicht selten an analoge Reaktionen in vergleichbaren Fällen.
Wie komplex auch immer die Übungsanlagen von Konflikten sind, zumindest eine Gesetzmässigkeit ist offensichtlich: dass eine Aktion, die zur Kollision mit etwas anderem führt, Reaktionen auslöst, dass Konflikte gegenseitig ablaufen, dass der Actio jeweils eine Reactio entspricht – das Newton’sche Gegen- oder Wechselwirkungsprinzip.
Zudem lässt sich dieses seinerseits in ein noch grundsätzlicheres Prinzip einordnen: nämlich dass nichts aus sich selbst, sondern stets nur in Relation zu etwas anderem überhaupt relevant wird; und sei es nur, dass sich jemand dafür interessiert – das Einstein’sche Relativitätsprinzip.
Und so lassen sich auch in menschlichen Rechtsordnungen Grundprinzipien feststellen, die nichts anderes als Anwendungsfälle von Wechselwirkung und Relativität sind:

  • Archaische Urformen von Recht zeigen das reaktive Element deutlich, wenn man an das Talionsgesetz von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ denkt, oder an die prominent von Rudolf von Jhering vertretene Theorie, wonach Recht aus Rache entsteht. Das mag nicht auf der Linie heutiger Mainstream-Juristen liegen, zutreffend ist es trotzdem.
  • Auch das bereits erwähnte Rechtssprichwort „Unrecht soll umkehren“ bringt die reaktive Rolle von Recht zum Ausdruck. Und damit auch ein grundsätzlich negatives Element: Recht bringt nichts Positives, sondern entfernt etwas Negatives. Es korrigiert einen unrichtigen Ablauf.
    Rechtshistorisch entsprechen dem die klassischen liberalen Freiheitsrechte, die sich in der Neuzeit als Reaktion auf die institutionalisierten Übergriffe des Ancien Régime zu artikulieren begannen und negativ definiert waren. Sie verlangten nicht positive Leistungen seitens der Obrigkeit, sondern bloss negativ, die Leute nicht zu behelligen, sie in Ruhe zu lassen mit ihrem Leib und Leben, ihrem Eigentum und ihrer eigenen Suche nach Glück; also das, was wir nun mit unserer in Vorbereitung einer Sammelanklage an die First Gang und ihren Sympathisanten verlangen.

Die lateinische Parömie „Neminem laedere“ (niemanden verletzen) oder das Nichtangriffsprinzip, beide negativ formuliert, artikulieren die gleiche natürliche Reaktion auf unzulässige Übergriffe.

  • „Casum sentit dominus“ besagt ein anderes altes Rechtssprichwort (den Schadensfall verspürt der Herr). Das heisst nicht einfach, dass der jeweilige Eigentümer einer Sache das Risiko der Beschädigung trägt, sondern auch und vor allem, dass die Rolle des Rechtssubjekts erst aus der Kollision heraus entsteht. So lässt sich systembiologisch, neurologisch wie auch evolutionswissenschaftlich feststellen, dass Subjektivität erst durch Schmerz- und andere Signaltechniken produziert wird, um dann gleichsam das Fine Tuning der Reaktion zu übernehmen.
    Je nach Kontext gesellschaftlicher Kommunikation entwickeln sich daraus so starke Positionen wie das „Rechtssubjekt“ oder das „Eigentum“, die selbst dann bedeutsam sind, wenn (noch) kein Konflikt Anlass gibt, sie zu artikulieren.
  • Dies wiederum eröffnet Möglichkeiten, Subjektivität statt bloss reaktiv nun auch antizipativ einzusetzen und etwa vertraglich im Voraus auf Abwehrreaktionen zu verzichten; beispielsweise im Rahmen eines willentlichen Verkaufs von Sacheigentum oder eines willentlichen Fremdeinsatzes der eigenen Arbeitskraft. Einem solchermassen Wollenden geschieht kein Unrecht, wenn in der Folge der Käufer beziehungsweise der Arbeitgeber das Versprochene einfordert. Oder wiederum klassisch lateinisch: „Volenti non fit iniuria“ (dem Wollenden geschieht kein Unrecht). Beziehungsweise „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten).
  • Aus der Wechselseitigkeit der Kollision und ihrer beidseits hervorgerufenen Subjektivität erklärt sich auch, was man die Kultur des Rechtsstreits nennen könnte, nämlich dass die Parteien nicht nur die Kollision erleiden, sondern sie auch gegenseitig artikulieren. Daraus entstehen typischerweise Argumentarien des gegenseitigen Bezugnehmens und Behaftens, wie etwa „Wie du mir, so ich dir“ oder „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ oder mit Kant „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Ein Drang nach Rechtsgleichheit aus natürlicher Spontanreaktion, das Kantische Weltgesetz als Naturprodukt.

􏰍Auch nuancierte Feinheiten der rechtlichen Auseinandersetzung lassen sich aus der Gegenseitigkeit von Actio und Reactio herleiten. So findet der Umstand, dass Rücksichtnahme auf eine Gegenseite ihrerseits eine Beeinträchtigung des Rück- sichtnehmenden bedeutet, Niederschlag in Abstufungen von Rechtsfolgen nach dem Grad des Verschuldens: Nur wenn die Last der Vorsichtsmassnahmen geringer ist als der zu vermeidende Schaden unter Berücksichtigung seiner Wahrscheinlichkeit, liegt eine vorwerfbare Pflichtverletzung mit Schadenersatzfolge vor; so etwa die im US-amerikanischen Common Law bedeutsame, nach einem Bundesrichter genannten „Learned Hand Formula“.
Auch die bei uns so oft verrufene Rechtstradition der islamischen Scharia kennt solch fein abgestufte Wertungen gegenseitiger Rechte und Pflichten, etwa mit der Einteilung in die fünf Rechtskategorien von pflichtigen, empfohlenen, neutralen, unerwünschten bis hin zu verbotenen zwischenmenschlichen Aktionen und Reaktionen.

# Natürliche Verfahren
Das Wechselspiel zwischen physischer Kollision und wahrnehmendem Subjekt be- trifft, wie gezeigt, nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern sehr stark auch andere Mitglieder der Gesellschaft. Den Schmerz der Kollision erleiden nicht nur die Kollidierenden, sondern auch die es mitansehen müssen oder davon in der Zeitung lesen. Die geschilderten Reaktionen etwa von Zeugen eines tätlichen Übergriffs, die dem Opfer zu Hilfe eilen, sich über den Täter empören oder ihm nachstellen, zeigen diese Em-Pathie anschaulich. Die auf die Actio folgende Reactio ist nicht nur eine solche der individuellen Partei, sondern auch der Gesellschaft, die sich von Natur aus des Konflikts annimmt.
Also braucht es auch keine Obrigkeit, die dafür sorgt, dass eine Konfliktlösung in Gang kommt. Und gleich wie das materielle Recht aus den Erfahrungen vieler Einzelfälle entsteht und sich weiterentwickelt, so geschieht dies auch mit Verfahrensordnungen. Auch sie entwickeln sich, „zivilisieren“ sich etwa weg von ungestümer Lynchjustiz zu kontrollierten professionellen Abläufen und nicht zuletzt auch zu bewährten Instanzen, die nicht erst aus dem Konflikt heraus entstehen, sondern „auf Pikett“ bereitstehen für den Notfall.
Auch bewährte Grundregeln solcher Abläufe und Instanzen ergeben sich ganz natürlich. So entspricht das Verfahrensprinzip „audiatur et altera pars“ (auch die andere Partei ist zu anhören) dem Phänomen, dass im typischerweise emotionalen Kontext eines Rechtsstreits alle irgendwie Involvierten zu Wort kommen wollen. Ein Verfahren, das dies ignoriert, wird nicht erfolgreich sein.

Die wohl zentralste Verfahrensregel ist diejenige der Neutralität der Konfliktlösungsinstanz. Und auch sie ist nicht so sehr als Vorschrift für ein Verfahren zu verstehen, sondern als natürliches Phänomen bewährter Verfahrensabläufen: Die spontane Involvierung von Tatzeugen, herbeigerufenen Sekundanten oder sonstwie aufmerksam gewordenen Dritten gibt diesen nicht von vornherein eine konfliktlösende Rolle; nicht selten werden sie parteiische Mitläufer einer Seite sein, die den Konflikt vielleicht sogar eskalieren lassen. Eine deeskalierende Rolle kann jedoch solchen Dritten zukommen, welche die im Konflikt zutage tretenden gegenseitigen Beeinträchtigungen nicht aus der Sicht einer Partei betrachten und damit eher in der Lage sind, die Zuordnungen vornehmen, die sich aus den erwähnten Relativitäts- und Wechselwirkungsprinzipien ergeben.

# Anwendung auf die First Gang
Und so ist es nichts als eine natürliche Reaktion, wenn die geschilderten Übergriffe unserer First Gang zu Reaktionen führen, wie sie bei Übergriffen halt stattfinden. Zu oft, ja mit zunehmend hemmungsloser Systematik, verletzt sie natürliches Recht:

  • Die Nichtangriffsregel „neminem laedere“ mit ihren zwangsweise durchgesetzten Steuern, Militärdienstpflichten (derzeit ausgesetzt) sowie gesundheits-, sozial-, berufs-, gewerbe-, arbeits-, wohnungs-, umwelt-, sicherheits- oder was auch immer -politischen Regulierungen;
  • die Gleichheitsregel „was du nicht willst, dass man dir tu ...“, indem sie all diese Eingriffe nur sich selbst erlaubt, allen anderen aber verbietet, und sich nicht scheut, dies mit einem eigenen Gewaltmonopol bei allgemeinem Gewaltverbot auf die Spitze zu treiben;
  • die oberste Verfahrensregel, nämlich die Unabhängigkeit der Konfliktlösungsinstanz, indem sie sich selbst zum Richter über sämtliche Streitfälle aufwirft, sogar diejenigen, bei denen sie selbst mit anderen im Clinch steht;
  • die Zustimmungsregel „volenti non fit iniuria“ und „pacta sunt servanda“, indem sie deren Einhaltung durch angebliche demokratische Zustimmung und einen angeblichen Contrat social auch von denjenigen verlangt, die der Rechtsordnung der First Gang nie zugestimmt haben; und lässt damit jene Subjektivtäten entstehen, die sich am Schmerz des erlittenen Unrechts aufrichten und sich zur Gegenwehr zusammentun. Es entsteht und artikuliert sich Empörung seitens von direkt oder indirekt Betroffenen, ein von immer mehr Gesellschaftsmitgliedern empfundener Drang, etwas zur Abwehr, Zurückweisung und letztendlich Eliminierung all dieser Übergriffe zu unternehmen.

Und es werden – auch dies als völlig natürliche Reaktion – Ideen und Initiativen zu organisierten Verfahren entstehen. Es werden Vorschläge gemacht, wie man möglichst konkret vorgehen könnte, wer an wen welche Begehren stellen müsste und wie dann je nach Reaktion weiter zu verfahren sei. Wie man beispielsweise so etwas wie eine Sammelklage aller Opfer der First Gang aufziehen könnte.

Denn es scheint genug zu sein, sich permanentem Übergriff ausgesetzt zu wissen. Sich täglich berauben zu lassen. Sich als unmündig deklarieren zu lassen. Sich als Schlachtvieh demokratischer Massentierhaltung benutzen zu lassen.

Wenn etwas auf diesem Planeten als heilig zu gelten hat, dann ist es das Recht auf seinen eigenen Körper und das Recht in Ruhe gelassen zu werden. Und diesen Körper nicht als Gemeineigentum zu gebrauchen um ihn nach Herzenslust auszubeuten, wie es einem gerade in den Sinn kommt.

Einen schönen Sonntag
Euer Zeitgedanken

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Tolles Bild, toller Text, toller Autor.

Danke für die erfrischend andere Sicht auf die Welt.

Ich wünsche Dir ebenfalls noch einen schönen Sonntag.

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Congratulations for your great article.

You have been nominated for the price of LOVE of april 2021.

Herzlichen Glückwunsch zu deinem tollen Artikel.

Du wurdest hiermit für den Monatspreis der Liebe im April nominiert.

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Background - pixabay

Ein wahrhaft ausgezeichneter Fachartikel, genau passend auf die derzeitige Situation.
Das Kernproblem der Demokratie liegt in der irrigen Annahme, dass die Delegation von Rechten, die der Einzelne nicht besitzt, auf das Kollektiv (=der Staat) rechtens und notwendig ist. Dadurch erhält das positive Recht die schwarze Aura der moralischen Legitimation mit letztlich verheerenden Folgen.
Ein Symptom sind die immer mehr ausufernden Gesetzestexte, die eine Heerschar von Spezialisten beschäftigen, ohne dass dadurch ein volkswirtschaftlicher Mehrwert geschaffen wird. Im Gegenteil verzehrt dieser Moloch Kapital und Kräfte.

Abhilfe: So weit wie irgendwie möglich sollte der Einzelne nicht mehr mitspielen.

Versuche es anders herum zu formulieren, dann kommst Du der Lösung des Problems schon näher.

Tue nur noch die Dinge, die für Dich und Deinen Liebsten nützlich sind und die DIR Freude bereiten.

Alles andere lass einfach sein, weil es verschwendet Zeit und Lebensmühe ist.

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Hey @zeitgedanken, here is a little bit of BEER from @indextrader24 for you. Enjoy it!

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Sehr netter Artikel, den ich bei Kafffeeeee, viel Kaffeeeee nochmals in Ruhe lesen darf. Durch Deine Nominierung beim Janasilverpreis der Liebe danke @janasilver darauf gestoßen und gefällt ... ;-)

danke, habe es jetzt gesehen