All Lifes Matters - Geschichte akzeptieren

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So heute muss ich mich doch mal wieder an ein sehr emotionales Thema wagen bei dem es sicherlich nicht nur Begeisterung geben wird. Aber Unrecht (gleich welcher Art) gehört angeprangert. Ich bitte daher inständig sehr aufmerksam zu lesen, den ich bekenne mich ganz klar zu einer offenen und egalitären Gesellschaft in der jeder Mensch nach seiner Leistung und nicht seiner Herkunft, sexuellen Orientierung oder irgend einer anderen Eigenschaft, für die er nichts kann, verurteilt wird.

Doch zunächst einmal muss ich nochmal wieder ein wenig ausholen und mich der Literatur von Arthur Blair widmen. In 1984 herrscht eine totalitäre Gesellschaft über die Menschen und hat mit sehr viel Geschick sich darum bemüht ihnen die Sprache abzutrainieren. Dies wird bereits beim „Ministerium für Liebe“ offensichtlich, dass in Wahrheit eine Zensurbehörde ist, die sicherstellen soll, dass in der Literatur alles nach dem aktuellen Leseart optimiert wird. Alles kritische wird konsequent abgeändert, damit sich niemand mehr daran stören kann.

Dabei sorgt man auch damit, dass die Sprache selbst angepasst wird. Anstatt „schlecht“ zu sagen, sagt man einfach „ungut“, was wesentlich weniger „schlecht“ anhört. Es ist halt gut, nur das Gegenteil davon. Wer keine negativen Gedanken mehr formulieren kann, kann auch schlechter auf Missstände aufmerksam machen.

Eine Kernaussage aus 1984 ist folgender Satz:

„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. “

Wer im hier und jetzt an der Macht ist, ist in der Lage die Vergangenheit zu deuten. Dies wiederum gibt ihm die Macht Dinge zu erklären und damit die Zukunft zu lenken. Denn was auch immer den Menschen ausmacht, er definiert sich über seine Vergangenheit. Wer es schafft die Vergangenheit umzudeuten, erhält eine unglaubliche Macht.

Wir denken nur einmal an das Mittelalter als das gesellschaftliche Wissensmonopol in der Hand der Fürsten und Kirchen lag. Was wusste schon ein einzelner Bauer davon, woher er kommt und wohin die Welt sich bewegen wird. Er hatte ganz andere Sorgen und war auf die Mächtigen angewiesen um sich die Welt erklären zu lassen.

Wann immer jemand versucht die Vergangenheit umzudeuten, sollte man immer sehr aufmerksam werden. Man denke hier eben nur an die Nazis, die ausströmten um irgendwie Belege dafür zu finden, dass es eine arische Herrenrasse geben würde. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Arier vermutlich eher im Raum des alten Persiens zu finden waren als irgendwelche Germanen zu sein. Wichtig war halt, dass man die Geschichte umzudeuten konnte und die Leute es glaubten.

Das nun im Rahmen der „Black Live Matters“ Menschen beginnen gegen eine ungleiche Behandlung aufzubegehren ist eine Sache, die ich zutiefst unterstütze. Sie haben recht. Es ist ein brüllendes Unrecht, dass vielen von ihnen entgegen springt und einer modernen Zivilisation unwürdig ist. Gerade in Amerika sind die alten Wunden nie verheilt, weil man sie nie wirklich unterdrückt hat. Viel mehr versuchte man sie unterdrücken in der Hoffnung, dass sie irgendwann in Vergessenheit geraten und sich von alleine lösen.

Doch die Geschichte bleibt aktiv und die Menschen fühlen sich ungerecht behandelt, blicken auf ihre Vorfahren und erkennen, dass sie immer noch nicht Recht erhalten haben und das alte Versprechen nie gehalten wurde.

Umso größer betrübt es mich, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Diskussion nun darum dreht, dass alte Statuen entfernt werden sollen. Eine völlig falsche Diskussion, da sie eben mit der Vergangenheit bricht. Es steht völlig außer Frage, dass viele unserer Vorfahren keine guten Menschen durch und durch waren. Und ja, wir haben auch einigen ein Denkmal gesetzt, dass vielleicht ihrer nicht gerecht wurden.

Doch wer nun versucht die Vergangenheit zu tilgen, begeht einen ganz elementaren gedanklichen Fehler. Und es betrifft auch nicht nur die Amerikaner, sondern auch z.B. uns Deutsche. Es steht absolut außer Frage, dass die „Judensau“ verletztend für Juden sind. Es war ganz gewiss nicht als Kompliment zu verstehen gewesen. Und ja auch die Naziglocken von Schweringen sind sicherlich nicht ganz so leicht zu verdauen. Darf man wirklich in einer Kirche eine Glocke haben, dass von einem Hakenkreuz geschmückt ist und von den Nazis ein Geschenk war?

Ich denke klar, dass dies der Fall ist. Eine solche Sache kann niemanden verletzten, sondern nur die Geschichte dahinter. Nicht die Glocke hat Millionen von Menschen umgebracht, sondern eben die Nazis, die diese gespendet haben. Ja, nicht einmal als Symbol für ihr grausames Werk, sondern vielleicht sogar mit guter Absicht.

Und gleiches gilt auch für die ganzen Kriegsdenkmäler, die wir in unserem Land haben (Auf Ost und Westseite) und einige von ihnen gewiss nicht ganz unumstritten sind. Es wurde gebaut vor jenen Menschen, die den Krieg erlebt haben und mit Schmerz, Verlust und Entbehrung nach Hause gekommen sind und nach einem Weg suchten ihn zu verarbeiten. Je nach Erschaffer als Erinnerung an die gefallenen Kameraden oder eben auch als Mahnmal an künftige Generationen, dass so etwas nie wieder passieren darf.

Was zu diesen Entscheidungen führte ist etwas, dass wir als zukünftige Menschen nie urteilen dürfen. Es ist furchtbar arrogant die Vergangenheit mit dem Wissen der heutigen Zeit überinterpretieren und darüber zu richten. Fast jeder Deutsche hat liebende Großeltern gehabt, die alles andere waren als mordende Bestien. Und trotzdem waren viele von ihnen dabei und haben mitgemacht. Jede Glocke, jedes Fragment, ist ein Zeuge der jeweiligen Zeit.

Als moderne Menschen obliegt es uns zwar nicht über ihre Entstehung zu urteilen, sondern nur darüber sie in einem modernen Kontext zu setzen. Die „Judensau“ sollte nicht einfach als Sinnbild weitergeführt werden, sondern mit einer Plakete geschmückt werden, die über die Entstehung, Motive und auch Verletzung berichtet. Die Nazisglocken sollte nicht als Kirchenglocken verwendet werden, sondern zum Kriegsende läuten. Für jede Million Mensch einmal und zwar unter den Augen all jener, die eigentlich hätten tot sein sollen und nun als lebende Beispiele dienen, dass die Nazis mit ihrem Ansinnen kläglich gescheitert sind und es auch auf ewig tun werden.

Solche Symbole dürfen nicht zerstört, versteckt oder geleugnet werden, sondern sie müssen der Nachwelt als abschreckendes Beispiel erhalten bleiben, damit auch diese sich künftig daran erinnern und sich die Frage stellen, wo ihre Gesellschaft steht und in welche Richtung sie sich nie entwickeln darf.

Ist die Roosevelt-Statue mit einem Ureinwohner und einem Sklaven neben einem weißen auf einem Pferd rassistisch? Absolut und ohne Zweifel. Und trotzdem zeigt sie eben auch ganz genau die gedankliche Welt der damaligen Menschen und sollte uns aus genau diesem Grunde erhalten bleiben. Kein gesunder Geist wird sie sich ansehen und dadurch zu einem Rassisten werden. Wir weißen sollten mit ein wenig Schade darauf blicken, woher wir kommen und wie Unrecht aussieht. Während die Ureinwohner und Nachfahren der Sklaven darauf blicken sollten um zu sehen, woher sie kommen und auch darüber, was man bereits auf seinem Kampf nach Gerechtigkeit erreicht hat.

Tilgt man all jene Erinnerungen, wird es irgendwann Menschen geben, die sich nicht an dieses Unrecht mehr erinnern werden. Und das Ergebnis wird keine egalitäre Gesellschaft sein, sondern vielmehr neue Irrwege schaffen, die probieren werden Menschen zu unterdrücken. Weil das Elend nicht mehr greifbar und nachvollziehbar ist.

Besonders betrübt es mich, wenn man auch Statuen von Kant schändet, den ich selbst extrem schätze. Wer auch immer dies tut, zeigt ganz offenkundig, dass er sich noch absolut nie mit seinen Lehren befasst hat. Es ist die Arroganz der Moderne zu sagen, dass man alte Texte 1:1 in einem modernen Kontext lesen müsse. Sicherlich hat Kant Begriffe seiner Zeit genutzt. Auch ich bin durchaus noch mit einem „Negerkuss“ aufgewachsen und habe nie etwas negatives damit assoziert.

Man täte mir definitiv unrecht, wenn man in 300 Jahren deswegen über mich urteilt. Und so sollte man die Texte auch so lesen, wie sie wirklich sind. „Handle so, dass dein Wirken und Tun ein Maxime für Jedermann sein könnte“. Klingt dies nach einem Rassisten? Es ist vielmehr ein Appell an die Aufklärung, die den Menschen selbst die Vernunft gibt sich und die Welt in der er lebt zu erkennen.

Ein Gesetz, dass einen dummen Bauern aus seinen Ketten reißt um ihn aus seinen Joch der Mächtigen zu entreißen und selbst die Verantwortung zu übernehmen. Als Menschheit sind wird auf diesem Weg nun bereits mehrfach kläglich gescheitert und haben uns eben nicht an Kant gehalten. Wer nun deswegen gegen ihn aufbegehrt und Denkmäler auf Grund von Political Correctness abreißt, hat absolut gar nichts begriffen.

Nicht eine Statue hält einen Menschen in Ketten. Es gilt darum die Ketten selbst zu zerreißen. Fokussiert Euch eben auf diese und nicht auf irgendwelche Metadiskussionen. Jede zerstörte Statue wird irgendwo einen Widerstand erzeugen, der immer stärker wächst und am Ende den Statusquo erhalten. Jede Diskussion um Frauenquoten zeigt genau dies. Einige wenige privilegierte Frauen bekommen einen guten Posten, die Gesellschaft empört sich und am Ende werden die meisten Frauen schlechter bezahlt und weiter im Unrecht gehalten.

Wer hingegen an einem „Neusprech“ arbeitet und jeden auf Grund von Begriffen oder Gesinnungen aburteilt, wird am Ende den Weg für ein totalitäres Regime wie in 1984 ebenen. Denn jedes Wort, was umgedeutet wird, bringt uns ein wenig weiter weg darin, die Vergangenheit zu verstehen, wie sie wirklich erlebt wurde. Schneidet uns als Gesellschaft die Wurzeln ab auf denen wir gebaut sind.

Wenn allerdings eines Tages die Nachfahren der Täter und der Opfer gemeinsam vor einem Denkmal stehen können, gemeinsam darauf verständigen, dass dies nie wieder passieren darf und sich erinnern, dass sind wir wahrlich auf einem guten Weg. Dabei spielt es keine Rolle in welchem Land oder um welches Unrecht es auch gehen mag. Ja, auch sozialistische Denkmäler sollten erhalten bleiben und nicht zerstört werden. Weil sie ein Teil der Identität der Menschen dieses Landes sind und künftigen Generationen einen Einblick erlauben. Jeder dieser Erinnerungen zeigt uns woher wir kommen und gibt uns ein Stück Macht über unsere eigene Zukunft. Dies sollten wir nie vergessen.

Sort:  

Dazu hatte schon in 1984 geschrieben:
„Von der Architektur konnte man ebenso wenig Geschichte ablesen wie aus den Büchern. Statuen, Inschriften, Denkmäler, Straßennamen – alles, was Licht auf die Vergangenheit werfen konnte, war systematisch abgeändert worden. So hatte man diesem Land seine Vergangenheit und damit zugleich seine Identität geraubt.“

„Buchstäblich wissen wir bereits so gut wie nichts von der Revolution und den Jahren vor der Revolution. Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes Gebäude umbenannt, jedes Datum geändert. Und dieses Verfahren geht von Tag zu Tag und von Minute zu Minute weiter. Die geschichtliche Entwicklung hat aufgehört. Es gibt nur noch eine unabsehbare Gegenwart, in der die Partei immer Recht behält. Freilich weiß ich, dass die Vergangenheit gefälscht ist, aber ich konnte niemals beweisen, sogar in den Fällen, wo ich die Fälschung selbst vorgenommen habe.“

Wow, ich hatte tatsächlich nach dieser Quelle gesucht, weil ich sie in Erinnerung hatte, hatte sie aber auf die schnelle nicht gefunden. Es ist manches Mal schon ein wenig gespenstisch, wie präzise Orwell am Ende seine Dystropie ausgearbeitet hat. So manche Diskussion über PC wirkt manches Mal schon fast so als sei der große Bruder am wirken oder hätte am Ende zumindest seine nützlichen Deppen bereits gefunden.

nützliche Idioten finden sich heutzutage zu genüge.

Der Traum eines jeden Abiturients ist es "entdeckt" zu werden. egal ob als Model, Influencer oder sonst irgendwie ;)

heutzutage will sich doch jeder verkaufen - das stärkt heutzutage sogar noch das Ego ;)

Wirklich sehr guter Beitrag.

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