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RE: Betrachtung der Diskussionskultur im Netz am Beispiel der Debatte bezüglich der Ausgaben für Baerbocks Visagistin.

in Deutsch D-A-CH2 years ago

Ich würde die provokative Frage stellen: Was kümmert einen das Einkommen einer Visagistin, wenn es einem selbst an wenig mangelt? Damit meine ich diejenigen, die selbst über ein recht angenehmes Leben verfügen, also ihr Einkommen ihren Lebensunterhalt sichert, sie sich ein Auto leisten können oder ein Haus, eine Wohnung, in den Urlaub fahren, Fußbodenheizung und so weiter.

Ich bin kein Kind reicher Menschen und auch nicht in einer Elite-Gesellschaft aufgewachsen. Doch würde ich sagen, haben wir Kinder den Wohlstand unserer Eltern bei weitem überflügelt und sind in materiellem Wohlstand aufgewachsen. Freunde und Bekannte und Verwandte haben Arbeit und die, die Familien gegründet haben und heute schon zum Teil Großeltern sind, wissen nicht mehr, was sie ihren Enkeln schenken sollen, die Leute sind gestopft mit Spielzeug und Kleidung für die Kleinen, niemand will auch nur geschenkt etwas von dem vielen haben, was man noch selbst irgendwo aufgehoben hatte, um es denen zu geben, die nach einem kommen.

Das ist den Leuten durchaus bewusst und sie ärgern sich darüber, dass die Kinder und Kindeskinder so wenig brauchen, weil sie bereits alles haben. Gleichzeitig, in demselben Kaffe-Nachmittags-Gespräch zerreißt man sich den Mund über Sozialhilfe-Empfänger, die nicht arbeiten gehen und Verwandte, die "ewig studiert haben" und die "faul wie Sau sind". Genau wie über die "Ausländer", die alles in den "Arsch geschoben kriegen".

Das lässt den Schluss zu, dass es gar nicht um Geld gehen kann, nicht darum, wie viel oder wenig einer verdient, sondern vermutlich eher darum, dass man situativ jenen etwas neidet, die sich als weniger fleißig und solide im Leben verhalten. Den "Nichtstuern". Ich würde sagen, jeder, der das Nichtstun kritisiert, sollte es einmal selbst ausprobieren und schauen, ob nicht doch ein Preis dafür zu entrichten ist, dass man sich ein paar Freiheiten gönnt.

Würde die Frage eine höhere Berechtigung erhalten, wenn man sie so stellte:
Was kümmert einen das Einkommen einer Visagistin, wenn es einem selbst an Einkommen mangelt?
Dann würde es dennoch keine Rolle spielen aus meiner Sicht, da der Mangel an Einkommen eines Einzelnen nichts mit dem einer Visagistin zu tun hat.

Verschwendung muss man sich leisten können. So lange sich ein Volk Verschwendung leisten kann, wird es das vermutlich tun. Es ist ja nicht so, dass der eigene Haushalt etwa ein Hort des vernünftigen Handelns mit seinen Ressourcen wäre.
Wenn der Einzelne seine Haushalts-Ausgaben selbst mal überprüft und einer Statistik unterzöge, was käme dabei heraus? Vermutlich auch, dass wir alle furchtbar gute Konsumenten sind.
Daher scheint mir, ist das Mangel-Empfinden eher eine mentale Angelegenheit, denn eine materielle.

Natürlich, und diese Angst ist verständlich, ist, dass man den gewohnten Wohlstand verlieren wird. Für Menschen jenseits der fünfzig ist das eine besonders schwierige Zukunftsversion, WEIL man sich so daran gewöhnt hat, fremdversorgt zu sein. Sie ist aber gleichzeitig auch ein Grund dafür, dass man das Leben im Hier und Jetzt nicht zu genießen imstande ist, weil man im morgen und übermorgen sich und andere leiden sieht.

Sort:  

Ich fange mal unten an, um das sodann mit den anderen Punkten zu verknüpfen:

Wenn der Einzelne seine Haushalts-Ausgaben selbst mal überprüft und einer Statistik unterzöge, was käme dabei heraus? Vermutlich auch, dass wir alle furchtbar gute Konsumenten sind.

Der Einzelne hat normalerweise sein Gehalt irgendwie ausgehandelt, d. h. sein Arbeitgeber ist mit der Summe einverstanden, die er ihm bezahlt.
Wie genau das Individuum mit diesem Geld dann umgeht, was es damit macht, bleibt letztlich ihm selbst überlassen.

Im Falle von Politikern ist es jedoch so, dass sie selbst die Steuern festsetzen, die der Bürger zu entrichten hat (der dafür im Gegenzug deren sinnvolle Verwendung - z. B. den Bau von Schulen, Straßen, digitaler Infrastruktur etc. - erwartet). Anders als bei der Verwendung eines Gehalts sollte m. E. die Politik die vom Bürger eingezogenen Gelder nicht beliebig ausgeben dürfen, sondern ausschließlich im Hinblick auf den damit verbundenen Nutzen für die Allgemeinheit.
Der Einzelne mag, verglichen mit früheren Zeiten, durchschnittlich betrachtet im Überfluss leben, aber Geld ist prinzipiell nicht im Überfluss vorhanden (sonst wäre Deutschland nicht so stark verschuldet, Schulen, Straßen, Brücken und Deutsche Bahn nicht so marode und unser Glasfaser- und WLAN-Netz nicht so schlecht ausgebaut), weshalb m. E. die Forderung nach einem weisen, verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern absolut berechtigt ist (deshalb kritisiere ich die hohen Kosten für m. E. eher nebensächliche Dinge wie Visagisten und Fotografen, nicht weil ich jemanden beneiden würde).
Was die Visagistin selbst betrifft, empfinde ich überhaupt keinen Neid, um sie als Person geht es mit überhaupt nicht. Sie hat offenbar alles richtig gemacht.

Die Kritik an den m. E. unangemessen hohen Ausgaben der Regierung für Visagisten und Fotografen war jedoch nicht das Kernthema meines Posts, sondern die unkritische, bedingungslose Zustimmung der 'Schafe' ihren jeweiligen Leittieren gegenüber. Da wünschte ich mir mehr kritisches, eigenständiges, von der Zugehörigkeit zum jeweiligen politischen Spektrum unabhängiges Denken.

Für 'Nichtstuer' habe ich prinzipiell vollstes Verständnis, denn ich selbst bin doch ein wahrer Meister dieses Fachgebiets mit einem reichen Fundus an
Expertise und praktischer Erfahrung im professionellen Faulenzen! :-)
Ich arbeite mittlerweile offiziell nur noch sechs Stunden pro Woche und niemals vor 14:00, da ich - wie sollte es anders sein - zu allem Überdruss auch noch gerne lange schlafe!
Dieses 'Minus' an von mir von anderen erwarteter Arbeit führt zu einem 'Plus' an Zeit und Lust, eigene Projekte - völlig freiwillig und aus intrinsischen Motiven heraus - in Angriff zu nehmen und meiner Kreativität sowie dem Drang, Neues zu lernen, freien Lauf zu lassen (und darüber hinaus mehr Zeit für Frau und Tochter zu haben).

Anders als bei der Verwendung eines Gehalts sollte m. E. die Politik die vom Bürger eingezogenen Gelder nicht beliebig ausgeben dürfen, sondern ausschließlich im Hinblick auf den damit verbundenen Nutzen für die Allgemeinheit.

Das ist nun genau der Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Es gibt nichts, worin sich die Allgemeinheit einig wäre. Was "sinnvoll" ist und was nicht, eröffnet viele unterschiedliche Perspektiven. Es ist unmöglich, hier einen Schlusspunkt zu setzen und zu sagen: Diese Steuerausgabe war "schlecht" oder "nicht im Sinne des Volkes", weil das Volk keinen Einheits-Sinn besitzt.

Für sich allein genommen, sind die Gründe, warum jemand für eine solche Steuerausgabe plädiert, so sinnlos, wie alles, was man aus seinem Gesamt-Zusammenhang menschlichen Lebens reißt und was du als Schafe, die dem Leittier folgen, bezeichnest.

Du könntest aber sehr viel weiter gehen und dich fragen: Wie sieht das Leben der Visagistin aus, mit dem vielen Geld, was sie durch ihre Tätigkeit verdient hat? Hat sie einen Sohn, der als Befehlshaber irgendwo in einem Kriegsgebiet intelligente Entscheidungen trifft, gibt sie ihr Geld aus für bestimmte Güter, woran die Verkäufer wiederum verdienen, fliegt sie oft in den Urlaub, dann profitieren wieder durch ihren Konsum andere Menschen. Jedes Geld, dass irgendein Einzelner erhält, sei es durch Steuern oder andere Kreisläufe, kommt am Ende irgendjemandem zugute und genauso ist es aber auch, dass es irgend jemandem schaden kann. Ob sie einen "guten Sohn" hat (und wer ist schon immer gut oder böse?), ob sie "gute" oder "schlechte" Investitionen oder Käufe tätigt, wer will das entscheiden?

Fakt ist, ein Menschenleben hat so viele Verflechtungen und Wirkungen, dass man es niemals auf ein einziges Urteil abstellen kann. Wie du sagst, es ist die Sache eines Einzelnen. Nur, weil hier Steuergelder eingesetzt wurden, heißt das ja nicht, dass der Einzelne (hier die Visagistin) der Allgemeinheit nichts nützt. Wie sie das aber tut oder nicht tut, ist nicht herauszufinden.
Problematisch finde ich daher nicht, dass irgendwelche Einzelpersonen durch Steuergeld ihr Auskommen haben, sondern eher die Verflechtungen von Staat und Konzernen.

Geld ist prinzipiell nicht im Überfluss vorhanden (sonst wäre Deutschland nicht so stark verschuldet, Schulen, Straßen, Brücken und Deutsche Bahn nicht so marode und unser Glasfaser- und WLAN-Netz nicht so schlecht ausgebaut)

Ist das so?
Ich sehe ständig Straßen, an denen gebaut wird, weil viel auf ihnen gefahren wird (ein Zeichen für hohes Verkehrsaufkommen), die Autobahnabschnitte der A1 alleine sind eigentlich im Dauer-Bauzustand genau wie die Straßen der Stadt, in der ich lebe, die Bahnen fahren täglich, genau wie das öffentliche Verkehrsnetz und der Ausbau der Internetleitungen ist ebenfalls im regen Gange, selbst bis in die letzten Winkel. Auch die Schulen - zumindest hier in meiner Stadt - sind im ständigen Umbau. Den Leuten geht's halt nicht immer schnell genug, wenn sie von "marode" sprechen.

Mir scheint, es wird Geld geschöpft, obwohl scheinbar keins da ist. Wobei das ein Thema ist, mit dem ich mich zu wenig auskenne.

Die meisten Quellen, die du mir hier gelistet hast, muss ich abonnieren oder aber habe keine Möglichkeit, die Cookies nur auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren. Daher kann ich sie nicht öffnen bzw. will es nicht.
Ich habe auf Statista schauen wollen, aber da braucht man einen Account. Jedenfalls ist weder der Spiegel, noch die SZ noch die Welt und erst recht nicht die Tagesschau für mich eine lesenswerte Quelle, wenn ich mir ein einigermaßen rationales Bild machen will.

Was vergessene Kinder, kaputte Straßen oder fehlende Wlan-Verbindungen der öffentlichen Gewerbe betrifft, so sind die Medien Weltmeister im a.) Jammern über schlechte Zustände oder b.) Über den grünen Klee loben der Zustände - sie spiegeln damit vermutlich solche Gemüter, die zwischen diesen beiden Polen hin- und her schwanken.

Die Staatsschulden entkoppele ich von dieser Thematik.

Deutschland hat seit dem letzten Krieg ganz sicher einen immensen Aufwand im Straßenbau betrieben und ohne Statistiken zu kennen, würde ich sagen, dass es sich mit bloßem Auge über die Jahrzehnte beobachten ließ, wie sehr der Straßenverkehr noch zugenommen hat, insbesondere der Güterverkehr. Das Transportieren von Gütern hat ja nicht ab- sondern zugenommen. Da die Technik, die weniger Zeit und Ressourcen braucht, als das, was man in den Straßenverkehr investiert, ist sie nun mal schneller. Bedeutet, es geht schneller, einen Schwerlast-Transporter zu konstruieren, als eine Straße seiner Breite anzupassen.
Dazu gibt es dann noch bürokratische Hürden oder Anpassungen, die nie im Gleichschritt mit Technik und Ressourcen laufen. Wer also in dieser Branche sein Geschäft betreibt, wird entweder seine Interessen wahren wollen oder aber er wird vielleicht ins Ausland abwandern.
Ob Deutschland, wie bisher, ein guter Standort ist, darüber wird gerade viel debattiert.
Wenn ich mir aber die vielen schlechte Laune-Nachrichten und Untergangsszenarien aus den vergangenen dreißig Jahren vor Augen führe, so waren wir schon immer auch Weltmeister im Klagen. Wir werden sehen.

Die meisten Quellen, die du mir hier gelistet hast ...

... sind nur eine kleine Auswahl dessen, was möglich wäre, sofern mir beliebig viel Zeit (und Suchlust) zur Verfügung stünde. :)

Sie bestätigen jedoch, was ich seit Jahren immer wieder lese und erlebe.

Vielleicht findest du ja Quellen mit anderslautenden Aussagen?

Edit:

Vielleicht noch etwas dazu:

Jedenfalls ist weder der Spiegel, noch die SZ noch die Welt und erst recht nicht die Tagesschau für mich eine lesenswerte Quelle ...

Mittlerweile kann man ja kaum noch eine Quelle nennen, ohne dass irgendwer den Inhalt allein schon aufgrund dessen Herkunft verwirft:
Dem Ersten ist die erste Quelle zu rechts.
Dem Zweiten ist die zweite Quelle zu links.
Dem Dritten ist die dritte Quelle zu staatsnah.
Dem Vierten ist die vierte Quelle zu staatsfern.
Dem fünften ist die fünfte Quelle zu wenig peer-reviewt.
Dem Sechsten ist die sechste Quelle zu wissenschaftlich-unverständlich geschrieben.

Also war mal wieder die ganze Recherche umsonst. Mist! :-)

Ne, diese Quellendiskussionen führe ich nicht mehr. Wem eine Quelle nicht gefällt, soll einfach eine (für ihn) glaubwürdigere suchen.

Mittlerweile kann man ja kaum noch eine Quelle nennen, ohne dass irgendwer den Inhalt allein schon aufgrund dessen Herkunft verwirft:

Eben. Du vertraust den Quellen, die du dir ausgesucht hast oder jenen, die deinen Überzeugungen tendenziell oder für den Moment entsprechen. Auf diese Weise könnten wir uns nun gegenseitig mit Quellen versorgen, aber bringt uns das weiter? Medien sind Medien. Sie leben dadurch, dass sie sich ein Dasein geben.

Mit den Themen, die Medien gemeinhin bearbeiten, verhält es sich in der Regel so, dass sie bestimmte Sensationen füttern (ich beziehe die alternativen Medien ein). Wenn sie meinen Schmerz füttern und ich mich in das Schmerz-Thema vertiefe, sieht die Welt düster aus. Vertiefe ich mich in angenehme und freudige Themen, hat das einen entsprechenden Gemütszustand zur Folge.
Medien leben von ihren Emotionen auslösenden Inhalten. Sie spiegeln nicht die Wirklichkeit, sondern nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was man für wirklich hält oder halten will. Eine objektive oder neutrale Erstattung von Bericht gibt es nicht. Alles geht durch den Filter dessen, was der Einzelne will oder ablehnt.

Wenn du dich um kaputte Straßen oder vergessene Kinder sorgst und du denkst, du müssest etwas dagegen oder dafür tun, bleibt mir nur zu fragen: Was genau?

Es ist total in Ordnung, nichts dagegen zu unternehmen, sondern nur dort aktiv zu werden und zu handeln, wo man den größten Einfluss geltend machen kann. Das ist die eigene Familie, der Arbeitsplatz, die Kollegen, die Nachbarn. Wie kann es denn anders sein?

P. S. zu dem Punkt: "Wie sie das aber tut oder nicht tut, ist nicht herauszufinden.", können derartige Gespräche wie wir sie in den sozialen Medien vorfinden (Hive ist eines davon), diejenigen, die über Gesetz und Regelwerk bestimmen und über den Einsatz von Geldern auf sehr dumme Gedanken bringen. Beispielsweise ein social rating einführen, nachdem es eben doch so ist, dass "der Einzelne" sich für alles zu verantworten hat, was er tut oder lässt.

Durch digitale Kontrolle etwa, wo es um "Sozialpunkte" geht. Wenn also im Internet die vielen Stimmen, die sich über solche Ausgaben in einer Weise beklagen, die man dann als Richtschnur für den Volkeswillen nimmt, könnte das Volk genau das bekommen, von dem es denkt, es wolle es nicht. Dann ist der anonyme Mob plötzlich Richter und Vollstrecker, weil Leute sich über jeden Furz (Entschuldigung), den jemand tut, schon eine "Meinung bilden". Das ist die Daumen-hoch und Daumen-runter Kultur, nicht wahr?

Man sollte aufpassen, welche Geister durch derartige Debatten geweckt werden.
Ich würde daher vorschlagen, auf jedwede Beleidigung rigoros zu verzichten. Es lässt sich auch vortrefflich ganz ohne abwertende Adjektive miteinander sprechen.