Baersbocks Ferienjobs: Traumgehalt in der Fabrik

in Deutsch D-A-CH3 years ago


Kaum hatten Deutschlands Meinungsführer Annalena Baerbock zur Hoffnungsträgerin der Nation ernannt, begannen alte weiße Männer einen Kleinkrieg gegen die erste grüne Kanzlerin.

Sie haben eine Heidenangst vor ihr, so viel Angst, dass sie alles aufbieten. Vom kritischen Blick auf den offiziellen Lebenslauf bis zu Hinweisen auf Ungereimtheiten in den erwähnten Ausbildungsabschlüssen bis zu Vermutungen, dort stimme doch etwas nicht, haben "schäbige Diffarmierungsversuche" (Aminata Touré) gegenüber der nach Lage der Dinge nächsten deutschen Bundeskanzlerin gezeigt, mit welchen Mitteln und mit welchen Waffen die Feinde des Fortschritts bereit sind, um Privilegien und Pfründe zu kämpfen.
Erbärmliche Angriffe

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl, selbst häufig Opfer von catcalling und Unterpriorisierung, hat die erbärmlichen Angriffe auf die beliebteste grüne Politiker:_*In seit Renate Künast und Claudia Roth allerdings lange nicht ernst genommen. Bis dann das im politischen Berlin zuweilen als "Reichsnachrichtendienst" verspottete Informationsangebot RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland) in der Causa faktencheckte und Annalena Baerbock in einem aufwendig langgezogenen Beitrag freisprach. Sie habe sehr wohl studiert. Ihr Herz sei rein. Es habe dennoch bösartige Unterstellungen gegeben, aber auch Abschlüsse in Völkerrecht und anderen naturwissenschaftsnahen Fächern.

Nun war die signalsensitive Kolumnistin alarmiert. Eine amtliche Gegendarstellung direkt aus dem Regierungsviertel, das entspricht im internationalen Nachrichtenverkehr der früheren Praxis des "Tass ist ermächtigt, zu erklären". Dementiert werden auf diese Weise Nichtwissen und allgemein Unbekanntes, häufig mit der Folge, dass nun nach dem sogenannten "Streisand-Effekt" auch die wissen wollen, was das Gegenteil dessen besagt, das als lautere Wahrheit ins Off gesendet wurde.

Neues Leben für alte Vorwürfe

Welches Interesse kann eine zumindest SPD-nahe Kommentarfabrik haben, die bereits wieder eingeschlafenen Vorwürfe gegen die grüne Kanzlerin wiederaufleben zu lassen? Indem sie halbgar widerlegt werden? Svenja Prantl, die Anfang der 2000er Jahre selbst in London lebte und wirkte, stolperte dann beim Studium der vermeintlichen Freispruch-Papiere für Baerbock über ein auffälliges Detail, das der gelernten Linguistin für leichte Sprache verdächtig vorkam. Schnell konnte sie es dann mit Hilfe formulierungsforensischer Verfahren als perfiden Trick enttarnen, die Empörungsmaschine gegen Annalena Baerbock weiter zu befeuern.

"Ich frug mich vom ersten Moment an, warum zur Hölle tun nun alle so, als müsse man studiert haben, um Politik machen zu dürfen? Um irgendwas beanspruchen zu dürfen? Um sagen zu können, ich bin Völkerrechtler? Ich bin Hausfrau? Ich bin müde?", erklärt sie ihre Motivation, der bedrohten Grünen zur Seite zu springen. Aus ihrer Sicht könne das "jeder halten, wie er möchte", denn ihrer Erfahrung nach seien "Lebensläufe immer Kunstwerke, zusammengesetzt aus einigen Teilen Wahrheit, etwas Schminke und viel Vergessenem, das durch Bausteine einer alternativen Lebensgeschichte ersetzt wird."
Wachsende Bedeutung der Biografie

Hobbys? Eben noch "ich reise gern", im Licht neuester Entwicklungen dann schon "ich interessiere mich sehr für Pflanzen". Auch die Ausbildung, im jugendlichen Alter häufig eher zufällig zustandegekommen, gewinnen in der Regel erst mit der Höhe angestrebter Ämter und Posten eine Bedeutung, die sie nie hatte, als sie absolviert wurde. So würden Schlosser, Maurer, aber auch Imbissverkäuferinnen und Toilettenfrauen in ihren Leben aktuellen Untersuchungen zufolge etwa 73 mal weniger häufig nach ihren Lebensläufen gefragt als Politiker, Spitzensportler und Gewährsträger öffentlicher Einrichtungen.

Dabei, betont Svenja Prantl: Ob nun Völkerball oder Völkerrecht studiert wurde, das zeige die Geschichte eindrucksvoll, sei vollkommen unwesentlich. Winston Churchill gewann den Literaturnobelpreis mit einer Ausbildung als Kavallerieleutnant. Helmut Kohl vereinigte Deutschland mit den profunden Kenntnissen eines bei der BASF ausgebildeten Steinschneiders. Michail Gorbatschow hingegen, der ihm dabei zur Hand ging, studierte zwar Jura an der Lomonossow-Universität in Moskau. Deren Abschlüsse aber wurden seinerzeit in Deutschland gar nicht anerkannt.

Debatte um Studienleistungen als Vorwand

Die "Debatte um die Studienleistungen" (RND) der Annalena Baerbock führe deswegen in die Irre. Vielleicht hat sie getrickst, vielleicht geflunkert, vielleicht gar nicht und vielleicht kommt sie nur insofern vom Völkerrecht, wie sie selbst so selbstbewusst sagt, dass ihre Angaben im Lebenslauf mit entsprechender Interpretation auch zutreffen könnten. Wenn eine Völkerrechtlerin keine Juristin ist, die einen Master ohne Bachelor gemacht hat, das aber an einer renommierten Privatuniversität, die mehr Studiengebühren pro Semester nimmt als grüne Parteiprogramme für ein lebenslanges Studium erlauben, kommt das hin.

Eben bis zu diesem Punkt, sagt Prantl, sei das alles mit Schummelei und Kosmetik erklärbar, wenn auch nicht ganz einfach. Doch was motiviert das RND, nach dem Abflauen der ersten Beschuldigungswelle einen Keil in den Zwiespalt zwischen offenkundigen Erklärungslücken und den erbärmlichen Versuchen von Feinden der künftigen Kanzlerin zu treiben? Statt neidlos anzuerkennen, was Baerbock, ein Mädchen aus Pattensen bei Hannover, das in seinem letzten Schuljahr beim Schülerprojekt ZiSH (Zeitung in der Schule) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erste publizistische Meriten gesammelt hatte, damals in der ihr fremden Großstadt zu leisten vermochte? Ist es der Drang, dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Heiko Scholz beizuspringen? Macht die junge Grüne den alten weißen Männern solche Angst? Kann man es nicht dabei bewenden lassen, das es war, wie es gesagt wird?

Angst vor der Dominatorin

Stattdessen werden neue Zweifel geschürt, perfide gestützt auf offizielle Erklärungen der Grünen. Die hatten auf Nachfrage des RND offenbar vollkommen arglos geantwortet, dass die damals 24-Jährige Baerbock die regulären Studiengebühren ihrer britischen Privat-Universität - nach RND-Schätzungen wohl um die 10.000 Pfund pro Semester, also 20.000 pro Studienjahr selbst gezahlt habe. Nach damaligen Kursen entsprach das einer Summe von etwa 30.000 Euro, die Annalena Baerbock den Grünen zufolge verdiente, indem sie "in den Semesterferien jobbte, unter anderem in einer Fabrik", wie RND aus der Grünen-Zentrale erfuhr.

Wer wie Prantl die Preise in London kennt, das nie ganz günstig war, ahnt, dass ein Leben dort allein mit der Zahlung von 30.000 Euro Studiengebühr kaum komplett durchfinanziert ist. Selbst der bescheidenste Studierende muss essen, irgendwo schlafen, hin- und herfahren und gelegentlich socialisen. Ein pint Bier kam damals um die 2,35 Pfund, erinnert sich Prantl, die noch genau weiß, dass ihr wohlhabender Vater und ihre getrennt lebende ostdeutsche Mutter ihr seinerzeit mit namhaften Summen hatten helfen müssen, "damit ich nicht auf der Straße liege und was anzuziehen habe".

Annalena Baerbock schaffte das allein, mit Ferienarbeit. In den Semesterferien, die etwa fünf Monate dauern, verdiente die blitzgescheite Hannoveranerin nicht nur die für die Absicherung ihres Auslandsstudiums notwendigen 30.000 Euro, sondern, so schätzt Svenja Prantl, zudem weitere 10.000 Euro, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

"Sie muss sehr fleißig gewesen sein", sagt Prantl heute, denn immerhin habe Annalena Baerbock in nicht einmal einem halben Jahr deutlich mehr netto verdient als ein normal-fleißiger ungelernter Angestellter damals im gesamten Jahr brutto bezahlt bekam. "In einem Jahr Fabrikarbeit wäre sie auf 80.000 Euro Einkommen netto gekommen", hat die frühere Wahllondonerin errechnet.

Zehntausende brutto im Monat

Diese Zahlen deuteten auf einen Bruttolohn von um die 10.000 Euro hin, den Baerbock damals für sich ausgehandelt haben müsse. Für eine so junge Frau, nur mit einem Vordiplom, ohne Fachausbildung oder Abschluss ist das eine beeindruckende Zahl, findet Svenja Prantl. Sie deute auf das große Durchsetzungsvermögen der künftigen Kanzlerin, ihr großes Verhandlungsgeschick, aber auch ihren Fleiß und eine Leistungsbereitschaft, die sich der kapitalistischen Verwertungslogik nicht verschließe.

Ganz Deutschland wird zweifelsfrei von einer solchen agilen Führungskraft profitieren", glaubt die heute in Fernost lebende Kolumnistin. Umso fragwürdiger sei der durchsichtige Versuch des RND, mit der Veröffentlichung der Finanzierungsgrundlagen des Baerbockschen Studiums im damals noch befreundeten Großbritannien Zweifel an der Eignung der Spitzengrünen für das Spitzenamt zu sähen. "Da warne ich davor, darauf hereinzufallen", sagt sie in aller Deutlichkeit.

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