Die Handwerkerinnen: Die Gesten der Guten

in Deutsch D-A-CH3 months ago

Es fliegen die Hände, die Arme rudern, es prasselt ein Gestenbombardement herunter auf die Köpfe der arglosen Unwissenden, die zuschauen. Die linke Hand vollführt ein kompliziertes Bremsmanöver, ein wenig klappert die kostbare Kette aus schwarzen Mamba-Perlen. Die Rechte kommt ihr entgegengeflogen wie ein "Starfighter" kurz vor dem Niedergang der Bundeswehr. Doch hier passiert nichts, Kathrin Henneberger hat alles fest im Griff: Aus der berühmten Figur des sogenannten "Fliegers" wird die der "Brandmauer", es folgt der "Goldene Reiter" und dann die "Grüne Glucke".

"Botschaftsunterstreichende Handreichungen"

Gesten, von Experten "Handfiguren" genannt, die nicht jeder versteht, die sich aber doch jedem fest einprägen. Die Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech gilt als eine der führenden deutschen Exper*tinnen für "botschaftsunterstreichende Handreichungen", wie sie das Handbuch des Gebärdenden bezeichnet. Die aus der früheren Ex-DDR stammende Koryphäin ihres Faches hat bereits für die Uno, die WHO, das IPPC und Martin Schulz gearbeitet und über Jahre zu Adjektivattacken und der Verwendung von zusammengesetzten Subversiven im politischen Berlin geforscht. 

Als langjährige Leibübersetzerin der oft kryptischen Körpersprache der früheren Kanzlerin aus dem Propagandistischen ins Deutsche ist Hahnwech vielen bekannt, dass sie als eine der ersten Sprachmittler in Deutschland in Handbewegungsschulen investiert hat, ist dagegen weitgehend unbekannt. Vor allem junge Aktivistinnen benutzen viele und unnötig erscheinende Handgesten - doch das ist kein Zufall. Sie sind die Handwerkerinnen der Macht und sie setzen auf eine ganz neue Form der Überzeugungskraft. PPQ hat mit Hahnwech über diesen neuen Weg der Wissensvermittlung von Unklarheiten und die Rolle von Handbewegungen im Propagandageschäft gesprochen.

PPQ: Frau Hahnwech, wie sehen in letzter Zeit immer wieder und immer öfter und zumeist junge politisierende Frauen, die ihre Ansichten nicht nur verbal verbreiten, sondern parallel dazu sehr gestenreich argumentieren. Ist das ein neues Phänomen, eine Mode oder Zufall?

Hahnwech: Keineswegs. Was Sie beobachtet haben und weiter beobachten werden, sind wohl überwiegend erfolgreiche Absolventinnen unserer deutschen Handbewegungsschulen. Frauen wie die berühmte Luisa Neubauer, wie Kathrin Anna Henneberger, ein Grünes Mitglied des Bundestages, auch die Klimapolitikerin Ricarda Lang und andere Aktivistinnen für Klimagerechtigkeit und das Ende des fossilen Zeitalters haben unsere Lehrgänge und Fortbildungskurse absolviert und wenden nun im politischen und medialen Alltag an, was sie gelernt haben.

PPQ: Das "Gesten", wie Sie es nennen, wie Sie im Vorgespräch verraten haben, ist doch aber eine relativ neue Erscheinung, oder? In den Zeiten von Helmut Kohl, Renate Künast und Gerhard Schröder gestete doch kaum jemand auf diese unübersehbar von erfahrenen Trainern geschulte Weise.

Hahnwech: Das ist richtig. Das Gesten ist eine noch relativ junge politische Bedeutungskunst, auch wenn mir oft Menschen sagen, der Goebbels habe das auch schon gemacht, auch der Hitler, Joschka Fischer und Franz-Joseph Strauß. Ich sage dann immer, Leute,  bitte, man darf das Gesten nicht mit dem aus reinem Wildwuchs bestehenden Gestikulieren verwechseln, also dieses reine Rudern mit dem Armen, das demonstrative Barmen, das Handhalten, wie wir es 16 Jahre lang bei Frau Merkel gesehen haben, deren reduzierte Körpersprache ich ja lange übersetzen durfte. Gesten ist eine unterstreichende Kunst, die aus klaren Abläufen und festen Figuren besteht, deren Anwendung tatsächlich hart trainiert werden muss.

PPQ: Sie gelten ja als eine der Mütter des deutschen Gestens. Können Sie ein wenig zum historischen Hintergrund erzählen?

Hahnwech: Das ist mir immer eine Freude. Denn es ist doch so, dass in den Zeiten vor dem Gesten Frauen in politischen Gefechten immer die waffenmäßig unterlegenen waren. Männer konnten laut sein, sie hauten auf den Tisch, sie gestikulierten. Frauen brachten Bedachtsamkeit und Klugheit ein, aber sie wurde oft einfach weggedröhnt. Das Leise, das Feine, das Wichtige, es fiel unter den Tisch, weil kaum eine Frau die Nerven hatte, das uns aus der Forschung an Sprachsteuerungsalgorithmen und seit der Entdeckung verräterischer Muster in der Sprachmelodie bekannte Gegenmittel einzusetzen: So leise zu werden, dass alle ringsum schwiegen müssen. Wo man aber nicht sprechen kann, da muss die Botschaft anderweitig verbreitet werden, dachte sich eine Gruppe spanischer und isländischer Sprachfeministinnen bereits Mitte der 90er Jahre. Im Grunde war das der Kristallisationspunkt, aus dem die deutsche Gestung entsprang.

PPQ: Aber anfangs war es sicher schwer, ein so neues politisches Werkzeug zu popularisieren?

Hahnwech: Natürlich. Uns Pionierinnen schlug viel Skepsis entgegen, es hieß, die Menschen würden das nicht verstehen, die uns permanent umgebende Wirklichkeit lasse sich durch ein halbes Hundert angelernter Handbewegungen gar nicht in aller Komplexität abbilden... Wir haben das in Suhl gegen  alle Widerstände die erste Handbewegungsschule gegründet, damals noch als Anhängsel der dort seit 1818 beheimateteten Gebärdenmanufaktur Fischer. Ja, und was soll ich sagen. Heute sind wir 123 Handbewegungsschulen im Bundesverband Gestung.

PPQ: Sie als Early-Bird-Investorin haben alles richtig gemacht. Aber sagen Sie: Was ist in der Gesellschaft passiert, dass aus der sparsamen und meist gar nicht vorhandenen Arm- und Handarbeit einer Frau Merkel dieses gestische Trommelfeuer werden musste, das gerade beliebte und erfolgreiche aktivistische Influencerinnen und politische Botschafterinnen nutzen, um ihr Publikum in den Bann zu schlagen?

Hahnwech: Wir sagen Schülerinnen immer, Gesten ist eine Bewegung für die Bewegung. Es geht nicht um langweile Inhaltevermittlung, es geht darum, etwas zu unterstreichen, was vielleicht gar nicht gesagt wird, weil es oft nicht da ist. Wenn Frau Henneberger, eine der größten Gesterinnen, die wir in Deutschland haben, einen Satz wie "Deshalb brauchen wir auf dieser COP eine Vereinbarung" mit der Handfigur "Bishierherundnichtweiter" unterstreicht, dann sieht das auf den ersten Blick vielleicht seltsam aus, aber es funktioniert. Unbedarfte und uneingeweihte Zuschauerinnen und Zuschauer sehen sofort, hier ist Schluss, an dieser Stelle lässt diese junge, engagierte Frau nicht mit sich verhandeln. Sie stellt der Welt ein Ultimatum, verbindlich im Ton, aber unerbittlich in der Gestung.

PPQ: Es gibt kein Nachgeben, wenn eine Geste erst mal in der Welt ist, schreiben Sie in ihrem Buch "Geste mit - Das Handwerk der richtigen Überzeugung" (Mastodon-Verlag, 567 Seiten, 49,99 Euro). Ist das ein Erfahrungswert?

Hahnwech: Ja, das ist eine Lehre aus der Praxis. Gesten kann die Welt sicher allein nicht retten, aber die vielen jungen Handwerkerinnen, die oft fast ihr ganzes Leben noch vor sich haben, wie die erfolgreiche Gesterin Annalena Baerbock erst kürzlich so schön geschrieben hat, die können viel bewegen.

Sort:  

Super Artikel. Der Link zum Buch führt aber woandershin.