10 Jahre alt – mitten in der Nacht und emotional auf der Überholspur.

in Deutsch D-A-CH2 years ago

Auf Spurensuche im Erlebnispark „Jugend w74“


In den vergangenen zwei Wochen nutzte ich den Donnerstag, in mittlerweile traditioneller Hinsicht, euch mit Erzählungen in eine Zeit zu locken, die wir in einer Vielfalt durchlebt haben, wie kaum eine, der danach folgenden – die Jahre des Heranwachsens und Erwachsenwerdens. Furchtbar spannend, daher nie (außer an Schlechtwettertagen und Unwohlsein wegen Liebeskummer) langweilig und daher, bis zur heranschleichenden Demenz, unvergessen.

Da ich euch ausgiebig bekannt machte mit den Idolen meiner Jugend, die da waren, der Backfisch, der schräge Otto, der Schtrulle und Adi Breit (um nur einige wenige aus der Elite zu nennen), halte ich den Moment für gekommen, euch darüber aufzuklären, wie es überhaupt in meiner Jugend so spannend werden konnte.

Eine nächtliche Interaktion und ihre noch unabsehbaren Folgen.

Etwas rumort unüberhörbar. Äußerst ungewöhnlich für diese Zeit, weil gleichzeitig vor und im Inneren unseres Hauses rege Aktionen im Gange sind. Was allerdings detailgenau vor sich geht, kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich einschätzen. Der Blick auf die Uhr liefert immerhin die Bestätigung dessen, was ich geradezu geahnt habe. Definitiv könnte ich noch einige Stunden Schlaf gut vertragen.

Da neben meinem Bett keiner dieser beleuchteten Digital-Monster, sondern lediglich ein in die Jahre gekommenes, aufziehbares Exemplar tickt, müsste ich, wenn alles wäre, wie es unter normalen Umständen sein sollte, erst das Licht einschalten, um den Stand der Zeiger erkennen zu können. Da die Normalität es jedoch noch nicht zum Haus meiner Eltern geschafft hat, steht diese blöde Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite, deren Licht Spätheimkehrern zwar die Orientierung erleichtert, mir andererseits Nacht für Nacht die Dunkelheit vorenthält.
Der eher fragwürdige, als positiv einzuordnende Effekt – der freie Blick auf den Wecker, ist somit über die gesamten vierundzwanzig Stunden, die ein Tag so im Gepäck zu tragen scheint, gewährleistet.
Wirklich glücklich macht mich dieser städtische Service dennoch nicht. Da bedarf es keiner Expertisen gelehrter Schlafforscher, um den Beweis zu erbringen, dass es sich im Dunkeln bei Weitem besser von Traum zu Traum hangeln lässt, als unter diffuser Dauerbeleuchtung. Um die negativen Auswirkungen des Lichtspenders einzudämmen, wurde von meiner Mutter ein weiß-rot karierter Stoff zwar aufgehängt und kunstvoll drapiert (wenn man mich fragen würde – nichts weiter als eine Gardine), der fortan das Licht der Laterne davon abhalten sollte, mich am Abtauchen in den Tiefschlaf zu hindern. Ich gehe allerdings fest davon aus, dass meine Eltern es diesem Stoff im Vorfeld nicht deutlich erklärt haben, welche Erwartungen in ihn gesteckt werden. Möglicherweise, was nicht voreilig ausgeschlossen sein sollte, war der Stoff ausgesprochen billig und ist mit den an ihn gestellten Anforderungen schlichtweg überfordert? Oder die andere Variante, was mich nachdenklich stimmt, es interessiert meine Erzeuger schlicht und einfach nicht, ob das angestrebte Resultat ansatzweise erreicht wird? Im Stockwerk unter meinem Zimmer, dort wo die Privilegierten schlafen, hängen zwar ebenfalls Gardinen an den Fenstern, gleichwohl rauschen dort am Abend zusätzlich die Rollläden nach unten auf die Fensterbank und zeigen zuverlässig dem Licht der Straßenlaterne die abweisende Schulter. Offensichtlich darf man mit zehn Jahren von einem Mitspracherecht über die Notwendigkeit von Lichtschutzmaßnahmen in Kinderzimmern bloß träumen? Oder den Bauherren ist von Stockwerk zu Stockwerk langsam das notwendige Kapital ausgegangen? - Womit wir abermals zurück beim karierten Stoff wären.

Tatsächlich spielen momentan gescheiterte Beziehungen zur Weltbank, zwecks Zwischenfinanzierung von Jalousien im Kinderzimmer, keine Rolle, denn heute Abend hat mich das Straßenlicht mit Sicherheit nicht geweckt.
00:17 Uhr und unten an der Haustür klingelt jemand Sturm. Nicht das nervige Glockengeläut unserer Haustürklingel, das meine Eltern gar romantisch finden, ließ mich hochschrecken. Geweckt haben mich die lauten Stimmen, die von der Straße her noch immer kontinuierlich zu mir vordringen. Ob eine der Stimmen zu dem gehört, der unaufhörlich unserer Klingel malträtiert oder einer vollkommen anderen Person zugeordnet werden muss, die gerade bemerkt, dass es noch ziemlich weit bis zur eigenen Haustür ist und dringend die Blase entlasten muss, liegt außerhalb meines Kenntnisstandes. Fest steht jedenfalls, weil unüberhörbar, dass jemand in permanent kürzeren Abständen derart laut den Vornamen meines Vaters ruft, um Wetten darauf abschließen zu können, dass in Kürze in der Nachbarschaft die Rollläden gerade so weit hochgezogen werden, damit sich ein Bild von dem gemacht werden kann, was aktuell vor unserem Haus passiert.
Kaum verwunderlich (was das Anheben der Rollläden betrifft) sind meine Eltern den Nachbarn eine Nasenlänge voraus. Ziemlich rasch nach Beginn der Klingeloffensive war das Geräusch sich aufrollender Holz-Imitat-Latten bis in mein Zimmer zu hören. Eine Entscheidung über das weitere Handeln scheint, trotz der nun freien Sicht auf die Straße, noch nicht gefallen zu sein. Wohin neigt sich das Pendel? Wird auf das Rufen und Klingeln reagiert oder setzt man konsequent auf Ignoranz? Für den Anfang wurde zumindest ein Beschluss gefasst – die notwendige Diskussion zur Findung einer gemeinsamen Vorgehensweise, vornehmlich im Treppenhaus zu führen.

Meine Mutter bevorzugt dabei unüberhörbar die Variante der Vogel-Strauß-Politik. Mein Vater versucht, wie fast immer, einem Streit mit seiner Frau aus dem Weg zu gehen, kann aber andererseits nicht das laute Rufen nach seiner Person ignorieren, das unvermindert durch die Nacht hallt. Da meine Meinung mit anzunehmender Sicherheit nicht gefragt sein wird, ziehe ich den nutzlosen, karierten Stoff zur Seite und riskiere einen Blick hinunter auf den beleuchteten Asphalt. Trotz Straßenlaterne, richtig was sehen, das kann ich nicht.

Die Person, die geradezu eindringlich nach dem persönlichen Kontakt mit meinem Papa giert, dessen Standort kann ich aus meiner jetzigen Position bloß erahnen. Um meine sich steigernde Neugierde zu stillen, müsste ich das Fenster öffnen und den Kopf zumindest bis zur Oberlippe über die Fensterbank hinaus in die frische Luft strecken. Tatsächlich fehlt mir für die Aktion zugegebenermaßen noch der nötige Mut. Erst wenn die beiden Beratenden, die sonst vorgeben, alles viel besser als ich zu wissen, im Treppenhaus sich einig sind, ob der Rufer erhört wird, erst dann wage ich den Versuch und bringe mich vorsichtig in die gefährliche Zone. Meine Vorsicht kommt nicht von ungefähr, denn schließlich ist es kaum einen Monat her, als ich früh am Morgen die schräge Begegnung mit einem Hasen zu verkraften hatte.

Keine Sorge, ab jetzt gehen wir gemeinsam jeden Donnerstag Schritt für Schritt durch den Erlebnispark „Jugend w74“.

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Sehr geniale Aktion. Da hast Du Dir auf jeden Fall schon einmal ein !BEER verdient.

Nehme ich liebend gerne an – ohne Rücksicht auf das Alter! :-)

Geschichten die das Leben schreibt sind immer noch die besten.
Bin gespannt wie es weiter geht.
!GIF
! MEME
!LOLZ

In my past life I was a turtle.
It is slowly coming back to me.

Credit: reddit
@w74, I sent you an $LOLZ on behalf of @filosof103
Are You Ready for some $FUN? Learn about LOLZ's new FUN tribe!
(1/1)

Mord und Totschlag ließen mich zwar links liegen – doch den ganzen Rest sog ich mit Gier in mich rein. Sei gespannt! :-)

Bleib ich.
War das eigentlich die richtige Scheibe - oder wolltest Du "Quitschieee" hören?

Da ich den ganzen Tag wenig Zeit im Netz verbringen konnte, ist mir deine Post entwischt. Nun korrigiert, nur noch die Information, dass wahrhaftig das Original von Satchmo Armstrong stammt und ein Hauch mehr jazzlastiger ist. :-)

Das werde ich nachholen.
Kenne ich noch nicht, aber wird mir sicherlich auch besser gefallen!
LG.

Naja... Nachholen hat sich erledigt.
DAnke fürs einstellen.


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