Du musst stets gut sein,

in Deutsch D-A-CH9 months ago

denn nur so kannst auf dieser Welt bestehen.

Meiner subjektiven Einschätzung nach …

Wem von uns ist es noch nicht widerfahren, diese Lebensweisheit als Richtungsweiser in eine ungewisse Zukunft mit ins Reisegepäck gesteckt zu bekommen haben?
Meist zeigt sich die Mama für das Bereitstellen dieserlei Überlebensrationen verantwortlich. Vornehmlich in direkter Verbindung zu dem Überwesen, welches, wenn es auch noch so schiefläuft, alles wieder richten soll und hoffentlich auch kann. Das Ganze hört sich dann so oder fast identisch an:
»Ach du mein lieber Gott, was wird nur aus dir, wenn ich nicht mehr auf dich aufpassen kann?«

So stehe ich da, an der Auffahrt zur Autobahn des Lebens, und beladen mit einem Spruch, der mir mehr Rätsel aufgibt, als, wie eigentlich von Mama erhofft, Ansporn zu sein. Diese geistige Orientierungslosigkeit rührt wohl daher, mit dem Adjektiv „gut“ recht wenig anfangen zu können. Ich weiß nicht, wer. Jedoch muss es einen in der Verantwortung geben, der die Buchhaltung darüber führt, wie oft ein bestimmtes Wort im Laufe des Jahres über den Scanner an der Ladenkasse gezogen wurde?

Das Ergebnis dieser Inventur sollte eigentlich meine Vermutung bestätigen. „Gut“ ist dort mit Sicherheit (bleiben hierbei die gängigen Artikel unberücksichtigt) ziemlich weit vorn in der Gruppe der Verkaufsschlager zu finden. Warum dem so ist? Weil das Wort vielseitiger einsetzbar scheint als vergleichsweise „porös“ oder „undicht“. Bezeichnet man etwas als porös, dann gibt es an der Konsistenz des Produkts kaum einen Zweifel. Ähnlich verhält es sich, wenn das Objekt als undicht gilt. Da liegt die Diagnose Inkontinenz nahezu auf der Hand. Und was, wenn jemand „gut“ ist?

Exakt an dieser, doch recht simple gestrickten Frage beginnen sich die Geister zu streiten. Und wenn ich hier von Geistern spreche, dann bitte ich von der Vorstellung Abstand zu nehmen, hier stünden sich zwei Kampfhähne gegenüber, die (koste es, was es wolle) ihre Interpretation des „Guten“ als die einzig wahre Kostbarkeit zu deklarieren. Dem ist nämlich, auch nicht ansatzweise so. Mannigfaltig haben sich im Laufe der Zeit Fraktionen gebildet, die allesamt die gleiche Botschaft dem nie enden wollenden Wettkampf beisteuern: »Wir haben die Bedeutung von „gut“ entschlüsselt.«

Hervorhebend effizient in der Verbreitung ihres vorläufigen Testaments scheint mir die Gruppierung derer, die, nicht müde werdend, offenbaren, „gut“ sei eines der grundlegendsten und positiv einzuordnenden Adjektive überhaupt.
Ich weiß nicht, in welchen Winkel dieser Welt, die es sich gemütlich gemacht haben, doch mit der Realität des Alltags meiden sie wohl seit Ewigkeiten den Kontakt? Jenen halte ich provozierend entgegen, „gut“ sei lediglich das Trostpflaster für den Moment, wenn entstandene Wunden (bei wem auch immer) möglichst, ohne viel Aufwand zu betreiben, bedeckt werden sollen.

Denn „gut“ kommt immer nur dann zum Einsatz, wenn von dem Benutzer des Adjektivs zuvor ein Vergleich angestellt wurde. Ich bediene mich, anlässlich einer dieser Familienfeiern mit ständig wechselndem Motto, vom Puten-Geschnetzelten in Rahmsoße mit Spätzle und Salat, um die These mit dem Äquivalent etwas verständlicher zu gestalten.
Vom ersten bis zum letzten Bissen dieses Gerichts begleiteten mich folgende Bilder.

Möglicherweise aus einer plötzlich erwachten Tierliebe heraus oder aus reinem Geiz, schien sich die Gastgeberin in letzter Minute umentschieden zu haben und ersetzte kurzerhand die Pute durch kurz geschnittene Stücke aus einer Rolle Tesa-Moll. Die Sahnesoße erlebte ihren Ursprung im Labor von Knorr, die Spätzle waren von hohem Adel und entstammten dem Hause „zu und von EDEKA“, während der Salat sich als ein renitenter Gegner von jeglichem Gewürz entpuppte.

Kaum sind Messer und Gabel nach der kulinarischen Zumutung auf dem leeren Teller abgelegt, prallt die Frage von Tante Lotte und gleichzeitig Mutter der Gastgeberin an mein Ohr: »Na, mein Lieber, wie hat dir das geschmeckt?« Ohne auch nur einen Gedanken an das Aussprechen meiner persönlichen Empfindungen zu verschwenden, antworte ich: »Gut.«
Das Resultat hat anschließend zudem erheblichen Einfluss auf die allgemeine Stimmung im völlig überhitzten Wohnzimmer meiner Cousine, da Tante Lotte die eingefahrene Neuigkeit postwendend unter das noch immer sich sättigende Volk streut: »Jetzt bin ich aber erleichtert. Unserem Wolfram hat es geschmeckt, obwohl der normalerweise kein Fleisch isst.«
(Habe ich auch dieses Mal nicht, da ich seit dem Zeitpunkt innerlich fugendicht mit Plastikschrott isoliert bin.)

Ohne Zweifel hätte ich in jener Situation auch auf die verschiedensten Adverbien zurückgreifen können, die „gut“ in einem leicht veränderten Licht erscheinen lassen. Von „sehr gut“ über „ziemlich gut“ bis „nahezu gut“ kann ein doch recht weiter Bogen mit viel Platz für Interpretationen gespannt werden. Doch schien es mir in diesem Fall angebrachter, es der Tante zu überlassen, das dazu passende Wort selbst auszusuchen. Es sollte nämlich nie der Fehler begangen werden, die physische, funktionale oder gar moralische Konnotation beim Gebrauch von gut zu unterschätzen. Ein von mir vorsichtig formuliertes „na ja, ganz gut“ wäre mit anzunehmender Sicherheit als eine Erniedrigung auf ganzer Ebene der Tochter interpretiert worden.

Das weite Feld des Wohlbefindens, mit seiner fürsorglich gehegten Pflanze „Gesundheit“ und den daneben sprießenden, teils giftigen Wildkräutern, ist für unser Adjektiv „gut“ wie eine Flaniermeile an der Uferpromenade. Alle schauen unentwegt zu dem Objekt der Begierde hin und jeder hofft innerlich, es möge sich möglichst an seiner Seite niederlassen. - Nur ja nicht am Nachbartisch. Zu groß die Distanz, um sein eigenes Wohlbefinden noch mit „gut“ bezeichnen zu können.
Einige auf der Promenade gehen daher zwangsläufig leer aus. Um diese schmerzhafte Erfahrung besser kompensieren zu können, wurde der Einsatzbereich von „gut“ nach eigenem Gutdünken erweitert. Gestern noch schien es Lars wie ein Ding der Unmöglichkeit, sich auch nur zwanzig Meter vorwärtszubewegen, da seien Kniegelenke ihm eine Demonstration der Höllenschmerzen lieferten. Heute schafft er es zumindest bis zum Ufer. Auf die Frage, wie es ihm geht, antwortet er: »Gut.«

Ich möchte meinen Spaziergang durch die Gedankenwelt nicht beenden, ohne vorher das Eigenschaftswort (Wiewort) in ein Substantiv zu verwandeln. Auch hier ein kleines Beispiel, welches verdeutlichen mag, auf welch dünnem Seil hier versucht wird, sprachlich zielgenau und möglichst unmissverständlich zu balancieren.

Herr Fischauge von Hausnummer 14 lebt, seit ich mich erinnern kann, in unserer Straße, arbeitete früher bei der Sparkasse und genießt seit ein paar Jahren seinen Ruhestand – was ihn jedoch nicht davon abhält, Morgen für Morgen in dieselben Klamotten zu schlüpfen, in denen er auch steckte, als er noch die Kontoauszüge einsortierte.

In diesem Outfit schlendert er dann an unserem Haus vorbei, tauscht mit meiner Mutter einige nichtssagenden Freundlichkeiten aus, um anschließend Besorgungen in der Innenstadt zu erledigen und sich kurz bei seinen Ex-Kollegen zu erkundigen, ob der Laden ohne ihn überhaupt noch läuft.
Beim Abendbrot, wenn meine Mutter in ihrem Bericht zur Lage der Nation Haus für Haus in der Straße abarbeitet, bekommen mein Vater und ich auch die Information geliefert, dass der Herr Fischauge ein richtig „Guter“ sei. Eine nachvollziehbare Erklärung für die von ihr verliehene Auszeichnung bleibt sie jedoch schuldig.

Gestern hatten wir in unserer Nachbarschaft Besuch von der Polizei. Im Laufe dieses Ereignisses wechselte Herr Fischauge seinen Wohnsitz in Richtung Saarbrücken, wo sich das Untersuchungsgefängnis befindet. Was veranlasste diesen „guten“ Menschen so plötzlich und nicht ganz freiwillig sein Zuhause zu verlassen?

Seit seinem ersten Tag im Ruhestand fiel dem Kontoauszug-Sortierer auf, dass er seine Frau prinzipiell nicht 24 Stunden in seiner direkten Nähe ertragen kann. So freundete er sich mit dem Gedanken an, seiner Frau einen Gasherd und eine Pritsche in die Waschküche zu stellen, ihr die Vorzüge einer solchen Einrichtung zu erklären, um sie anschließend dort einzusperren. Und weil diese Aktion das Haus zu einem Hort der Ruhe werden ließ, vergaß er im Laufe der Zeit, dass auf der Heiratsurkunde noch der Name einer zweiten Person aufgezeichnet war.

Abschließend bleibt mir lediglich noch der gut gemeinte Hinweis, bei der Nutzung des Wortes „gut“, stets darauf zu achten, die Formulierung „meiner subjektiven Meinung/Ansicht nach“ einzubauen.

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