Man sagt, es gebe sie nicht: die Wahrheit.
Alles sei relativ, alles nur eine Frage der Perspektive. Ein Satz, so bequem wie gefährlich – denn er öffnet der Beliebigkeit die Tür. Doch wer ehrlich atmet, spürt sofort: Wahrheit ist da. Sie beginnt im eigenen Leib.
Man hat uns weisgemacht, dass es sie nicht gibt: die Wahrheit.
Alles sei relativ, sagen die einen. Alles nur eine
Frage der Perspektive, raunen die anderen. Wer genug Blickwinkel sammle, verliere jede feste Geltung. Das klingt modern,
tolerant, klug – und ist doch nichts anderes als die bequemste Parole unserer Zeit: „Es gibt keine Wahrheit.“
Eine Parole, die so praktisch ist wie ein Schweizer Taschenmesser der Beliebigkeit. Sie entlastet Politiker, die jeden Tag das Gegenteil von gestern versprechen. Sie wärmt Philosophen, die lieber über Begriffe diskutieren als über Menschen.
Sie beruhigt Bürokraten, die sich hinter Formularen verstecken wie Kinder unter der Bettdecke. Und sie verleiht dem „Massenmenschen“ das wohlige Gefühl, niemals entscheiden zu müssen: Wenn es keine Wahrheit gibt, dann gibt es auch
keine Verantwortung.
Doch schau nicht auf die endlosen Debatten im Fernsehen, nicht auf die dicken Bücher im Regal und auch nicht auf die frommen Reden am Altar. Schau auf dich selbst.
Atme. Fühle den Luftzug in deiner Lunge. Spüre den Rhythmus deines Herzens. Vielleicht schmerzt der Rücken vom langen Sitzen, vielleicht meldet sich Hunger. Niemand atmet für dich. Niemand hungert für dich. Niemand kann an deiner Stelle leben.
Dein Körper gehört dir – und das ist Wahrheit.
Eine Wahrheit so schlicht,
dass sie fast peinlich wirkt, sie auszusprechen. Doch gerade diese Schlichtheit macht sie
unerschütterlich. Sie braucht keine Expertenrunde, keine Talkshow, kein Gesetzblatt. Sie ist da, solange du bist.
Natürlich treten Mächte auf, die dir diese Wahrheit bestreiten. Der Staat erklärt, dein Körper stehe im Dienst der Allgemeinheit. Mit anderen Worten:
- Du bist Inventar.
Die Religion sagt,
- dein Körper sei nur eine Leihgabe Gottes – man könnte beinahe meinen, am Ende werde eine Schlussabrechnung erstellt, ob du pfleglich damit umgegangen bist.
Die Ideologie behauptet,
- er gehöre dem Volk, der Klasse, der Menschheit.
Und die Wirtschaft? Sie betrachtet dich am liebsten als
- „Humankapital“, ein hübsches Wort für austauschbares Material.
All diese Stimmen wollen dich glauben machen: Dein Körper sei nicht dein Eigentum, sondern fremdes Gut.
Doch Wahrheit lässt sich nicht dekretieren.
Man kann dich zwingen, man kann dich strafen, man kann dir schöne Namen geben:
Bürger, Gläubiger, Wähler, Konsument. Aber niemand kann für dich atmen. Niemand kann deine Schmerzen tragen, außer dir. Wahrheit liegt nicht in Dogmen, Dekreten oder Debatten, sondern in der Unmittelbarkeit deines Daseins.
Solange du lebst, gehört dein Körper dir – gestern, heute, morgen.
Der berühmte Satz „Es gibt keine absolute Wahrheit“ fällt damit in sich selbst zusammen. Er ist wie ein Politiker, der in einer Rede verspricht, alles gleichzeitig zu verbessern – er widerspricht sich in dem Moment, da er den Mund aufmacht. Denn schon der Anspruch auf Allgemeinheit ist ein Geständnis, dass Wahrheit existiert.
Noch deutlicher wird es im Alltag:
- Wenn ein Kind weint, weil es Hunger hat, dann ist dieses Weinen nicht relativ. Es ist eine Wahrheit, die kein Diskussionspapier aus Berlin oder Brüssel beiseitewischen kann.
- Wenn eine Mutter ihr Neugeborenes im Arm hält, dann spürt sie Wahrheit in einer Reinheit, die kein Theologe in hundert Predigten einfangen kann.
- Wenn ein Arbeiter am Abend erschöpft seine Glieder niederlegt, ist es sein Körper, der die Last getragen hat – und nicht der Vorstandsvorsitzende, der in der Bilanz davon spricht, „der Mensch sei unser größtes Kapital“.
- Wenn ein alter Mensch im Pflegeheim Schmerzen leidet, dann kann kein Ministerium, das neue „Pflegestandards“ verkündet, diese Schmerzen relativieren.
- Wenn ein Arzt operiert, verlässt er sich nicht auf Meinungen, sondern auf die Wahrheiten der Anatomie – sonst wäre das Skalpell ein Glücksspiel.
- Und wenn eine Brücke gebaut wird, trägt sie nicht deshalb, weil man das in einem Ausschuss „beschlossen“ hat, sondern weil die Wahrheit der Statik in jedem Pfeiler steht.
Das Leben zwingt uns zur Wahrheit. Relativismus mag im Seminarraum gedeihen, doch draußen im Leben wirkt er lächerlich.
Darum lass dir nichts einreden:
Es gibt die Wahrheit. Sie ist keine Trophäe der Philosophen, kein Vorrecht der
Wissenschaftler, kein Spielball der Politiker. Sie beginnt in dir, in deinem Atem, in deinem Leib, in deinem Leben. Und wenn dir jemand sagt, diese Wahrheit sei Anmaßung, dann wisse:
Anmaßung liegt nicht in dir, sondern in dem, der dein Eigenes leugnen will.
Wahrheit aber bleibt einfach. Sie spricht in jedem Atemzug: Mein Körper gehört mir.
Schlusssatz:
Man kann die Wahrheit verletzen – aber niemals widerlegen.