Dominica Teil 5 - auf zu neuen Ufern (Teil 1)

in #deutsch4 years ago

Anfangs ist nur ein einzelnes klägliches Tuten in der Ankerbucht zu hören, ein weiteres Schiffshorn stimmt ein, gefolgt von den tiefen langgehaltenden Klängen, die man mit viel Mühe aus den großen trichterförmigen Conches zaubern kann. Schließlich stimmt der schweizer Bootsnachbar mit seinem Alphorn in das Konzert ein, über Funk werden Grüße zu den abreisenden Schiffen gesendet. Während ich hier sitze und schreibe nehmen wir erneut Abschied von gleich 4 Booten, die Dominica heute verlassen. Mehrtages- oder Wochentörns zwischen 400 und 2.400 sm zu den Azoren, nach Panama, Antigua oder Grenada. Bei Ankunft erwartet die Crews mittlerweile zwar meist ein sicherer Ankerplatz, jedoch kein Landzugang selbst nach absolvierter Quarantäne. Viele brechen dennoch auf, da der Versicherungsschutz mit der nun beginnenden Hurrican Saison erlischt. Auch wir müssen weiter, dringend – die Entscheidung darüber, wird uns glücklicherweise abgenommen, aber dazu später mehr. Ein weitere Monat ist an uns vorbeigezogen, ohne dass wir eine Meile gesegelt sind. Die Welt außerhalb Dominikas scheint wie erstarrt, minimale Veränderungen auf den Inseln und an den Küsten machen die Weiterreise auf dem Seeweg nach wie vor kaum möglich. Wenn überhaupt ist das kurzzeitige Rasten nach langen Törns gestattet, es wird um unverzügliche Weiterreise gebeten – nur wohin? Ganz gleich mit welchem Kurs wir weitersegeln würden, das Entdecken von Land und Leuten, Geschichten zu hören und zu erleben, bliebe uns verwehrt. Ganz anders auf unserem kleinen zauberhaften Zufluchts-Eiland Dominica ….


Mit jeder Crew, von der wir uns verabschieden, steht für uns das Thema „Heim-Segeln“ wie ein großer grauer Elefant in unserem recht kleinen Cockpit. Die Zeit für eine West-Ost-Passage über den Nordatlantik ist ideal jedoch sind die derzeitigen Bedingungen auf der 2.400 sm langen Strecke zu den Azoren noch unbeständig, wir können uns noch nicht zur Abreise durchringen. Zu groß scheint die Gefahr sowohl in ein Starkwindfeld zu geraten oder in einem ausgeprägten Flautengebiet festzustecken. Selenes Reserven um unter Maschine zu fahren reichen für ca. 400 sm. Klingt erstmal viel, kann im Falle der Fälle jedoch sehr eng werden. Wir beobachten das Wetter täglich, Mitte Mai zieht dann bereits der erste Tropische Sturm „Arthur“ über den Nordatlantik – ungewöhnlich für diese Zeit, die meisten Wetterdienste prognostizieren allerdings schon jetzt eine außergewöhnliche Hurrikain Saison

Der dicke Elefant mahnt mich somit täglich, so viel wie möglich von Dominica zu sehen, bevor wir aufbrechen. Die Nationalparks sind noch immer geschlossen, auch Touren werden Anfang Mai nur „unter der Hand“ für maximal 2 Personen organisiert, die Sammeltaxis dürfen höchstens eine Person pro Sitzreihe befördern. Unter den Seglern werden somit Informationen, wo man etwas entdecken kann, wie man dort hin kommt und mit wem, vor allem aber wie sehr verboten es ist, rege ausgetauscht. Schön daran ist, dass die Segler aber auch viele Lokals damit endlich ein Gesicht bekommen. Häufig ist mir nur die Stimme aus dem Funk bekannt oder ein anonymes Profilbild aus der Portsmouth Anchorage FB-Gruppe. Auch am PAYS-Pavilion geben die Leute gerne Auskunft, was ihre liebsten Plätze sind, welchen der unzähligen versteckten Kleinode man unbedingt besuchen sollte. Jetzt Ende Mai also etwa 4 Wochen später ist mein Tagebuch zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, Erlebnissen und Geschichten von Flüssen, Stränden, Wasserfällen und Wanderungen, von Kolibris, Leguanen, Lionfishs, Parrots oder von Kakaopflanzen, Cashew-Äpfeln, selbst geangeltem Fisch und dominikanischem Broth, von Roten Felsen, Kletterpartien, heißen Quellen … wo soll ich da nur anfangen?!?


Cabrits-Nationalpark


Bevor zum ersten Mai , der hier logischerweise Mayday heißt und ebenfalls ein Feiertag ist, für uns erneut 3 Tage Bootsquarantäne anstehen, muss ich mir nach den vielen Tagen an Bord mal wieder ausgiebig die Beine vertreten. Die Cabrits locken mich schon seit wir hier angekommen sind. Ich sehe sie als erstes beim aufstehen und als letztes bevor es in die Koje geht. Da das Nationalparkgelände leider noch immer offiziell geschlossen ist und der Parkranger am Eingang auch partout nicht mit sich reden lässt, soll ein winziger kaum erkennbarer Schleichweg durch die Büsche in den Park inzwischen zum gut ausgetretenen Trail geworden sein … Tatsächlich ist der Pfad kaum zu übersehen, er mündet direkt auf das weit verzweigte Wanderwegenetz im Nationalpark ohne dass man das Eingangsgebäude passieren muss. Ist nicht die feine englische Art – ich weiß – aber auf dem Rückweg werde ich wie die meisten illegalen Besucher schuldbewusst die Augen niederschlagen und beim Ranger nachträglich die 5 EC bezahlen. Der Park besteht im wesentlichen aus zwei erloschenen Vulkankegeln, die als Insel dem Festland vorgelagert waren. Die heutige Landverbindung bildete sich aus angeschwemmten Geröll aus der Duglas- und der Prince Rupert Bay. Auf reichlich 530 ha hat sich ein einzigartiges Biotop aus tropischen Wäldern und Korallenriffen erhalten, mit einer Vielzahl von Fischen, Vögeln, Krabben und Reptilien.

Mein Weg führt mich zuerst auf den kleineren, den Eastern Cabrit. Vorbei geht es an unzähligen Ruinen und Mauerresten des ehemals gut ausgebauten Britischem Fort, das sich über beide Hügel erstreckt. Vom Officers Quater, den Truppen Baracken, den Guard House, dem Commandants Quaters oder den Cisternen sind meist nur noch die Grundmauern erhalten. Dennoch lässt sich an Hand der Überreste ganz gut erahnen, dass es sich hier nicht nur um eine Verteidigungsanlage, sondern eine gut abgeriegelte Stadt der britischen Besatzer gehandelt hat. Einzig das Fort Shirley erstrahlt in vollem Glanz und wurde vollständig restauriert. Vom Boot aus wirken die Cabrits wie kleine Hügel, die man mal eben in einer Stunde erkunden kann. Tatsächlich ist es eine schweißtreibende Angelegenheit – gut, ich habe mir wiedereinmal die heißeste Zeit des Tages ausgewählt. Nach einer halben Stunde bin ich auf dem weitläufigen Plateu des Eastern Cabrits angelangt und werde wie immer mit einem wunderschönen Ausblick über die Prince Rupert Bay und Portsmouth belohnt. Gegenüber erhebt sich dunkel und satt grün das Massiv des Morne Diabolotin, der Blick geht weit nach Süden zur Secret Bay und über die Hocheben des Syndicate Estate – alles Orte, die ich gerne noch sehen würde. Für meinen vermeintlichen „Spaziergang“ hab ich nur eine kleine Flasche Wasser mitgenommen, die natürlich schon leer ist. Die Temperaturen am Nachmittag liegen bei gut 32°C, es ist drückend schwül und heiß. Den Aufstieg zum Western Cabrit spare ich mir daher für heute. Auch das Fort Shirly schaue ich mir nur aus der Ferne an. Ich will keine Schwierigkeiten, denn schließlich habe ich mich illegal in das Nationalpark-Gelände geschlichen. Also trete ich den Rückweg an, diesmal auf dem offiziellen Weg. Der Ranger am Eingang kommt mir schon entgegen und ich erwarte eine umfängliche Standpauke. Stattdessen fragt er mich wie mir Dominica gefällt, wie mein Tag war und ob ich den Ausflug genossen habe. Er selbst scheint es auch zu bedauern, hier Tag für Tag zu sitzen und den Besuchern den Zutritt zu verwehren. Ich zahle meine 5 $ und verspreche wiederzukommen, sobald die Parks geöffnet werden.







Waitukubuli-Trail 14


Zwei Tage darauf gehe ich noch einmal zurück zu den Cabrits. Dieses Mal will ich mich aber nicht illegal in den Park schleichen sondern das letzte Teilstück des Waitukubuli-Trails laufen. Am Fuß der Cabrits startet der Wanderweg, führt am Fuß des Eastern Cabrits durch ein Sumpfgebiet bis zur gegenüberliegenden Duglas Bay, weiter entlang der Küstenstraße über Tucari bis zum Cannor Heritage Park, dem nordwestlichsten Zipfel der Insel, insgesamt knapp 10 km ohne nennenswerte Auf- oder Abstiege. Ich sollte mir echt angewöhnen solche Touren, auch wenn sie als sehr leicht eingestuft werden, schon zum frühen Morgen in Angriff zu nehmen. 11:00 Uhr ist es schon wieder drückend heiß. Um so angenehmer empfinde ich die schattige Kühle, als ich auf den Pfad zum Sumpfgebiet einbiege. Die Bäume und Palmen bilden ein luftiges Blätterdach, unter dem es überall zwitschert, raschelt, wuselt und zirpt. Kolibris sausen zwischen den Bäumen hindurch, Eidechsen und kleine Leguane flüchten sich ins Gestrüpp und aus den unzähligen Löchern im Boden lugen die Scheren oder Augen von hunderten Krabben hervor. Die kleinen rosaroten Krabben haben wir ja schon in Grenada gesehen und dabei festgestellt, dass sie einfach unglaublich flink sind. Man muss schon eine ganze Weile ruhig an einer Stelle stehen und warten, bis sich die Tierchen vorsichtig aus ihren Höhlen heraus trauen. Wenn ich mir hier aber die Größe der Löcher so anschaue, möchte ich gar nicht wissen, wie groß die Krabben hier sind! Tellergroß mit einem enormen Haufen von ausgegrabener Erde…. Die Krabben müssen beeindruckend sein.



Nach 20 Minuten bin ich durch das Feuchtgebiet durch, wieder erwarten absolut Moskitofrei, und stehe am Südende der weiten türkisblauen Duglas Bay. Die Bucht ist für Yachten absolut tabu um die wenigen noch erhaltenen Corallenriffe zu schützen. Vom Strand aus oder per Dinghy kann man beim Schnorcheln hier die Zeit vergessen. Der Trail führt weiter am Strand entlang, eine leichte Brise weht vom Meer her, es ist alles so unglaublich ruhig und friedlich und ich denke mir, dass selbst an diesem für dominicanische Verhältnisse unspektakulärem Fleckchen der Name „Nature Island“ allen Erwartungen gerecht wird. Palmen wiegen sich sanft im Wind, die Wellen glitzern in allen denkbaren Nuancen von grün über türkies bis rosa, Kolibris vollführen Kunstflüge um an den knallroten Blüten in der Luft zu schweben.



Das Naturparadies endet jäh hinter der nächsten Biegung als ich plötzlich auf ein penibel gepflegtes Anwesen trete und mich in den Freianlagen des Cabrits Resort & Spa Kempinski befinde, einer 5-Sterne Anlage wie man sie in Hochglanzmagazinen finden kann. Natürlich, beste Lage, weit weg von den Menschen die hier leben, privater Anlegesteg, Infinity-Pools zwischen den Gästehäusern, offene Beachbars und Edelrestaurants mit Blick auf die Bucht … wer sich so richtig was gönnen will und ungestört unter Seinesgleichen die Dollars verbrennen möchte, ist hier genau richtig. Immerhin haben die finanzkräftigen Investoren doch ein kleines Zugeständnis bei der Wahl des Standortes machen müssen und so führt der Waitukubuli-Trail weiterhin direkt am Strand über das Hotelgelände. Die Anlage steht jedoch wie alle Gästehäuser aus Mangel von Touristen durch den Lockdown leer und so kann ich ungestört zwischen den durchgeplanten Freianlagen herum spazieren. Irgendwie surreal, der einzige Gast in einem Resort zu sein, in dem ich mir wahrscheinlich nicht mal einen Moijto leisten könnte … oder wöllte.


Die künstlich aufgehübschte Symphonie aus Designerstühlen, Moet-Champagnerkühlern und von Palmen verschattetet Separets endet plötzlich wie es kam und der Trail geht weiter über Stock und Stein unter Mandelbäumen entlang der Bucht. Irgendwann mündet der Pfad auf die Küstenstraße und die flirrende Hitze trifft mich wie ein Schlag. Ein kurzer Blick auf den weiteren Streckenverlauf zeigt, dass es von hier die nächsten 5 km auf der Straße weiter nach Norden geht. Ich könnte zwar für den Rückweg ein Sammeltaxi nehmen aber viele Strecken werden derzeit gar nicht mehr befahren, da die maximale Personenanzahl von 3 Fahrgästen für die Sammeltaxi-Betreiber einfach nicht mehr lohnt. Also lege ich mich für eine Stunde im Schatten großer Kokosnuss-Palmen an den Strand, schaue auf die Wellen und genieße einfach nur den Tag. Was für ein Glück, während dieser komplizierten Zeit ausgerechnet auf einer karibischen Insel gelandet zu sein, die uns trotzdem so viele Freiheiten gewährt!


Mein schönstes Ferienerlebnis - Endlich Schnorcheln


Das „May-Day“-Wochenende vergeht unspektakulär, was soll man auch groß machen wenn man für 4 Tage nicht vom Boot runter kann. Anders als an den vorherigen Curfew-Wochenenden fällt mir aber schon nach zwei Tagen so richtig die Decke auf den Kopf, zu entdecken bleibt jetzt nur die Unterwasserlandschaft. Dumm nur, dass ich mich beim Schnorcheln anstelle, als würde ich gerade mein „Seepferdchen“-Abzeichen machen. Meine bisherigen Versuche, mit Schnorchel im Mund und Taucherbrille im Gesicht, endeten in einem panikartigen Hyperventilieren, Schniefen und Schnaufen, Salzwasser in den Augen und der Nase. Ich ärgere mich über mich selbst und die Langeweile bringt mich letztendlich dazu, die Sache nochmal ganz in Ruhe anzugehen. Wo mein Problem lag, kann ich mir im Nachhinein tatsächlich nicht mehr erklären denn nach wenigen Minuten geht alles wie von alleine und mir erschließt sich nun auch endliche eine Welt, von der ich bisher nur staunend und ein wenig neidisch gehört habe. Da ist es wieder, das Entdecken! Stundenlang geht’s nun auf „Tauchfahrt“ auch wenn die Vielfalt unter dem Boot nur ein winziger Ausschnitt dessen ist, was wir in den folgenden Tagen am Rand der Bucht zwischen den Felsen oder später beim Schnorcheln in der Secret Bay finden.



Inseltour mit Spesh (Calibishi, Marigot, Cabrit Territory, Jacko Step, Massacre, Mero Beach, Coconut Beach)


Offiziell sind Touren noch so eine Sache aber man darf zu Zweit ein Taxi nehmen. Speshi bietet uns an, eine Tagestour mit ihm in den Nordosten der Insel, zum Cabrits Terriory im Osten und über die zentralen Berge zurück an die Westküste zu unternehmen. 600 EC$ sind schon ne Stange Geld, allerdings werden wir den ganzen Tag unterwegs sein und viel sehen, was per Sammeltaxi nie zu schaffen ist. Zudem haben wir in den letzten Wochen so gut wie keine Ausgaben für derartige Unternehmungen gehabt. Größtes Problem ist die Uhrzeit, 7:30 Uhr beginnt hier für die meisten Locals spätestens der Tag. Wir sind gar nicht böse darum, dass es die erste Stunde gemütlich im Auto über kurvenreiche, bergige Straßen nach Calibishi an der Nordküste geht. Die Türen sind kaum zu als Spesh in den Tourguide-Modus schaltet: „Welcome to Dominica, the Nature Island! On your right side you see ….“ Wir bekommen einen Crashkurs in Geschichte, Naturkunde und Kulturgeschichte, zu jedem Fluß weiß er etwas zu erzählen, zu jedem der einzelnen Estates, durch die unser Weg führt, kann er die Besitzverhältnisse erklären, ob die Farm noch wirtschaftet, was angebaut wird und wieviel. Dabei schweift er immer wieder ab und berichtet über die politischen Verhältnisse, nicht ohne seinen deutlichen Unmut darüber zum Ausdruck zu bringen. Welche Unternehmen, Konzerne oder fremde Regierungen auf Dominicas Geschicke Einfluss nehmen, wer davon profitiert, was dabei auf der Strecke bleibt. Die Spuren der Verwüstung durch Hurrikan Maria werden je näher man der Nord- bzw. Ostküste kommt immer deutlicher, vieles konnte mit internationaler Hilfe inzwischen wieder aufgebaut werden. Allerdings scheint die Hilfe nicht rein aus Großzügigkeit geflossen zu sein, die Präsenz asiatischer Firmen und Konzerne ist unübersehbar.


Den ersten Stopp legen wir in Calibishi ein, einem bunten karibischen Dörfchen im Nordosten. Der Atlantik schlägt hier viel wehementer an die Küste, schroffe Felsen, tief eingeschnittene Buchten mit wunderschönen Ausblicken, es riecht nach Meer, der Wind ist erfrischend und die Palmen wiegen sich im Takt. Speshi hält an der Straße neben einem offenen Pick-Up und beginnt gleich ein Gespräch mit den drei Herren, die hier ganz entspannt an der Ladeklappe lehnen. Überhaupt scheint er hier jeden zu kennen, schon während der Fahrt grüßt er ständig Passanten oder uns wird etwas unverständliches hinterher gerufen, was er mit einem kurzen Hupen quittiert. Zum Frühstück gibt’s für uns frische aufgeschlagenen Kokosnuss von der Ladefläche, ein kurzer Plausch mit den drei fröhlichen Herren und wir setzen unsere Fahrt entlang der Küste fort.





Viele der Buchten sind von oben nur bedingt zugänglich, zu steil und zu schroff fallen die Hänge zum Meer hin ab. In einigen Buchten münden jedoch Flüsse und so ist ein Zugang über sehr hoplrige Pfade doch irgendwie möglich. Speshi steuert zielsicher eine der Rumpelpisten an und nach wenigen Minuten sehen wir vor uns den breiten und gemächlichen Lauf des Hampstead Rivers. Der Fluß bringt viel Sediment zum Meer wodurch an der Bucht ein weiter Sandstrand, der Numbre One Beach, entstanden ist. Wir genießen für ein paar Momente die Ruhe, die Natur, schauen auf die Wellen und den Wind und treten dabei fast auf einen giftgrünen Leguan. Zwischen den sattgrünen Pflanzen am Boden kann sich das Reptil so unglaublich gut tarnen, dass nicht viel gefehlt hätte und Martin direkt darüber gestolpert wäre.





Über Marigot und Atkinson führt die Tour weiter süd-ostwärts und Speshi verkündet mit einem Mal ein wenig bedeutungsschwanger: „Now we are in Carib territory!“ Dazu muss man wissen, dass den Caribs, bzw Kalinago, wie die indigenen Ureinwohnern auch genannt werden, hier an der Ostküste 1903 ein eigenes Territorium durch die britischen Kolonialherren zugesprochen wurde. Wie man sich denken kann, geschah dies nicht aus reiner Humanität, natürlich waren dem auch hier jahrzehte-, jahrhundertelange Konflikte, Kriege und Auseinandersetzungen zwischen den Ureinwohnern und den Kolonialmächten voraus gegangen. Im Kalinago Territorium leben derzeit noch ca. 3000 Menschen, deren Wurzeln tatsächlich zu den Caribs zurück reichen. Zuziehen ist so gut wie unmöglich und so bleiben die Kalinagos relativ isoliert. Sie pflegen nicht nur ihre eigene Kultur und Bräuche sonder auch eine Art Eigenverwaltung, die ihnen von den Briten zugestanden wurde. Unter Verwaltung versteht man hier den Chief, weitere Verwaltungsstrukturen gibt es nicht. Interessant auch, dass im Gegensatz zum Rest Dominikas, wo jeder Hektar Land zu einem Estate, einer Familie oder einer Einzelperson gehört, hier im Cabrits Teritorium niemand Anspruch auf einen bestimmten Teil Land erhebt, die gesamten 15 km² gehören der gesamten Gemeinschaft. Leider bleibt es uns verwehrt, tiefer in die Kultur einzutauchen denn trotz Selbstverwaltung gelten auch hier die Covid-Restriktionen, wodurch das Museum und das Kulturzentrum schließen mussten. Immerhin gibt’s für uns am Straßenrand ein Calabash-Brot auf die Hand, eine Spezialität, die nur von ganz wenig Bäckerein noch hergestellt wird.


Den letzten Halt an der Ostküste hat Spesh in Castle Bruce geplant, der größten „Stadt“ auf dieser Inselseite. Zielstrebig durchfährt er die Siedlung und stoppt dann am südlich gelegen Sandstrand, wo der breite Castle Bruce River ins Meer mündet. Er zeigt uns am Rand der Bucht einen dichten Mangrovenwald und erklärt, dass ein internationales Consortium hier eine Marina bauen will – was für ein Irrsinn! Die Ostküste ist so rau, der Atlantik drückt auch heute bei moderatem Wind eine hohe Dünung in die Bucht. Um hier in Ruhe vor Anker oder an einem Steg zu liegen, müssten massive Wellenbrecher errichtet werden. Ganz zu schweigen davon, dass Stürme oder Hurrikans in der Regel immer als erstes auf die Ostküste treffen.

Von hier aus geht’s die gesamte Ostküste zurück nach Atkinson und wir folgen nun dem Pagua River landeinwärts. Der gut ausgebaute Dr.-Nicholas-Liverpool-Highway windet sich in unzähligen Kurven und Serpentinen hinauf ins Central Forest Reserve. Unser Tourguide hatte uns von 7 verschiedenen Vegetationsarten auf Dominika berichtet und tatsächlich erscheint die Natur, die Bäume, Farne, Pflanzen ganz anders als an der Ost oder der Westküste. Unter den dichten Blättern ist es kühl und dunkel, aus den Senken zwischen der zerklüfteten Berglandschaft steigt Nebel empor. Wir fahren durch dichte Wolken, die am zentral gelegenen Massiv hängen bleiben und durch ihren ausgiebigen Regen einen für mich scheinbar undurchdringlichen Wald formen. Irgendwann lichtet sich die dichte Vegetation wieder und läßt das Meer hin und wieder zwischen sattgrünen Bäumen hindurch blitzen. In langen Serpentinen führt uns der Highway der Westküste entgegen, von weitem sind Roseau, Canfield und Belfast zu erkennen.








Auf der Küstenstraße im Westen Dominikas angelangt, biegt Speshi eine kleine holprige Piste ab und führt uns zu einem ziemlich verwilderten Strand. Der Ort mit einem markanten Felsen vor der Küste wird Massacre genannt, da hier eine der entscheidenden Schlachten zwischen den Briten und den Franzosen ausgefochten wurde. Die Truppen des Commonwealth liefen hier in einen clever ausgeheckten Hinterhalt und wurden – wie der Name schon andeutet – massakriert. Oder war es umgedreht… ich weiß es nicht mehr. Die Geschichte zwischen Franzosen und Briten wechselte so häufig in der Karibik, dass man da schon mal den Überblick verlieren kann...



Der Küstenhighway würde uns recht schnell nach Portsmouth zurück bringen aber Speshi zieht es vor, die kleineren Seitenstraßen zu befahren, die uns durch eine Vielzahl von typisch karibik-bunten Dörfern und Städtchen bringt. Mahaut, Layou, St. Josphef, Mero, Baroui, Coulibistri. Kein Ort, in dem er nicht angesprochen wird, kein Ort in dem er nicht irgendjemanden anspricht. Gut, mehrheitlich sind es Frauen oder es ist ein kurzer Plausch durchs offenen Autofenster, bei dem es meistens um Canja geht. Wir halten zwischendurch noch das eine oder andere Mal, Mittagspause am Strand von Mero, Fotos machen am Layou River, in der Macoucherie Estate Distillery nach Rum fragen (leider erfolglos, es sei denn wir nehmen ein ganzes Fass), und zum Schluss Mandeln am Coconut Beach knacken, die gerade frisch vom Baum gefallen sind.








Obwohl die Zeit schon ein wenig drängt, hält Speshi dann doch noch einmal den Waagen auf staubtrockener Straße und es gibt hier eigentlich nichts zu sehen; links unter uns die Küstenlinie und rechterhand steiles, trockenes Gelände ... und eine Leiter. Einige Meter über uns taucht ein Kopf auf, Speshi wird gerufen und heran gewunken. Der nette Herr mit freiem Oberkörper grüßt auch uns freundlich und zeigt an, dass wir die Leiter hochsteigen sollen. Auf dem kargen Acker angekommen, staune ich nicht schlecht. Hier hat tatsächlich jemand eine Art Feld angelegt. Marcus, den alle nur Jackpot nennen, hat hier zusammen mit einem Kumpel vor ein paar Wochen angefangen, das Gestrüpp zu roden, Terrassen angelegt und Bewässerungsrohre verlegt. Wir bekommen natürluch ganz stolz jedes kleine Pflänzchen gezeigt, eigentlich alles um sich selbst versorgen zu können. Auf dem steilen Hang steht eine für mich winzige Hütte, ein paar Bretter, eine Feuerstelle, ein paar Planen - fertig ist das Wochenendhaus einer ganzen Familie. Aus dem Verschlag lucken zwei Jungs mit großen Augen hervor, die Mama ist gerade am kochen. Selbstverständlich sollen wir zum Essen bleiben und so sitzen wir wenig später mit unseren Schüsselchen auf den Knien alle zusammen im Schatten vor der Hütte. Meine ganze Aufmerksamkeit genießt allerdings ein unglaublich niedlicher, junger Welpe, der sich zuerst über meine Flip-Flops, dann über meine Füße, Martins Kamera und dann meine Kamera her macht. Jackpot erzählt, dass er ein Casino in St. Joseph betreibt bzw. betrieben hat. Während Ausgangssperre herrscht, zieht er sich mit seiner Familie hier auf dieses karge Stückchen Land zurück, genießt es draußen zu sein, pflanzt ein paar Nutz- und sehr viele Genusspflanzen an und freut sich, nicht in seinem Appartement sitzen zu müssen - ist ja auch ein schöner Ausblick hier oben, nur eben bissl trocken.








Der letzte Halt am Coconut Beach bietet einen ganz besonderen Ausblick auf den Cabrits National Park und unserer Anchorage. Allerdings bleibt hier doch ein hässlicher Wermutstropfen, den uns Spesh wahrscheinlich nicht ohne Grund zeigen wollte. Wenige Meter hinter dem breiten, weißen von Palmen gesäumten Strand erhebt sich eine Großbaustelle eines namhaften Hotelkonsortiums. Unserem Tourguide ist anzumerken, das er wie viele andere mit denen wir ins Gespräch kamen und später noch kommen werden, um den Ausverkauf ihrer schönen Insel fürchten. Er erzählt uns, dass es auch auf Dominika so etwas wie Bürgerbeteiligung „light“ gäbe, allerdings mit wenig Erfolg auch wenn das Votum eindeutig ist. Der Tourismus ist eine boomende Branche, die vor so einem einzigartigen Kleinod wie Dominika nicht Halt machen wird, zu groß sind die möglichen Gewinne. Andererseits sehen wir gerade in diesen Wochen, was mit einer Volkswirtschaft passiert, wenn das wichtigste Standbein von jetzt auf plötzlich weg fällt. Vielleicht hat ja diese Krise auch etwas gutes, und es werden Alternativen zum gewinnorientierten Tourismus auf Dominika gefunden…




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Fantastische Artikel, die ihr schreibt!