Warum habt ihr das Internet kaputt gemacht?

in #internet4 years ago

rollmops4028046_640.jpg

Als ein Urgestein des Internets bin ich manches Mal ein wenig schockiert darüber, wenn man eigentlich heutzutage alles ins Netz reinlässt. Früher war das eine klare Sache. Die Deppen waren bei AOL, der Rest geisterte im richtigen Internet zusammen. Bei den Usergroups konnte man über fast jedes Thema reden und schreiben.

Auch damals hatte es immer wieder Leute gegeben, die sich schlichtweg daneben benommen haben. Wir nannten dies "Nettiquette". Wäre sich nicht daran hielt wurde von Users oder Moderatoren gemaßregelt und wenn das nichts half, gab es ein follow-up an DAF, wo sich dann die Trolle organisierten und misliebige User endgültig zersetzten. Die stärksten der Trolle wurden dort dann kultiviert und warteten auf neue Follow-Ups.

Versucht jemand wirklich einmal Terror zu machen, gab es meist nur ein "plonk", dass signalisierte, dass die Person gerade ins "kill file" gewandert ist. Hörte sich martialisch an, bedeutete aber nur, das einfach alle Beiträge des Nutzers direkt in den Papierkorb wanderte, weil man zum Schluss kam, dass das alles keinen Sinn mehr hatte sich weiter damit zu befassen. Wer es lesen wollte, konnte dies halt gerne tun.

"Newbs" wurde stets ermahnt Trolle nicht zu füttern. Wer also hörte "Don't feed the trolls", wusste, dass er sich nicht provozieren lassen sollte und einfach mal schweigen sollte. Identifizierte man einen Trolle, gab es oft einen "><((((*>" Hering. Ein wenig sarkastisch, da man eben genau gegen die Nettiquette verstoßen hat und seinen Troll fütterte.

Es gab echte Erkenntnisse wie z.B. Godwin Law (https://de.wikipedia.org/wiki/Godwin%E2%80%99s_law), da auffiel, dass es irgendwann immer mit einem Nazis vergleich endete. Je länger eine Diskussion lief, umso wahrscheinlicher wurde es.

Im Netz gab es eine starke Kooperation. Fast alle Webseiten-Betreiber einer Szene kannten sich und halfen sich gegenseitig in ihrem Wissen und Feedback. Es war getrieben von einem Gefühl des Pioniergeists bei dem jeder Wissen mit anderen teilen konnte.

Ach, was waren das nur für gute Zeiten. Was habt ihr nur getan und wieso habt ihr mir mein Internet geraubt?

Heute ist alles anders. Als Betreiber einer Webseite ist man ein Dienstleister und muss sich mit diversen Rechtsvorgaben rumschlagen. Wer ein wenig Wissen vermittelt, darf sich gleich als kommerzieller Betreiber ansehen. Anonyme Kommunikation im Netz wie früher im Usenet ist nur noch selten möglich.

Im Gegenteil wir streiten uns immer wieder darüber, ob es eine Klartextpflicht für Namen geben sollte, weil sich Menschen immer wieder trollen lassen. Die Bedeutung von "plonk" kennt kaum noch jemand und alle springen auf jede Provokation sofort maximal an.

Eskalation als rhetorisches Mittel! Wer am lautesten Schreit, hat am Ende immer wieder recht. Godwins Law greift nicht nur, es sind auch wirklich Nazis lauthals im Netz unterwegs ohne das sie noch einen entsprechenden Widerspruch erfahren.

Kaum noch jemand redet darüber, dass man im Netz freies Wissen teilen kann. Vielmehr geht es darum, wer am lautesten unnützes Wissen teilt. Fakten, Recherche und der Versuch Dinge verständlich zu erklären ist dem reinen Gebrüll um Parolen gewichen.

Echte Information zu finden wird immer schwieriger das Kommerz, Verschwörungstheoretiker und sogar staatliche Institutionen Nebelkerzen schmeißen und versuchen einem ständig vom wesentlich abzulenken.

Zuviele AOL-Nutzer sind heute im Netz unterwegs. Eine Nettiquette der sich alle unterwerfen um sich selbst das Leben nicht mehr schwerer als Nötig zu machen, ist längst erloschen.

Gated Communities wie Facebook beherbergen heutzutage eine große Anzahl der Nutzer, die in Reservaten keine echten Texte mehr schreiben, sondern nur noch "lol", "haha" and "like it" von sich geben. Falls hier je eine Form von Hirn existierte, hat es sich unlängst offenkundig zersetzt.

Warum nur, habt ihr mein geliebtes Internet umgebracht. Es wird wirklich Zeit wieder einmal ein neues zu machen. Nicht aus technischen Gründen, sondern schlichtweg deshalb, weil viele vergessen haben, wieso es einst entstand...

Wenn ihr das nächste Mal einen Troll findet, füttert ihn bitte nicht. Die meisten davon sind heute dick und fett und selbst ein Hering kommt einer Mast gleich. Fokusiert Euch lieber darauf aneinander zu helfen und gemeinsam Wissen zu teilen. Ist einer mal nicht Eurer Meinung, akzeptiert dies und lasst Euch gegenseitig leben. Man kann Argumente austauschen, Meinungen nicht!

Sort:  

Ich würde behaupten, dass "Don’t feed the troll!" nicht mehr zeitgemäß ist - falls dies überhaupt jemals der Fall war.

Das Netz ist der feuchte Traum aller gelangweilten, nach Aufmerksamkeit suchenden und mit sadistisch-psychopathischen Charaktereigenschaften behafteten Menschen geworden. Wenn "Don’t feed the troll!" der Maßstab ist, gibt es niemanden, der diesem geistigen Dünnpfiff etwas entgegensetzt. Allerdings fehlt auch mir schon lange die Muße, dem etwas zu entgegnen. Für mich ist das Trash TV, das bei einer Tüte Popcorn gelegentlich ganz unterhaltsam ist.

Fokussiert Euch lieber darauf aneinander zu helfen und gemeinsam Wissen zu teilen.

Das klingt nach einem guten Plan.

Ja, inzwischen würde ich schon fast von Trollmästung sprechen. Es ist ein extrem lästiges Phänomen des Netzes geworden. Teilweise kann man das, was man früher als Troll bezeichnet hat dabei beobachten, wie es sich gegenseitig füttert und hochschaukelt.

Ich realisiere zunehmend das der alte Traum eines freien Internets, dass unbeschränkt Informationen unzensiert für jeden zur Verfügung stellt immer mehr zu einem Ort verkommt an dem soviel Müll gehortet wird, dass es immer schwerer wird relevante Information zu finden.

Fehlt nur noch der Heiland, der ein automatisches Zens... äh... Informationsfilter dafür entwickelt, damit das Chaos perfekt ist ;)

Trollmästung ist gut, den merke ich mir.

Dan Larimer (Co-Founder von Steemit Inc.) hat nach der Gründung der Mutter Blockchain etwas Interessantes geschrieben. Beim Lesen der beiden letzten Absätze musste ich an diesen Artikel denken:

https://hive.blog/philosophy/@dantheman/why-do-we-fight-to-change-the-world

Ich bezweifle, dass Dan diesen Pfad noch verfolgt, für mich ist dies ein wesentlicher Eckpfeiler. Leider interessieren sich nur sehr wenige dafür und daher ist das alles in Vergessenheit geraten.

Ist tatsächlich ein sehr interessanter Artikel. Zumal ich eben der Philosophie des Buddhismus nicht abgeneigt bin und somit auch der Fragestellung wie Leid überhaupt am Ende existiert und welche Mechanismen man nutzen kann, um eben dieses (zumindest für sich) dauerhaft zu überwinden.

Vielen Dank daher für den interessanten Link! :)

Ich denke, das ist nur eine Folge der Massenadoption. Im Zustand, den Du beschreibst, war nur eine relativ kleine Elite unterwegs, heute ist auch der Dümmste im www. Fluch und Segen. Der Segen ist, dass man heutzutage fast alles online machen kann (wers braucht) und die Bandbreite an Information sehr groß ist. Man muss nur gezielt Schwachsinn rausfiltern.
Wie auch bei Hive. Eine Massenadoption wäre aus naheliegenden Gründen zu begrüssen, aber wir müssten auch mit den Folgen leben, dass hier noch mehr Schwachsinn gepostet würde.

Ich stimme Dir da zu. Einer der Gründe, wieso man sich wohl nicht zu sehr wünschen sollte, dass die Dinge, die eine am Herzen liegen zu berühmt werden. Irgendwie trägt man diesen Wunsch ja in sich, aber so manches schöne Urlaubsziel würde unlängst bereits zerinstagramt und zerunescot... ;)