Atelophobie - Die Angst zu Versagen - Oder doch etwas komplett ANDERES ?
Unter den Patientinnen und Patienten in unserer Klinik finden sich immer wieder Menschen, die so ganz und gar nicht in eine der klassischen psychiatrischen Diagnosekriterien bzw. Störungsbilder passen. Eigentlich möchte man gar keine Diagnose vergeben, bevor man sie nun in eine total unpassende Schublade presst.
Und zu mehr Ärzten und Psychologen sie dann gegangen sind, desto mehr Diagnosen erhalten sie. Wie beispielsweise
- Neurasthenie
- Anpassungsstörung (aber auf WAS ?)
- Depression
- Soziale Phobie
- Zwangsstörung
- ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
- Borderline-Störung (aber letztlich wegen der affektiven Labilität = Stimmungsschwankungen)
Und damit wäre die Liste noch lange nicht vollständig. Passen tut davon aber NICHTS. Oder ALLES.
In diesem Artikel möchte ich speziell auf Menschen aus dem Neurodiversitäts-Spektrum eingehen. Also speziell Menschen mit ADS/ ADHS , Asperger, Hochsensibilität und Hochbegabung.
Anders als die Anderen
Gemeinsam ist Ihnen häufig, dass Sie sich ANDERS als die ANDEREN fühlen. Aber eben auch sind.
Und sehr häufig können Sie ihr eigentliches Leistungsvermögen, ihr wirkliches Potential gar nicht umsetzen. Und irgendwann übernimmt dann ihr eigenes Selbstbild und Selbstzuschreibungen (Attributionen) dies, so dass sie Anforderungen praktisch ständig aus dem Weg gehen (müssen).
Für die meisten von Ihnen ist es halt so, dass Sie sich ja gar nicht anders kennen.Aber eben doch spüren, dass Ihnen aus irgendeinem Grund die Teilhabe im Leben so unglaublich schwer fällt. Und das gerade bei scheinbar einfachen, scheinbar ganz alltäglichen Aufgaben.
Sehr häufig ist ihnen dabei ein niedriges Selbstwertgefühl bzw. eine sehr geringe Selbstwirksamkeitserwartung gemeinsam. Und die Angst, nicht den Anforderungen zu genügen. Die Furcht, nicht gut genug zu sein. Und von den Anforderungen überwältigt zu werden.
Kürzlich bin ich auf eine Bezeichnung für die Angst, nicht gut genug zu sein gestossen :
Atelophobie
Atelophobie ist die Angst vor dem Versagen.
Für mich stellte sich dabei die Frage, ob es diese Bezeichnung überhaupt braucht. Ob man damit irgendwas anfangen kann, was man bisher noch nicht konnte.
Eine offizielle Diagnose in den Klassifikationssystemen ICD 10 oder DSM 5 für diese "Phobie" gibt es wohl nicht. Ich habe auch keine offiziellen Fachartikel dazu gefunden (vielleicht gibt es sie ja doch). Insofern kann man, kann ich, also mehr oder weniger selber mir Gedanken dazu machen.
Atelo kommt wohl aus dem griechischen und steht für nicht gut genug bzw. unperfekt zu sein
Phobie ist klar, das steht für eine Angst bzw. Furcht.
Wenn man der Bezeichnung einen Wert zuordnen will, müsste bei einer Phobie ja eine körperliche Reaktion der Angst bzw. auch ein Vermeidungsverhalten bzw. die Angst vor der Angst zu finden sein. Ist das wirklich so ? Die Frage ist also auch, ob es sich hier wirklich um eine Angst im Sinne einer Angststörung handelt. Oder eher eine Selbstwahrnehmung, die mehr oder weniger auch auf die eigene Erfahrung und mehr oder weniger gescheiterte Anpassungsversuche zurück zu führen wäre.
Wenn man unter Atelophobie leidet, traut man sich letztlich gar nichts mehr zu. Alles was man anfangen könnte, wird letztlich gar nicht mehr gemacht. Weil es ja doch nichts bringt. Doch nicht den Erwartungen der Anderen entspricht. Nicht genügt. Und meistens weiss man noch nicht einmal, warum.
Perfektionismus oder was ?
In der Psychotherapie ist das Phänomen des Perfektionismus natürlich bekannt. Meist stecken bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dahinter, die dann zu überhöhten Ansprüchen an sich selbst führen. Und quasi dann dazu führen, dass man immer wieder eine viel zu hoch gelegte Messlatte reissen muss. So wie beim Hochsprung, wenn man mit einer viel zu hohen Anfangshöhe springt, obwohl man die Grundlagen noch gar nicht drauf hat.
Aber Perfektionismus trifft es eigentlich nicht.
Erstens, weil diese Klienten häufig wirklich Anlass zu hohen Erwartungen lieferten oder liefern. Sie hatten ein sehr hohes Potential, können das aber nicht im Alltag umsetzen. Sie mögen zwar etwas penibel oder nervend sein können, vielleicht auch zwanghaft. Aber perfektionistisch in dem Sinne, wie man es sich als Therapeut vorstellt ? Eher nicht.
Von Ed Hallowell stammt ja der Titel "Zwanghaft zerstreut". Das passt da schon eher. Ein wenig zwanghaft. Aber auch diffus. Reizoffen. Und irgendwie da und nicht da.
Konstant ist nur die Schwankung.
Sehr typisch ist, dass diese Menschen extreme Umschwünge haben. Einmal emotional. Aber auch von den Ent-Scheidungen. Wenn es denn mal zu Entscheidungen kommt. Ich finde es schwer, dies angemessen in Worte zu fassen. Obwohl, oder vielleicht weil ich es selber ja gut kenne. Es ist eine ständige Unstetigkeit in den Gefühlen, in den Entscheidungen. Eine Ablenkbarkeit nach innen und nach aussen.
Im Gegensatz zu einer "Depression" ist es aber eben nicht eine vorrübergehende Phase. Es ist auch kein Mangel an Wissen oder Wollen. Es ist im klassischen Sinne eine Performance-Störung Die Umsetzung gelingt einfach nicht.
Konstant ist also nur, dass nichts konstant ist. Und man sich nur darauf verlassen kann, dass man im Moment des Momentes, eben versagt.
Nicht umsonst spricht man auch von der Impotenz des Gehirns
Also keine Phobie ! Eine Regulationsstörung !
Wenn man sich also genauer mit dem Problem auseinander setzt ist anzunehmen, dass die meisten dieser betroffenen Menschen eine Störung der höheren Handlungsfunktionen bzw. eine neuropsychologisch bedingte Regulationsstörung haben. Das muss ja nicht immer ADHS sein.
Aus meiner Sicht ist auch die Veranlagung nicht das Problem. Sondern die tägliche Erfahrung, dass man damit immer wieder in Probleme kommt. Und zwar hauptsächlich mit sich selbst, mit den eigenen Ansprüchen und den ständigen Ausweichmanövern und Verhinderungen, die dann zu Blockaden und zum Rückzug führen.
Interessant! Ich dachte ja, wenn ich weiss wer ich bin, kann ich mich besser entscheiden... also einmal Medikation durchziehen und ich weiss wie ich ticke...schade! dabei finde ich das impulsiv sein DÜRFEN ja doch sehr reizvoll :)
"Zwanghaft zerstreut" ist wirklich eine geniale Formulierung. Gigantisch, was für eine Aussage 2 Worte haben können.
Wenn ich mir das so durchlese, sehe ich mich in manchen Punkten, natürlich sehr abgeschwächt wieder. Haben wir nicht alle irgendwann im Leben mal das Gefühl, nicht "genug" zu sein? Die Menge macht "das Gift", das in diesem Fall Atelophobie heißt. Alle Achtung, hier eine Grenze von normal zu pathologisch zu ziehen stelle ich mir als Laie sehr schwierig vor ...
... also ich habe dieses Gefühl fast jeden Tag. Schon ewig. Aber die Häufigkeit macht es nicht zur Angst.
Es ist einfach das logische, durchaus stimmige Gefühl, das sich einstellt, ja einstellen muss, wenn man an 80% dessen, was man sich vorgenommen hat, scheitert, fast jeden Tag solange man sich zurückerinnern kann.
Sich weniger vornehmen. Funktioniert! Man scheitert wengier, aber man schafft auch weniger. Die Aufteilung 80:20 bleibt. Sich mehr vornehmen. Funktioniert auch. Es wird in absoluten Zahlen mehr erledigt, aber man versagt auch öfter. Man schwankt zwischen den Strategien. Mal viel vornehmen, mal wenig vornehmen, wieder mehr vornehmen. Vielleicht gar nichts mehr vornehmen? Das klappt nicht, man nimmt sich gegen seinen Willen doch etwas vor.
Angst? Nein. zumindest ist es nicht mit dem Vergleichbar, was ich z.B. bei Höhenangst empfinde.
Faulheit? Waum sollte jemand der faul ist, sich die Mühe machen, sich ständig Dinge vorzunehmen, um sie dann nicht erledigen. Das ginge doch viel einfacher.
Perfektionismus? Wenn es mir gelingt zumindest an die 50% der Vorhaben wenigstens soweit geschafft zu haben, dass diese als "wenigstens ernsthaft versucht" angesehen werden können, dann bin ich absolut zufrieden mit mir. Wenn das die Denkweise eines Perfektionisten ist, ...
Depression? Dann müsste zumindest das "gar nichts mehr machen" klappen.
Nein, gar nichts mehr vornehmen geht definitiv nicht ... das können wir machen, wenn wir mit 120 im Seniorenheim sitzen ... und selbst da müssen wir noch Karten spielen oder die Anderen zum Lachen bringen, damit nicht die Tristesse überhand nimmt.
Aber vlt kannst du es so versuchen: 1-3 Aufgaben, die unbedingt erledigt werden müssen. Der Rest ist optional ... Und wenn möglich gelegentlich Belohnungen einbauen ...
Nur, wirklich aus Erfahrung spreche ich da leider nicht, denn ich besitze den größten Luxus, den man sich neben Gesundheit und Liebe noch vorstellen kann: Ich habe Zeit über Zeit, die ich mir zur Gänze (oder sagen wir mal zu 99%) selber einteilen kann. Manchmal wird die Oma gebraucht, dafür ist immer Zeit, aber der Rest ist MEINE Zeit. Luxus pur, ich weiß!
Das ist der Vorteil des Alters ... keine Sorge, da kommt ihr alle mal ganz automatisch hin.
Ja, besser hätte ich das auch nicht zusammenfassen können :-)
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Dabke für deinen tollen Beitrag😀
Zwanhhaft Zerstreut das könnte für mich passen. Mit dem A... auf 5 Kirtagen tanzen und zu hohe Erwartungen an mich haben, das kann ich perfekt... 😊
Dann wäre es ja Zeit, sich ein wenig intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Am besten JETZT. Nicht aufschieben...